Es war nicht meine Entscheidung, Autorin zu werden. Es ist einfach so passiert. Ich habe als Krankenschwester in Jerusalem gearbeitet, auch das ist eines Tages so passiert. Eines Tages wollte ich unbedingt Schwester werden, habe die Ausbildung durchlaufen, Examen gemacht und in der Inneren Abteilung angefangen. Plötzlich war ich mit so viel Leiden konfrontiert. Ich war dazu erzogen, alles in der Welt für richtig zu befinden. Daß die Welt logisch konstruiert sei, daß alles Ursache und Wirkung habe. Aber bei der Konfrontation mit diesem ganzen Elend kam mir die Welt wie eine aggressive zufällige Erscheinung vor und nicht als etwas logisch Aufgebautes. So verlor ich meinen Glauben und fing an , Geschichten zu schreiben. Aber für mich ganz allein. Ich wollte keine Autorin werden. Es war eine Antithese zu meinem wirklichen Leben. Da habe ich keine Kontrolle, da kenne ich nicht den Plot, den Gott für mich geplant hat. Aber beim Erschaffen von Charakteren habe ich die vollständige Kontrolle. Ich entscheide, wer krank und gesund ist, ich entscheide, wieviel Traurigkeit und wieviel Glück es gibt. Es war wie ein Ausgleich. In meinen Romanen habe ich vollständige Kontrolle. Ich bin wie eine Miniatur Gottes für die Personen, die ich erfinde.
Mira Magens Protagonistin Ossi ist eine Rebellin. Die ausgebildete, aber nicht angestellte Lehrerin fahrt nicht nur in die Stadt, um ihre Ambitionen als Kneipenwirtin zu verfolgen, sondern leistet sich mit dem Gynäkologen Dr. Schejnfeld einen Liebhaber, mit Stammgast und Juwelier Elijahu dazu noch einen Verehrer mit Heiratsabsichten. Aber das sind nur Umwege auf dem Weg zum geliebten Elischa, dessen Vorleben mit der sagenumwobenen Alma sie aufs Genaueste zu ergründen versucht. Wie eine Kommissarin macht sich Ossi auf Spurensuche und findet heraus, daß die bildschöne vorbildhafte Alma in Wirklichkeit zwei Leben hatte. Alma war damals vor ihrer großen Liebe in der Stadt in die Arme Elischas aufs Land geflüchtet und damit in die Abgeschiedenheit und Sicherheit einer orthodoxen Gemeinde. Der Titel "Klopf nicht an diese Wand" stammt vom Eingang einer Grabhöhle aus dem 3. Jahrhundert. So lautet auch die brieflich ausgesprochene Warnung Almas an den verlassenen Geliebten, ihr neues Leben nicht mehr zu stören:
Ossi ist die Frau, die ich gerne wäre und niemals sein werde. Ossi ermöglicht mir ein alternatives Leben. Durch Ossi berühre ich Beschränkungen und Grenzen, denen ich mich m meinem wirklichen Leben nie nahem würde. Vielleicht liegt darin das Geheimnis des Schreibens. Daß es uns die Möglichkeit gibt, viele Personen zu sein. Denn jede Person ist in gewissem Sinne ich selber oder enthält Teile von mir. Durch Ossi kann ich zu Orten gehen, die ich in meinem wirklichen Leben nie erreiche. Deshalb habe ich sie erfunden. Durch Ossi kann ich viele Dinge sagen, bezweifeln und berühren. Im wirklichen Leben bin ich Alma viel näher als Ossi.
Das Paar Elischa und Alma und sein Umfeld steht letztlich für ein archaisches religiöses Israel, das die Gesetze Moses respektiert, das aber auch in magisches Denken und eine gefährliche Neigung zum Aberglauben verstrickt ist. Trotzdem geht eine große Kraft von den religiös gezeichneten Figuren aus, ein tieferes Wissen über die Dinge, eine innige Naturverbundenheit, die sich auch in Magens liebevoller Detailbeobachtung spiegelt. Darin besteht auch der literarische Reichtum des Erstlingsromans, dem längst zwei weitere gefolgt sind. In geradezu lyrischen Romanpassagen entfalten sich die widerstreitenden Gefühle der Protagonistin Ossi, hin- und hergerissen zwischen Aufbegehren und Verflochtensein mit ihrer ländlichen Herkunft. Die beiden Frauen Ossi und Alma sind auf diesem Hintergrund als eine Art Gegensatzpaar angelegt, das wiederum wie in einer Allegorie die großen Konflikte dieses kleinen Landes vertritt, die nie offen angesprochen werden. Ossi ist jedoch von Anfang an zur Gewinnerin ausersehen, weil sie das Alte und das Neue leben und ihre Erfahrungen zu einer neuen Qualität vereinen kann.
Die Opfer heißen Alma und ihre hochneurotische Tochter Heda. Mit ihren selbstzerstörerischen Handlungen und mit ihrem ritusgetreu geschorenen Kopf erscheint Heda für Außenstehende, für uns Leser, nicht nur als traumatisierte Waise, sondern auch als Opfer fundamentalistischer Verhältnisse. "Klopf nicht an diese Wand" ist ein mit verhaltener Leidenschaft geschriebener Roman, der durch seine genaue Milieuschilderung und seine Hochachtung vor der Reinheit und Demut einer orthodoxen Lebensführung besticht, die er gleichzeitig von Grund auf in Frage stellt.