
Sorokin macht mit seinem "Der Schneesturm", der bereits im Titel auf gleichnamige Erzählungen von Puschkin und Tolstoi verweist, eine Fahrt durch das 19. Jahrhundert bis in ein hochtechnologisiertes Russland. Bei Sorokin kommen ein Landarzt wie von Tschechow und ein Stationsvorsteher wie aus Puschkins gleichnamiger Erzählung vor, und das Mobil, mit dem der Arzt Garin durch den Schneesturm zu einem von der Pest befallenen Dorf zu fahren versucht, verfährt sich mit einer Kufe in der Nase eines unterm Schnee liegenden toten Riesen, als sei es die herrenlose Nase, von der Gogol erzählte.
All dies und viele fantastische Details spielen bei Hartmann keine Rolle. Und auch die Reihenfolge und der Inhalt der Episoden sind verändert. Zu Beginn steigt ein Schauspieler mit Fuchsschwanzmütze in die enge Arena, über der ein roter Stern leuchtet, und erzählt, untermalt von einem Balalaika-Quartett:
"Ich bin Arzt, Platon Iljitsch Garin, und ich muss nach Dolgoje, wegen der Epidemie. Ich muss da heute noch hin."
Der Darsteller spricht das Publikum immer wieder direkt an und verkörpert, wie alle Darsteller, das heftige deutsche Darstellungsklischee "der" Russen. Die sind hier alle mächtig lebhaft und zappelig, sie brüllen aus ihren Pelzen heraus fast bis zur Unverständlichkeit und sprechen manchmal deutsch mit veralbernder russischer Färbung. Hier wird mit Klischees gespielt.
Natürlich kommen weder die 50 rebhuhnkleinen Pferde noch das von ihnen gezogene Mobil aus dem Roman auf die Bühne. Hartmann genügen zwei lange Gummibänder, die als Zügel bis in den höchsten Zuschauerrang gezogen werden. Von dort wird auch gelegentlich das Geschehen kommentiert, nachdem in einer munteren Aktion mit Hilfe des Publikums unzählige Plastiksäcke mit weißen Schnipseln auf der Bühne ausgeschüttet worden sind. In diesem knietiefen Schnee wühlt sich nun das vielköpfige Ensemble durch das Geschehen. Die Darsteller wechseln andauernd die Rollen, und der Albtraum von der Folter im Ölfass wird gleich von zwei Personen erlebt:
Frau: "Ich will hier raus, ich will hier raus. Lasst mich raus. Ich bin unschuldig."
Mann: "Der Kessel steht fest. Unerschütterlich."
Beide: "Ich bin unschuldig."
Was bei Sorokin einmal als Albtraum durch eine neuartige Droge hervorgerufen wird, durchzieht Hartmanns gesamte Inszenierung. Die, oft vom wunderbaren Gesang des Ensembles der russisch-orthodoxen Kirche St. Alexej aus Leipzig untermalt, unter die Erlebniserzählung der Schauspieler eine metaphysische Empfindungsebene legt. Die Inszenierung wirkt wie ein Requiem, das von einer Fahrt vom Leben zum Tod berichtet und die Zügel zeigt, an denen die Menschen und ihre Geschichte hängen. Dieser klug komprimierende Zugriff auf den Roman überzeugt ungemein. Und der Kegel aus Laserstrahlen, der die leidenden Menschen in ihrem Öltank umschließt, beeindruckt als ästhetisches Bedeutungszeichen.
Nicht alles aber ist so gelungen. Etliche Szenen, so am Schluss der Bericht über den Traum vom brennenden Haus und dem riesigen Schmetterling, sind für den des Romans Unkundigen kaum zu verstehen, andere, wie die erotische Begegnung des Arztes mit einer üppigen Müllerin, wird als ein vielfiguriges Körpergewusel im Schnee unendlich in die Länge gezogen.
Vor allem aber nervt der Grundgestus der Inszenierung, der brüllendes Erzähltheater mit mimisch-gestischem Gehampel zeigt, auf die Dauer von fast zweieinhalb zähen, pausenlosen Spielstunden. Doch es gibt ja immer wieder den Chor:
"Was zum Teufel ist das denn. Wir sind auf eine Pyramide gestoßen? Vielleicht die Kufenspitze ist gebrochen."
Der Roman gibt seinen Figuren eine Individualität, die ihnen Hartmanns Inszenierung, durchaus einleuchtend, verweigert. Nach der Erzählung vom brennenden Haus, die überflüssiger Weise von einem Live-Videofilmer, mit dem modischen Berufswollmützchen auf dem Kopf, auf den Rang übertragen wird, endet die ambitionierte Aufführung, indem sie das Scheitern der Menschen in desillusionierender Kälte zeigt. Das Publikum im ausverkauften Rund war beeindruckt.
All dies und viele fantastische Details spielen bei Hartmann keine Rolle. Und auch die Reihenfolge und der Inhalt der Episoden sind verändert. Zu Beginn steigt ein Schauspieler mit Fuchsschwanzmütze in die enge Arena, über der ein roter Stern leuchtet, und erzählt, untermalt von einem Balalaika-Quartett:
"Ich bin Arzt, Platon Iljitsch Garin, und ich muss nach Dolgoje, wegen der Epidemie. Ich muss da heute noch hin."
Der Darsteller spricht das Publikum immer wieder direkt an und verkörpert, wie alle Darsteller, das heftige deutsche Darstellungsklischee "der" Russen. Die sind hier alle mächtig lebhaft und zappelig, sie brüllen aus ihren Pelzen heraus fast bis zur Unverständlichkeit und sprechen manchmal deutsch mit veralbernder russischer Färbung. Hier wird mit Klischees gespielt.
Natürlich kommen weder die 50 rebhuhnkleinen Pferde noch das von ihnen gezogene Mobil aus dem Roman auf die Bühne. Hartmann genügen zwei lange Gummibänder, die als Zügel bis in den höchsten Zuschauerrang gezogen werden. Von dort wird auch gelegentlich das Geschehen kommentiert, nachdem in einer munteren Aktion mit Hilfe des Publikums unzählige Plastiksäcke mit weißen Schnipseln auf der Bühne ausgeschüttet worden sind. In diesem knietiefen Schnee wühlt sich nun das vielköpfige Ensemble durch das Geschehen. Die Darsteller wechseln andauernd die Rollen, und der Albtraum von der Folter im Ölfass wird gleich von zwei Personen erlebt:
Frau: "Ich will hier raus, ich will hier raus. Lasst mich raus. Ich bin unschuldig."
Mann: "Der Kessel steht fest. Unerschütterlich."
Beide: "Ich bin unschuldig."
Was bei Sorokin einmal als Albtraum durch eine neuartige Droge hervorgerufen wird, durchzieht Hartmanns gesamte Inszenierung. Die, oft vom wunderbaren Gesang des Ensembles der russisch-orthodoxen Kirche St. Alexej aus Leipzig untermalt, unter die Erlebniserzählung der Schauspieler eine metaphysische Empfindungsebene legt. Die Inszenierung wirkt wie ein Requiem, das von einer Fahrt vom Leben zum Tod berichtet und die Zügel zeigt, an denen die Menschen und ihre Geschichte hängen. Dieser klug komprimierende Zugriff auf den Roman überzeugt ungemein. Und der Kegel aus Laserstrahlen, der die leidenden Menschen in ihrem Öltank umschließt, beeindruckt als ästhetisches Bedeutungszeichen.
Nicht alles aber ist so gelungen. Etliche Szenen, so am Schluss der Bericht über den Traum vom brennenden Haus und dem riesigen Schmetterling, sind für den des Romans Unkundigen kaum zu verstehen, andere, wie die erotische Begegnung des Arztes mit einer üppigen Müllerin, wird als ein vielfiguriges Körpergewusel im Schnee unendlich in die Länge gezogen.
Vor allem aber nervt der Grundgestus der Inszenierung, der brüllendes Erzähltheater mit mimisch-gestischem Gehampel zeigt, auf die Dauer von fast zweieinhalb zähen, pausenlosen Spielstunden. Doch es gibt ja immer wieder den Chor:
"Was zum Teufel ist das denn. Wir sind auf eine Pyramide gestoßen? Vielleicht die Kufenspitze ist gebrochen."
Der Roman gibt seinen Figuren eine Individualität, die ihnen Hartmanns Inszenierung, durchaus einleuchtend, verweigert. Nach der Erzählung vom brennenden Haus, die überflüssiger Weise von einem Live-Videofilmer, mit dem modischen Berufswollmützchen auf dem Kopf, auf den Rang übertragen wird, endet die ambitionierte Aufführung, indem sie das Scheitern der Menschen in desillusionierender Kälte zeigt. Das Publikum im ausverkauften Rund war beeindruckt.