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Klingendes Erbgut

Musik. - Wie klingt es, wenn Abschnitte der menschlichen Erbsubstanz kopiert werden? Mit Fragen wie dieser hat sich der Berliner Komponist Thilo Krigar beschäftigt und eine "Sinfonie des Lebens" geschrieben. Für sein Werk "D.N.A. in concert" bringt der Musiker die chemischen Abläufe Atom für Atom aufs Notenblatt.

von Volkart Wildermuth |
    Eine moderne Komposition. Und gleichzeitig das bis in die atomare Ebene genaue Hörbild der Struktur der DNA. Seit fünf Jahren arbeitet der Berliner Komponist Thilo Krigar an seinem Projekt "dna in Concert", das er mit seinen Kollegen von Pythagoras Strings dieses Jahr in Berlin uraufgeführt hat. Neben klassischen Instrumenten sorgen Computer und Surround-Anlage für ein informatives Klangerlebnis. Krigar:

    "Das Publikums sitzt sozusagen inmitten des Geschehens, inmitten des Klanges, inmitten der Zelle, wenn man sich den Anfang anhört, dann fährt man sozusagen in einem Klangfahrstuhl im Inneren der Doppelhelix aufwärts und die Basenpaare tauchen sozusagen klanglich wie Stockwerke, es dreht sich dann letztendlich. Ich habe versucht immer in das Innere der Vorgänge hineinzugehen und ganz dicht an dem Fluss der genetischen Information dranzubleiben."

    Klänge sind anders als Bilder in der Lage, ein komplexes Geschehen in vielen parallelen Strängen und im zeitlichen Verlauf darzustellen. Damit ist Musik für Thilo Krigar ein ideales Medium für die Annäherung an die Molekularbiologie. In "DNA in Concert" stellt er den Fluss der genetischen Information in bislang drei Sätzen dar: im ersten geht es um die Aktivierung der Gene. Der zweite erzählt von der Bildung der Eiweißstoffe. Im letzten schließlich hört man, wie sich die Erbsubstanz verdoppelt. Eine musikalische Umsetzung des Stoffwechsels ist noch in Arbeit. Thilo Krigar hat den Anspruch, die Biochemie exakt in Klänge umzusetzen. Der Komponist hat dazu Lehrbücher gewälzt, Vorlesungen gehört und immer wieder Fragen an die Forscher gestellt. Am Ende dieser Lehrzeit stand sein Konzept für eine Verbindung von Naturwissenschaft und Musik. Jedes Atom wird dabei nicht statisch als immer derselbe Ton dargestellt, sondern dynamisch als ein Klangintervall. Krigar:

    "Der Stickstoff hat auf der äußeren Schale fünf Elektronen, dem habe ich sozusagen fünf Halbtonschritte zugeordnet, das ist von einem angenommenen Ton E die Quarte, das würde jetzt ein Stickstoffatom charakterisieren, dieses Intervall, wenn ich daran jetzt ein Kohlenstoffatom anhänge, wäre das eine Terz und jetzt kann ich wieder ein Stickstoffatom an hängen, noch einen Kohlenstoff noch einen Kohlenstoff und dann habe ich schon ein Pyrimidin."

    Ein Pyrimidin ist ein Buchstabe im Text der DNA. Jedes Atom ist als Klangintervall zu hören. Die einzelnen Instrumente spielen verschiedene Bestandteile der Doppelhelix. Bässe und Harfen sind für das Phosphatrückgrat zuständig, die Zucker verkörpert ein Klavier, die Basenpaarung übernehmen Saxophone. Jedes Instrument folgt der Melodie seines Moleküls, an den Bindungen treffen sich die Töne. Auf der Partitur kann man Atom für Atom die Molekularbiologie nachvollziehen. Für das Ohr hört sich die Übersetzung der genetischen Information in eine Eiweißkette dann so an:

    "Und da hängt zum Schluss ein Adenin dran, das hören Sie gerade, kommt hier in den Klarinetten das Adenin, das letzte, und das ist der Übergang zu dem Methionin also der ersten Aminosäure bei der Peptidkette in der Proteinsynthese, der Schwefelcharakter kommt da zum Ausdruck. Und jetzt kommt das Ribosom wieder, das Umfeld."

    Bislang kann man "DNA in concert" nur auf einer Privataufnahmen hören. Für eine professionell produzierte CD fehlt das Geld, genauso wie für weitere Aufführungen. Die Arbeit passt eben weder in die Kategorien der Kultur- noch der Wissenschaftsförderung. Doch das ist das Schicksal eines engagierten Komponisten, meint Thilo Krigar, er arbeitet weiter als musikalischer Protokollant der Biologie, und findet bei aller Exaktheit der Tonintervalle viel Raum für künstlerische Freiheit, etwa in der Klangfarbe.

    "Zum Beispiel die Aminosäuren und die Peptidketten, die sind sehr stark mit Streicherklängen dargestellt, weil man eben Basen schön trocken Stakkato darstellen kann und Säuren kann man wunderbar fett schmalzig mit Vibrato darstellen."

    So soll Information und Genuss zusammenkommen und den Zuhörern eine Einfühlen in ihre eigenen Geheimnisse ermöglichen.

    "Menschen mit einer durchschnittlichen oder guten Hörerfahrung können praktisch diese ganzen Molekularen Abläufe, die in dem Augenblick ja auch 70 Millionen mal in ihnen selbst ablaufen, dann als Konzererlebnis erleben. Und darum geht es, es geht jetzt nicht darum Erklärungsmodelle zu schaffen sondern im Prinzip die Wissenschaftlichen Erkenntnisse in einem Erlebnisprozess uns anzueignen."