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Klingender Shakespeare

André Werner wurde 1960 geboren und als Komponist nicht wenig gefördert. Den Ernst-von-Siemens-Förderpreis hat er erhalten, den Rompreis der Villa Massimo und das Casa di Goethe Stipendium Rom. "Tele-Vision" kam dabei heraus oder "Marlow: Der Jude von Malta" und nun als Uraufführung das Musiktheater "Lavinia A." nach William Shakespeares Stück "Titus Andronicus" an der Oper von Osnabrück.

Von Frieder Reininghaus |
    Shakespeares Totenmaske
    Shakespeares Totenmaske (AP)
    Gewalt gebiert Gewalt. Titus Andronicus, der von Shakespeare frei, aber durchaus wirklichkeitsgetreu erdichtete Feldherr, setzt seinen ganzen Ehrgeiz daran, die von Missernten zur Völkerwanderung getriebenen Goten irgendwo weit oben in den Wäldern des Norden zu dezimieren und disziplinieren.

    Die Moral einer aristokratischen Familie treibt ihn, römisches Recht und die römischen Götter weiß er auf seiner Seite. Freilich ist der Preis für Sieg und Beute hoch: 23 seiner 25 Söhne bleiben tot auf den Schlachtfeldern zurück. 23 Paar Stiefel stellt er auf die Stufen zum Capitol, als er vor Senat und Volk der Hauptstadt erscheint.

    In Rom herrscht gerade wieder einmal politisches Gerangel um den vakanten Posten der Nummer 1. Ein Verwandter meldet die Anwartschaft des Titus auf den Thron des Imperators an; doch der Militärmachthaber verzichtet und lässt die Wahl des Dandys Saturnius zu. Dem dient der Goten-Bezwinger die Tochter Lavinia als Frau an. Doch fehlt es beim Betreiben der dynastischen Intentionen an Instinkt und Gespür. Denn Lavinia ist längst mit dem Bruder des neuen Cäsaren liiert - und als die beiden einzig verbliebenen Söhne des Titus für die Interessen der Schwester eintreten, erschlägt er den älteren von ihnen im Jähzorn.

    Zu allem Überfluss des Missgeschicks heiratet Saturnius ausgerechnet jene von Titus als Gefangene zum Triumphzug nach Rom mitgeschleppte Gotenkönigin Tamora, deren ältesten Sohn er zerfleischen und als Dankopfer auf den Räucheraltar legen ließ. Tamora - die kräftig gebaute und stimmstarke Eva Schneidereit - erhält als furiose Furie Gelegenheit zur Rache. So setzt sich die Mechanik der Grausamkeit fort und eskaliert. Die frisch gebackene Cäsarengattin stiftet mit dem Besen in der Hand die ihr verbliebenen Söhne aus erster Ehe an, Lavinias Liebhaber zu erschlagen, die jugendschöne Rivalin zu vergewaltigen und zu verstümmeln - sie reißen ihr die Zunge heraus, schlagen ihr die Hände ab, damit sie die Täter nicht anzeigen kann. Der verzweifelte Titus aber findet die Wahrheit heraus, bringt die beiden Täter in seine Gewalt und lässt sie der Elite Roms in Form einer Pastete vorsetzen. Das Gastmahl endet nach der appetitlichen Enthüllung in allgemeinem Gemetzel.

    Aufmerksam wurde der Komponist André Werner auf das heftige Frühwerk - die erste uns bekannte Tragödie Shakespeares - durch Heiner Müllers Kommentar "Anatomie Titus / Fall of Rome". Die der blutrünstigen Handlung zugedachte Partitur meint es mit den Sängern nicht durchweg gut: Manche Partie des Titus ist beispielsweise so tief gesetzt, dass der in mittleren und höheren Regionen bestens ausgestattete Genadijus Bergorulko seine liebe Mühe hat, sich vernehmlich zu machen. Doch mag dies Mittel der mühsamen Hervorbringung und des Gequältwerdens angesichts der verhandelten Materie durchaus absichtsvoll eingesetzt worden sein.

    Die Verstümmelung der Lavinia wird einerseits für die von Karen Furgenson ausgeführten Vokalisen genutzt, andererseits zur Einführung einer Sprechstimme, die kommentierend aus der Perspektive des Hinterkopfs zum Einsatz gelangt. Einzig die Partie des bösen Mohren Aaron, des Liebhabers der Tamora, zeichnet sich durch naiv-melodische Einsprengsel aus. Insgesamt schwankt die Musik zwischen hartem, distanziertem Kommentar zur alten Tragödie und Momenten der Einfühlsamkeit. Dies Changieren mag die Produktion, die der Osnabrücker Generalmusikdirektor Hermann Bäumer mit Verve und Gespür für die Dosierungen der Härte leitet, auch für ein größeres Abonnements-Publikum akzeptabel machen - der große Namen des Autors Shakespeare tut ein Übriges, um die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den verhandelten Grausamkeiten zu mehren.

    Der Regisseur Kay Kuntze hat im Verbund mit dem Bühnenbildner und Videokünstler Frank Michael Zeidler die Schlächtereien auf einer kahlen Treppe angesiedelt, stark stilisiert und mit Video-Einblendungen hinterfüttert - die tödlichen Gewaltakte werdenden jeweils dadurch angedeutet, dass die Opfer mit schwarzer Masse aus einem an zentraler Stelle postierten Kübel markiert werden. Die Kostüme lassen eine geographische und zeitliche Verortung des Geschehens, das halbwegs in die Jetzt-Zeit projiziert sein mag, nicht zu. So bleibt fraglich, ob sich die Intention de Produktion tatsächlich durchsetzt, dass nämlich "die hochaktuellen politischen und philosophischen Aspekte dem Zuschauer und Zuhörer skelettiert ins Auge springen".