Félix Vallotton, am Genfer See geboren, 1882 als 17-Jähriger nach Paris ausgewandert, ist wahrscheinlich einer der unterschätztesten Künstler der klassischen Moderne. Dass man ihn in Deutschland nur unwillig rezipiert hat, liegt vor allem an dem 1915 erschienenen Holzschnitt-Zyklus "C’est la guerre", der zwar den Weltkrieg geißelt, dabei aber vor allem die deutschen Barbaren im Auge hatte. Von der Druckgrafik kommt er her, den scharfen Linien und radikalen Flächen - sarkastische Stilmittel, die ab 1900 in seiner Malerei dann zu einer kalten Lakonie weiterentwickelt wurden.
Die Druckgrafik sieht man aber gar nicht im Züricher Kunsthaus, sondern in einer Parallel-Ausstellung in der kleinen Winterthurer Villa Flora, wo die Sammler Arthur und Hedy Hahnloser ab 1908 ihren Schweizer Landsmann förderten, kauften und auch ausstellten. Die Villa ist in Original-Jugendstil-Atmosphäre erhalten, und dort sind, neben den Holzschnitten aus der Pariser Halb- und Oberwelt, diverse thematische Zyklen aus Privatbesitz zusammengeführt, die die tristen Seiten der Industrialisierung malerisch auskundschaften, dann auch Landschaften, Stilleben und jene grandiose Bordell-Szene, in der eine maskuline Schwarze rauchend vor einer hingeräkelten rosigen weißhäutigen Kollegin sitzt: "La Blanche et la Noire", eine lesbische Liaison, 1913 eine Provokation.
Die vom Chef Christoph Becker höchstselbst und der Kuratorin Linda Schädler eingerichtete Schau im Züricher Kunsthaus hat dagegen ganz anderes im Sinn: Schon im Ausstellungs-Design herrscht ostentative Kühle, gleich in der ersten Abteilung werden die Künstlerkollegen Berlioz, Verlaine und Victor Hugo von Vallotton satirisch abgeflacht, und dann geht es in jene leblose Welt, in der Félix Vallotton Menschen, und das heißt insbesondere Frauen, wie Stillleben darstellt. Am radikalsten kommt das in den Akten zum Ausdruck: flächig gemalte, von einem gnadenlosen Blick analysierte Körper, bleich wie beim Arztbesuch, gipsern und kalt.
Es ist klar, dass hier klassizistische Maltechnik benutzt wird, um in die Niederungen einer melancholischen Trivialität hinabzusteigen. Vallotton bewunderte Ingres, hatte im Louvre aber auch Holbein kopiert. Seine Frauen des Bürgertums vom Anfang des 20. Jahrhunderts sind beileibte keine Göttinnen mehr, sie sind traurig, unausgefüllt, bisweilen gelangweilt. Zwar sind ihre Körper entkleidet, aber nicht wirklich verführerisch: Der Maler beraubt sie jeder Umgebung. Die "Nue couché au tapis rouge", die langgestreckte Nackte auf dem roten Teppich, ist nicht im Schlafzimmer oder sonst einem Ort potentieller Lust, sondern sie liegt in sozusagen klinischer Anmut vor einer dunklen Wand.
Dass der - übrigens literarisch versierte - Vallotton die Welt wie durch eine Scheibe sah und selbst nicht teilzunehmen wünschte am Leben, das hat er immer wieder in sein Tagebuch geschrieben. So sind auch die Bilder: leergefegte Laboratorien mit menschlichen Wesen. Die Züricher zeigen nun zahlreiche, wenig schmeichelhafte Frauen-Porträts und Pariser Interieurs, ambivalente Schäferstündchen, Studien von Ehebruch und Verrat. Die Ausstellung dekuvriert diese immer noch bürgerliche Idylle, indem sie eine Reihe hysterisch wirkender Großformate in den Mittelpunkt stellt, mythologische Szenen, die allesamt den Geschlechterkampf zum Thema haben.
Perseus tötet zwar den Drachen, der bei Vallotton nur noch ein Krokodil ist, aber die gerettete Andromeda, eine fette Gesellschaftsdame, schaut sich nur träge nach ihm um. Mann und Frau sind kämpfend verkeilt, Orpheus wird von den Mänaden durchbohrt. Es ist die Angst vor der Frau, die bei Vallotton malerisch gebannt werden muss, indem er ihr in anderen Bildern dann jedes Leben absaugt. Die Stilleben mit Steaks und Schinken sind dann nur eine andere - und durchaus die herzlichere - Variante der Fleischbeschau.
Vallotton leiht sich, bei dogmatischer Ablehnung alles Impressionistischen, Elemente diverser Schulen aus oder nimmt sie vorweg, vom Jugendstil bis zum Hyperrealismus. Klassizismus, Fotografie, neue Sachlichkeit - alles kann man bei ihm sehen, das Verschwimmen zur Abstraktion wie beim späten Hodler in den Landschaften oder die nüchtern gehaltene Depression wie bei Edward Hopper. Frühere Ausstellungen haben das Marionettenhafte, Puppenhafte seiner Figuren betont oder, wie Rudolf Koella 2004 in Bern, die Metaphorik seiner Sonnenuntergänge.
Das alles ist im Züricher Werk-Durchlauf nun auch angetippt, ohne wirklich ausgeführt zu werden; in Erinnerung bleiben die Akte: scharfe Umrisse, glatte Flächen, fahle Farben, die von Leere und Leblosigkeit erzählen. Vivisektion einer Gesellschaft, die nicht nur Félix Vallotton damals wie erstarrt vorkam.
Die Druckgrafik sieht man aber gar nicht im Züricher Kunsthaus, sondern in einer Parallel-Ausstellung in der kleinen Winterthurer Villa Flora, wo die Sammler Arthur und Hedy Hahnloser ab 1908 ihren Schweizer Landsmann förderten, kauften und auch ausstellten. Die Villa ist in Original-Jugendstil-Atmosphäre erhalten, und dort sind, neben den Holzschnitten aus der Pariser Halb- und Oberwelt, diverse thematische Zyklen aus Privatbesitz zusammengeführt, die die tristen Seiten der Industrialisierung malerisch auskundschaften, dann auch Landschaften, Stilleben und jene grandiose Bordell-Szene, in der eine maskuline Schwarze rauchend vor einer hingeräkelten rosigen weißhäutigen Kollegin sitzt: "La Blanche et la Noire", eine lesbische Liaison, 1913 eine Provokation.
Die vom Chef Christoph Becker höchstselbst und der Kuratorin Linda Schädler eingerichtete Schau im Züricher Kunsthaus hat dagegen ganz anderes im Sinn: Schon im Ausstellungs-Design herrscht ostentative Kühle, gleich in der ersten Abteilung werden die Künstlerkollegen Berlioz, Verlaine und Victor Hugo von Vallotton satirisch abgeflacht, und dann geht es in jene leblose Welt, in der Félix Vallotton Menschen, und das heißt insbesondere Frauen, wie Stillleben darstellt. Am radikalsten kommt das in den Akten zum Ausdruck: flächig gemalte, von einem gnadenlosen Blick analysierte Körper, bleich wie beim Arztbesuch, gipsern und kalt.
Es ist klar, dass hier klassizistische Maltechnik benutzt wird, um in die Niederungen einer melancholischen Trivialität hinabzusteigen. Vallotton bewunderte Ingres, hatte im Louvre aber auch Holbein kopiert. Seine Frauen des Bürgertums vom Anfang des 20. Jahrhunderts sind beileibte keine Göttinnen mehr, sie sind traurig, unausgefüllt, bisweilen gelangweilt. Zwar sind ihre Körper entkleidet, aber nicht wirklich verführerisch: Der Maler beraubt sie jeder Umgebung. Die "Nue couché au tapis rouge", die langgestreckte Nackte auf dem roten Teppich, ist nicht im Schlafzimmer oder sonst einem Ort potentieller Lust, sondern sie liegt in sozusagen klinischer Anmut vor einer dunklen Wand.
Dass der - übrigens literarisch versierte - Vallotton die Welt wie durch eine Scheibe sah und selbst nicht teilzunehmen wünschte am Leben, das hat er immer wieder in sein Tagebuch geschrieben. So sind auch die Bilder: leergefegte Laboratorien mit menschlichen Wesen. Die Züricher zeigen nun zahlreiche, wenig schmeichelhafte Frauen-Porträts und Pariser Interieurs, ambivalente Schäferstündchen, Studien von Ehebruch und Verrat. Die Ausstellung dekuvriert diese immer noch bürgerliche Idylle, indem sie eine Reihe hysterisch wirkender Großformate in den Mittelpunkt stellt, mythologische Szenen, die allesamt den Geschlechterkampf zum Thema haben.
Perseus tötet zwar den Drachen, der bei Vallotton nur noch ein Krokodil ist, aber die gerettete Andromeda, eine fette Gesellschaftsdame, schaut sich nur träge nach ihm um. Mann und Frau sind kämpfend verkeilt, Orpheus wird von den Mänaden durchbohrt. Es ist die Angst vor der Frau, die bei Vallotton malerisch gebannt werden muss, indem er ihr in anderen Bildern dann jedes Leben absaugt. Die Stilleben mit Steaks und Schinken sind dann nur eine andere - und durchaus die herzlichere - Variante der Fleischbeschau.
Vallotton leiht sich, bei dogmatischer Ablehnung alles Impressionistischen, Elemente diverser Schulen aus oder nimmt sie vorweg, vom Jugendstil bis zum Hyperrealismus. Klassizismus, Fotografie, neue Sachlichkeit - alles kann man bei ihm sehen, das Verschwimmen zur Abstraktion wie beim späten Hodler in den Landschaften oder die nüchtern gehaltene Depression wie bei Edward Hopper. Frühere Ausstellungen haben das Marionettenhafte, Puppenhafte seiner Figuren betont oder, wie Rudolf Koella 2004 in Bern, die Metaphorik seiner Sonnenuntergänge.
Das alles ist im Züricher Werk-Durchlauf nun auch angetippt, ohne wirklich ausgeführt zu werden; in Erinnerung bleiben die Akte: scharfe Umrisse, glatte Flächen, fahle Farben, die von Leere und Leblosigkeit erzählen. Vivisektion einer Gesellschaft, die nicht nur Félix Vallotton damals wie erstarrt vorkam.