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Klischees prägen das Gedächtnis

Psychologie. - Wenn Fakten mit der Realität nicht mehr übereinstimmen, hat das Gehirn seinem Träger einen Streich gespielt. In der Erinnerung an Vorgänge verleiten Klischees und Stereotypen im Nachhinein zur Interpretation. Bei Zeugenaussagen aber muss man die Fakten vom Hineininterpretierten genau trennen. Dazu muss man verstehen, wie solche Vermischungen zustande kommen. Am Psychologischen Institut der Uni Bonn hat eine Wissenschaftlerin das Phänomen in einer Studie untersucht.

    Klischees hat wohl jeder Mensch mehr oder weniger verinnerlicht. Durch ständige gesellschaftliche Bestätigung zählen sie früher oder später zum unverbrüchlichen persönlichen Wertesystem. Und zwar auch dann, wenn konkrete Erfahrungen das Gegenteil belegen, so das Resultat der Bonner Studie, bei der 460 Versuchspersonen unter Laborbedingungen mit Stereotypen konfrontiert wurden. Die Probanden saßen dafür vor einem Computer und bekamen Bilder eines Skinheads und eines Sozialpädagogen gezeigt, berichtet die Leiterin der Studie Katja Ehrenberg: "Dazu gab es Verhaltensbeschreibungen, die angeblich Freunde und Bekannte der beiden jungen Männer gegeben haben. Im Anschluss werden die Probanden gebeten, Aussagen über die beiden wie beispielsweise "Hilft einer alten Frau über die Straße" oder "Hört nie zu, will immer nur selbst reden" den Männer zuzuordnen."

    Die entscheidende Frage war, an welche Aussagen sich die Probanden korrekt erinnerten und ob sie lückenhafte Aussagen entsprechend ihrer Stereotypen interpretierten. Ein Ergebnis: Insbesondere dann, wenn längere Zeit zwischen der Lern- und der Prüfphase verstrichen war, hatten die Testpersonen vor allem diejenigen Informationen vergessen, die ohnehin zu ihren Vorurteilen passten. "Das aber, was unerwartet war, haben sie sich sehr gut gemerkt", so Ehrenberg. Die Stereotypen entlasten so das Speichervermögen der Erinnerung. Allerdings tragen sie auch zu einer Verzerrung zugunsten konformer Informationen bei. Eine Verletzung der Erwartung - wenn etwa der Skinhead einer älteren Dame hilft - verlangt nach einer Erklärung - zum Beispiel der, dass die Dame einer rechtsextremen Partei angehört. Solche Erklärungen helfen, das Stereotyp aufrecht zu erhalten. "Dass das Gedächtnis für unerwartete Informationen sehr gut ist, beobachten wir immer wieder," so Katja Ehrenberg. "Das heißt aber nicht, dass sich der Stereotyp verändert. Man wird dann eine explizite Ausnahme machen."

    [Quelle: Mirko Smiljanic]