Archiv


Klug kombiniert

Mathematik. - Am kommenden Wochenende wird in Berlin kurz vor der Fußball-WM der neue Hauptbahnhof eröffnet. Wer dort ankommt, ist aber meist noch nicht am Ziel, sondern setzt seine Reise beispielsweise mit den U-Bahnen und Bussen der Berliner Verkehrsbetriebe BVG fort. Damit auch diese Fahrt möglichst schnell absolviert ist, hat die BVG ihren Fahrplan von Mathematikern des Matheon-Instituts optimieren lassen.

Von Wolfgang Noelke |
    Täglich mehr als zwei Millionen Mal steigen die Berliner ein in Busse, Straßenbahnen, S- und U-Bahnen oder sie steigen um zwischen diesen Nahverkehrsmitteln. Was Touristen und Neuberliner immer wieder erstaunt: Mit dem öffentlichen Nahverkehr erreicht man in der 3,2-Millionen-Stadt die meisten Ziele schneller als mit dem Auto.

    Die innerstädtische Reisezeit habe sich seit zwei Jahren sogar kräftig verkürzt und sparen konnten die Berliner Verkehrsbetriebe, BVG, dabei auch noch, freut sich Professor Rolf Möhring, Leiter einer Arbeitsgruppe, namens "Kombinatorische Optimierung und Graphen-Algorithmen":

    " Bei dem U-Bahn-Fahrplan in der verkehrsschwachen Zeit, im 10-Minuten-Takt, da sah es so aus, dass etwa die Haltezeit von Zügen um etwa 30 Prozent reduziert wurde, dass die Umsteige-Wartezeit insgesamt um zwölf Prozent reduziert wurde, über alle Fahrgäste zusammen gesehen und dass wir sogar noch einen ganzen Zug eingespart haben."

    Ein Zug, der täglich unnötig mitgefahren war in dem vorher gültigen, von Hand gestrickten Fahrplan. Handgestrickt kann man durchaus wörtlich nehmen und dabei wäre die Gefahr einer Sisyphos-Arbeit besonders groß:

    " Man muss so einen Fahrplan mühsam konstruieren und dann kann man ihn ansehen in Bezug auf die Umsteige-Wartezeit und dann sieht man auch, an welchen Bahnhöfen man auch etwas nachregulieren muss, weil die Anschlüsse schlecht sind. Und dann fängt man an, eine Linie etwas zu verschieben in der Zeit, um dann zu gucken, ob das nicht zu einer Verbesserung führt. Aber dann kann es an einer anderen Stelle, in der Verschiebung einer Linie kann es im Bahnhof A zu einer Verbesserung führen, beim Umstieg, aber im Bahnhof B zu einer Verschlechterung! Und der manuelle Planer fängt dann vielleicht da wieder an zu planen, am Bahnhof B, wo jetzt die Verschlechterung war. Er kriegt dann eine Veränderung im Bahnhof C und wenn er das so weitermacht, kann es sein, dass er dann wieder am Bahnhof A angelangt und sieht: Jetzt muss ich da aber auch verschieben. Das heißt, man kriegt durchaus so kreisförmige Verbesserungsmöglichkeiten, die ausgetestet werden, aber am Ende zu nichts führen."

    Wie sich die Bahn AG auf ihren neuen Berliner Hauptbahnhof eingerichtet hat, kann Professor Möhring nicht sagen. Matheon war an der Fahrplanerstellung nicht beteiligt. Auffällig ist nur, dass ein ICE, der im nicht weit entfernten Bahnhof Zoo bislang nur wenige Minuten hält, dann im neuen Hauptbahnhof künftig zehn Minuten stehen bleiben muss - aus fahrplantechnischen Gründen.

    Den nach dem von Matheon entwickelten für die Berliner Verkehrsbetriebe erstellten Fahrplan umzustellen, sei nicht sehr kompliziert. Selbst wenn die Berliner ihren neuen Hauptbahnhof künftig ohne U-Bahn-Anbindung erreichen müssen: Die dort entstehende Mehrbelastung der Busse und der S-Bahnen ließe sich in dem streng mathematischen Modell schnell errechnen. Gewisse Puffer seien sowieso vorgesehen. Man habe sogar die unterschiedlichen Tagesrhythmen der Berliner Bevölkerung berücksichtigen können: Die Ostberliner sind nämlich früher ausgeschlafen als die Westberliner. Infolgedessen würden sich morgens die Verkehrsspitzenzeiten kontinuierlich von Ost nach West verschieben.

    " Da kann man feststellen: Wir brauchen die Busse zum Beispiel in Köpenick früher als in Zehlendorf. Und dann wird man natürlich Busse so fahren lassen, dass sie erst mal die Linien in Köpenick bedienen, dann ihre Identität wechseln, rüber fahren in den Westteil und dort als eine andere Linie weiterfahren. Dadurch schafft man es, den Gesamtbedarf an Busverkehr abzudecken, mit einer kleinen Zahl von Bussen."

    Forschungsbedarf sieht Professor Möhring noch in der Bewältigung unvorhergesehener Spitzenzeiten. So genannte Puffer-, also Ersatzzüge und Busse setzt man bislang nur an Endhaltestellen und Bahnhöfen ein. Ein Ziel ist es, das auf der gesamten Strecke zu ermöglichen. Schnelle und effektive Umleitungen zu gewährleisten, beispielsweise, wenn nach einem Unwetter ganze Strecken gesperrt werden müssen, sind die nächsten logistischen Matheon-Ziele.