Lange flocht die Nachwelt den Mimen bekanntlich keine Kränze. Erst das Medienzeitalter hat sie tendenziell dauerhafter gemacht. Zu denen, die beste Chancen haben, als Sänger und Darsteller noch lange im Gedächtnis der Musikfreunde erhalten zu bleiben, gehört Dietrich Fischer-Dieskau. Glänzend war über Jahrzehnte hinweg der Einsatz dieses selbst auch literarisch ambitionierten Interpreten auf den Musiktheaterbühnen. Zugleich avancierte er zum Botschafter eines zeitweise vom Versinken bedrohten Reiches: zum anerkanntesten Sänger des "klassischen" und "romantischen" deutschen Liedes.
Jahrhunderte lang waren es die hohen Stimmen und nur sie, die ihre Besitzer gegebenenfalls zu größerem Ruhm zu tragen vermochten. Die tendenzielle Unsterblichkeit, die einem Caruso zufiel, war wie selbstverständlich an die charakteristische Färbung seines Zentralorgans und an die betörende Kraft der Tenorhöhe gebunden. Fischer-Dieskau ist wohl der erste Sänger der ernsten Musik, der einem tieferen Stimmorgan seine singuläre Reputation verdankt. Diese Bariton-Stimme hat, wie keine andere, das "Liedgut", das aus idyllischen Zeiten und in jeder Hinsicht kleineren Verhältnissen herrührte, noch einmal in die Gegenwart transportiert. Es spricht für Fischer-Dieskau, dass er auch entlegene Kontinente der Musikgeschichte aufsuchte. Johann Friedrich Reichardts Sturm- und Drang-Kunststückchen zum Beispiel:
Durch die frühe Aufzeichnung der "Winterreise" von Wilhelm Müller und Franz Schubert im Januar 1946 beim RIAS Berlin und die vielen Aufnahmen, die sich in mehr als vier Jahrzehnten anschlossen, ist Fischer-Dieskau geworden, was in einer Hamburger Wochenzeitung einmal als "wandelnden Liedtempel" beschrieben wurde: als "klingendes Nationalheiligtum".
Es erscheint kaum als Zufall, dass sich der Durchbruch der Karriere Dietrich Fischer-Dieskaus 1948 mit einem "Liederabend" vollzog: Der kometenhafte Aufstieg dieses Sängers begann vor den auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch verwöhnten Ohren des Publikums in der Musikstadt Leipzig. Freilich hatte er schon in den italienischen Hungermonaten der Nachkriegszeit vor den ebenfalls gefangenen Kameraden gesungen und, wie er sagte, "vielen Leuten damit eine Freude bereiten können".
Überhaupt die Idee der Beglückung! Worte, so schrieb der Sänger zu Franz Schuberts 200. Geburtstag, könnten über seine "Musik wenig aussagen. Und wer ihn noch nicht liebt, wird durch den magischen Strom seiner Töne angezogen werden; wer ihn liebt, trägt ihn in sich; wer ihn nicht mehr liebt, wird wieder zu ihm finden."
Die Idee der "holden Kunst" war für Dietrich Fischer-Dieskau noch nicht oder nicht mehr obsolet. Die Stimme, seine Stimme, war wie eine Brieftaube aus Zeiten vor den großen kulturellen Brechungen, die ja auch für die Musik weitreichende Folgen hatten. Eine Stimme, die mitunter alle Erdenschwere unter sich zu lassen schien, die in der Regel ihre Ziele erreichte und auch nicht vorbeiflog.
Als Opernsänger hatte er – nach kurzem Studium an der Berliner Musikhochschule – als 23-Jähriger an der Städtischen Oper Berlin debütiert: in Verdis "Don Carlos" als "Marquis de Posa", einer klassischen Bariton-Partie. Zwei Jahre später, 1950, stand er erstmals auf der Bühne der Mailänder Scala. Karl Böhm präsentierte ihn als "Don Giovanni". Das bedeutete in jeder Hinsicht das Ausschweifen in tiefere Regionen – stimmlich wie dramatisch. Die Titelpartie dieser Mozart-Oper verlangt einen veritablen Bass. Als "Wozzeck" hingegen bewegte sich Fischer-Dieskau wieder in gewohnten Höhenregionen. Eine ganze Reihe von Partien wurden für diesen herausragenden Sänger konzipiert – von Hans Werner Henze in der "Elegie für junge Liebende", von Benjamin Britten im "War Requiem", von Aribert Reimann die Rolle des "König Lear".
1993 verkündete Dietrich Fischer-Dieskau den Abschied von der Bühne. Freilich: Arbeitslos wurde er deshalb nicht. Musikliterarisch tätig war er bereits zuvor, nun intensivierte er diese Arbeit. Er nahm Dirigier-Verpflichtungen an und widmete sich der Lehrtätigkeit; auch malte er auch wieder mehr, was früh schon eine der nicht-öffentlichen Passionen gewesen war. In den Medien aber bleibt er und ist präsent – nicht nur durch geschlagene zehn Einspielungen der "Winterreise", sondern auch durch Tschaikowsky- und Debussy-, Brahms-, Busoni-, Pfitzner- Strauss- und Mahler-Lieder; insgesamt als einer, der die mit historischer Musik noch einmal mögliche Beglückung ausstrahlte.
Weitere Beiträge bei dradio.de:
Bariton von Weltrang - Zum Tod von Dietrich Fischer-Dieskau
Jahrhunderte lang waren es die hohen Stimmen und nur sie, die ihre Besitzer gegebenenfalls zu größerem Ruhm zu tragen vermochten. Die tendenzielle Unsterblichkeit, die einem Caruso zufiel, war wie selbstverständlich an die charakteristische Färbung seines Zentralorgans und an die betörende Kraft der Tenorhöhe gebunden. Fischer-Dieskau ist wohl der erste Sänger der ernsten Musik, der einem tieferen Stimmorgan seine singuläre Reputation verdankt. Diese Bariton-Stimme hat, wie keine andere, das "Liedgut", das aus idyllischen Zeiten und in jeder Hinsicht kleineren Verhältnissen herrührte, noch einmal in die Gegenwart transportiert. Es spricht für Fischer-Dieskau, dass er auch entlegene Kontinente der Musikgeschichte aufsuchte. Johann Friedrich Reichardts Sturm- und Drang-Kunststückchen zum Beispiel:
Durch die frühe Aufzeichnung der "Winterreise" von Wilhelm Müller und Franz Schubert im Januar 1946 beim RIAS Berlin und die vielen Aufnahmen, die sich in mehr als vier Jahrzehnten anschlossen, ist Fischer-Dieskau geworden, was in einer Hamburger Wochenzeitung einmal als "wandelnden Liedtempel" beschrieben wurde: als "klingendes Nationalheiligtum".
Es erscheint kaum als Zufall, dass sich der Durchbruch der Karriere Dietrich Fischer-Dieskaus 1948 mit einem "Liederabend" vollzog: Der kometenhafte Aufstieg dieses Sängers begann vor den auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch verwöhnten Ohren des Publikums in der Musikstadt Leipzig. Freilich hatte er schon in den italienischen Hungermonaten der Nachkriegszeit vor den ebenfalls gefangenen Kameraden gesungen und, wie er sagte, "vielen Leuten damit eine Freude bereiten können".
Überhaupt die Idee der Beglückung! Worte, so schrieb der Sänger zu Franz Schuberts 200. Geburtstag, könnten über seine "Musik wenig aussagen. Und wer ihn noch nicht liebt, wird durch den magischen Strom seiner Töne angezogen werden; wer ihn liebt, trägt ihn in sich; wer ihn nicht mehr liebt, wird wieder zu ihm finden."
Die Idee der "holden Kunst" war für Dietrich Fischer-Dieskau noch nicht oder nicht mehr obsolet. Die Stimme, seine Stimme, war wie eine Brieftaube aus Zeiten vor den großen kulturellen Brechungen, die ja auch für die Musik weitreichende Folgen hatten. Eine Stimme, die mitunter alle Erdenschwere unter sich zu lassen schien, die in der Regel ihre Ziele erreichte und auch nicht vorbeiflog.
Als Opernsänger hatte er – nach kurzem Studium an der Berliner Musikhochschule – als 23-Jähriger an der Städtischen Oper Berlin debütiert: in Verdis "Don Carlos" als "Marquis de Posa", einer klassischen Bariton-Partie. Zwei Jahre später, 1950, stand er erstmals auf der Bühne der Mailänder Scala. Karl Böhm präsentierte ihn als "Don Giovanni". Das bedeutete in jeder Hinsicht das Ausschweifen in tiefere Regionen – stimmlich wie dramatisch. Die Titelpartie dieser Mozart-Oper verlangt einen veritablen Bass. Als "Wozzeck" hingegen bewegte sich Fischer-Dieskau wieder in gewohnten Höhenregionen. Eine ganze Reihe von Partien wurden für diesen herausragenden Sänger konzipiert – von Hans Werner Henze in der "Elegie für junge Liebende", von Benjamin Britten im "War Requiem", von Aribert Reimann die Rolle des "König Lear".
1993 verkündete Dietrich Fischer-Dieskau den Abschied von der Bühne. Freilich: Arbeitslos wurde er deshalb nicht. Musikliterarisch tätig war er bereits zuvor, nun intensivierte er diese Arbeit. Er nahm Dirigier-Verpflichtungen an und widmete sich der Lehrtätigkeit; auch malte er auch wieder mehr, was früh schon eine der nicht-öffentlichen Passionen gewesen war. In den Medien aber bleibt er und ist präsent – nicht nur durch geschlagene zehn Einspielungen der "Winterreise", sondern auch durch Tschaikowsky- und Debussy-, Brahms-, Busoni-, Pfitzner- Strauss- und Mahler-Lieder; insgesamt als einer, der die mit historischer Musik noch einmal mögliche Beglückung ausstrahlte.
Weitere Beiträge bei dradio.de:
Bariton von Weltrang - Zum Tod von Dietrich Fischer-Dieskau