Archiv


Klingende Selbstüberschätzung

Agostino Steffanis Oper "Niobe" von 1688 kam bei den Schwetzinger Festspielen heraus. Sie wurde ergänzt um die Uraufführung der zeitgenössischen Komposition "Hybris" von Adriana Hölszky.

Von Frieder Reininghaus |
    Man nahm die Doppelpremiere zum Anlass, eine angeblich "sprichwörtliche 'Schwetzinger Dramaturgie'" feiern zu lassen. Denn seit den Uraufführungen von Arbeiten Werner Egks und Hans Werner Henzes in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hätte das von der Landesrundfunkanstalt getragene Festival eine "doppelte Gegenwart" zu Tage gefördert: ein Konzept, in dem "die Zeit des Kurfürsten, die im erhaltenen Schloss-Garten-Ensemble weiterlebt, an der veränderten Gegenwart und Wahrnehmung heutiger Besucher" gespiegelt werde.

    Das 36-stimmige Chorwerk von Adriana Hölszky entwickelt Wucht und Intensität, vollzieht die Idee der Hybris gleichsam körperhaft nach. Von dem, was Yona Kim, die Frau des Dramaturgen und Operndirektors am benachbarten Nationaltheater Mannheim, an Text zusammenkompilierte, ist so gut wie nichts zu verstehen. Doch es scheint die Stuttgarter Komponistin für ihre Kraftaufwendung inspiriert zu haben.
    Überdrückliche Stimmkraft also im Vorprogramm zu "Niobe": In diesem Jahr war wieder einmal die seit Langem in der Schwabenmetropole ansässige Komponistin Hölszky mit einem Auftrag an der Reihe und mit einem Ernteeinsatz zur Spargelzeit das hauseigene SWR Vokalensemble Stuttgart, noch immer einer der leistungsfähigsten Rundfunkchöre. Mit Hand- und Unterarmeinsatz unterstrichen die Vokalsolisten die immanent musikdramatischen Intentionen der knapp halbstündige Motette: rabiate Gesten zu unverständlichem Text. Da schlägt der Todesengel modern-furchtbar zu.
    Die Schwetzinger Festspiele sind tatsächlich angesiedelt am Rande eines der schönsten Schlossparks weit und breit. Sie blühen auf der Grundlage einer spezifischen Art von regionalem Wurzelwerk und haben (nun das tatsächlich) sprichwörtliche "Gschmäckle". Eng verflochten mit den Theaterbetrieben den benachbarten Städten Mannheim und Heidelberg treten sie in Aktion und sorgen schwerpunktmäßig für Auftrittsmöglichkeiten Stuttgarter oder auch Freiburger Tonkünstler. Bei Agostino Steffanis "Niobe"-Oper kam das engagierte Balthasar-Neumann-Ensemble zum Einsatz. Thomas Hengelbrock regte eine effektstarke Wiedergabe der in manchem stark verblassten Tonkunst des 17. Jahrhunderts an.
    Der Librettist Luigi Orlandi beschäftigte sich mit Vernunft und Kunstsinnigkeit von Herrschern, vor allem aber mit deren fatalen Obsessionen und der "Todsünde" der Überheblichkeit. Gattungsgeschichtlich präsentiert das Musikdrama des diplomatisch tätigen Theologen Steffani einige Leckerbissen - wie König Anfiones Pastoralmusik in Szene 13 zum Beispiel:

    Die schöne Maria Bengtsson stattet in Lukas Hemlebs konventionell-akkurater Inszenierung die Thebaner-Königin Niobe mit überragender Stimme aus. Eingefleischte Freunde der Barockmusik waren froh, dass sie keine Schlauchbote auf der Bühne sehen mussten und keine spiegelglanzpolierte Konzernzentrale, sondern sich in Ruhe auf die feinen Kontraste der weithin von Sopranstimmen bestrittenen Arien und die genaue Personenführung konzentrieren konnten.