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Kluge Brummer?

Bienen gelten als Paradebeispiel für eine intelligent organisierte soziale Gemeinschaft. Fasziniert haben die Wissenschaftler daher jahrzehntelang die Formen ihrer Arbeitsteilung und Kommunikation studiert. Die Biologen erforschen nach den sozialen nun auch die kognitiven Fähigkeiten der Tiere: Wie klug ist eigentlich die Einzelbiene?

Von Martin Hubert | 01.05.2006
    Eine Höhle im Baum. Oder ein Kasten, den Imker zur Verfügung stellen - mehr brauchen Honigbienen nicht. Exakt in der Senkrechten bauen sie ihre Waben hinein.

    Was sie dann noch zu tun haben, wissen die kleinen, gelbschwarz gestreiften Insekten offenbar genau. Nektar sammeln, Nachwuchs füttern, den Stock bewachen, die Königin begleiten.

    Das Bienenvolk - ein perfekt organisierter Organismus. Die Forscher sind oft selbst von dem überrascht, was sie in der Tiefe des Stockes finden.

    Ein merkwürdiges Quaken. Ein Ruf ? Eine Aufforderung?

    Der Rufer scheint allein zu sein.

    Plötzlich: Doch eine Antwort.

    Es klingt wie ein Tüten.

    Jetzt haben sich die beiden Rufer gefunden. Ein Dialog beginnt. Erst vorsichtig, dann immer schneller, immer wilder. Ein Tüten, Quaken und Bellen, als habe man schlafende Hunde geweckt.

    Zu hören ist: ein Wechselgesang zwischen Bienenköniginnen, aufgenommen mit Hilfe eines Laser-Doppler-Vibrometers, der allerfeinste Schwingungen auf der Wabenoberfläche registriert und hörbar macht. Es ist ein Dialog von höchster Wichtigkeit. Eine junge Königin, die gerade schlüpfen will, warnt die alte Königin im Stock, möglichst bald mit ihrem Schwarm auszuziehen. Die alte Königin antwortet mit Tüt-Lauten und signalisiert damit: Gemach! Bleib in deiner Zelle, bis ich ausgezogen bin!

    Ein außerordentlich kluger und - aus menschlicher Warte - vernünftiger Dialog, ein Prachtbeispiel für intelligente Konfliktvermeidung, aufgenommen am Zoologischen Institut der Universität Würzburg. Inzwischen haben die Würzburger Forscher weitere verblüffende Beispiele dokumentiert.

    Wieder eine Art Ruf: es hört sich an wie ein Piepen, hell aber energisch.

    Die Antwort: gewaltig. Es klingt, als habe die Leiterin einer asiatischen Kampfsportgruppe einen kurzen Befehl gegeben - und jetzt führt die Gruppe die Technik mit lautem Zischen aus.

    Zu hören ist der Dialog zwischen einer asiatischen Zwerghonigbiene und ihren Genossinnen.

    Die asiatische Zwerghonigbiene lebt im Gebiet zwischen Oman und Indonesien. Als Nest baut sie sich um Baumzweige herum eine einzige Wabe, die bis zu 35 cm hoch und einen halben Meter breit sein kann. Auf der Oberseite dieser halbmondförmigen Wabennests befindet sich eine Art Tanz- und Landeplattform. Entdeckt eine der Bienen in der Umgebung der Wabe einen Fressfeind - Ameisen, Reptilien oder Vögel - dann fliegt sie sofort auf diese Plattform und erzeugt dort mit eifrigem Flügelschlag ein Warnsignal: das Piepen:

    Die Genossinnen im Stock melden dann kollektiv zurück: Warnsignal angekommen! Wir halten still und fliegen nicht aus!

    Ein solcher akustischer Alarm-Dialog zwischen einer Einzelbiene und dem ganzen Kollektiv ist in dieser Form bisher von keiner anderen Insektenart bekannt geworden. Das Team um den Jürgen Tautz nahm ihn mit Hilfe so genannter Mikroakzeleratoren auf. Das sind Geräte, die man auch bei Sicherheitsgurten einsetzt. Sie registrieren, wie schnell sich Schwingungen beschleunigen und das lässt sich auch in Töne umsetzen.

    Warum funktioniert beim Bienenvolk alles so reibungslos? Die herkömmliche Sichtweise besagt: der Staat ist alles - und die einzelne Biene dient ihm wie ein Roboter, der reflexhaft seine Aufgaben erfüllt. Doch neuere Forschungen lassen die Wissenschaftler daran zweifeln, ob man die Einzelbiene tatsächlich nur als einfach programmierten Roboter betrachten soll. Denn die Regeln des Zusammenspiels zwischen den Bienen sind zum Teil wesentlich komplexer als die Forscher bisher dachten.

    Das biologische Institut der Universität Würzburg liegt in einem großen Komplex weißer Bauten auf einem kleinen Berg oberhalb der Stadt. Ein schmaler Pfad führt vom Institut durch grüne Wiesen. Nach etwa zehn Minuten trifft man auf ein ehemaliges Wohnhaus. Hier, mitten in der Natur, arbeitet die "Bienengruppe" von Jürgen Tautz - unter einem Dach mit rund 4000 Bienen.

    Vor einigen Jahren hatten die Wissenschaftler eine Königin geraubt und ihr zwischen zwei Glasplatten im ersten Stock des Hauses nur wenig Raum zur Verfügung gestellt. Die Königin brütete daraufhin auf zwei Waben ein relativ kleines Volk aus. Diese Bienen leben nun mitten im Labor unter Wissenschaftlern, können durch Ausgänge ins Freie fliegen, verrichten dort ihre Sammelgeschäfte und kehren wieder ins Forschernest zurück.

    Das künstliche Bienenvolk zwischen Glasplatten wird natürlich ausführlich wissenschaftlich belauscht und beobachtet. Zum Beispiel beim Schwänzeltanz, bei dem eine in den Stock zurückkehrende Biene den anderen kund tut, wo sich eine neue, gute Nektarquelle befindet.

    Lange Zeit galt der Schwänzeltanz unter Bienenforschern als aufgeklärt: Die Schwänzelbiene läuft in einer großen Acht auf dem Tanzboden einer Wabe umher und die anderen Bienen wuseln um sie herum. Die Waben hängen exakt senkrecht. An ihnen orientieren sich die Bienen. Bewegt sich die Schwänzelbiene zum Beispiel vom imaginären Schwerkraftpfeil der Wabe aus um 80 Grad nach links, dann heißt das: wenn ihr den Stock verlasst, müsst ihr in einem Winkel von 80 Grad von der Sonne wegfliegen, dann findet ihr Blüten. Die Entfernung zur Nektarquelle gibt die Schwänzelbiene durch den Rhythmus und die Dauer ihrer Läufe an. Eine großartige Tanzmechanik, bei der Informationen zwischen den einzelnen Bienen übertragen werden.

    Ein Problem des Schwänzeltanzes jedoch ging Jürgen Tautz von der Universität Würzburg nicht aus dem Kopf : Woher wissen die Bienen im Stock eigentlich, dass eine heimgekommene Biene auf dem Tanzboden zu schwänzeln beginnt? Sehen können sie nicht, denn wenn es sich nicht gerade um einen künstlich hergestellten Bienenstock handelt, ist der Stock völlig dunkel. Und da Bienen kein Trommelfell besitzen, können sie auch keinen Schall über größere Entfernungen hören.

    Jürgen Tautz hatte einen Verdacht: die sechseckigen Zellen der Bienenwabe könnten die Schwingungen der Tänzerin weiterleiten. Tatsächlich fand er Indizien dafür, dass die Bienen ihr Wachs als eine Art Telefonnetz nutzen.

    " Die Tänzerin erzeugt im Dunkeln Pulse, kurze Schwingungspulse, die so bei 270 Schwingungen pro Sekunde liegen, die in einem regelmäßigen Rhythmus abgegeben werden, also etwa so: sst - sst - sst. Das hören wir nicht, weil während dieser Schwingungspulse, die mit der Flugmuskulatur generiert werden - das ist die stärkste Maschine, die der Biene zur Verfügung steht - werden die Flügel ausgekoppelt. Das ist so, wie wenn sie in ihrem Fahrzeug sitzen würden und Kuppelung und Gas gleichzeitig treten würden. Diese Schwingungen, die im Brustabschnitt des Bienenkörpers erzeugt werden, werden nun über die Beine über den Körper in den Boden geleitet und das während des Tanzvorgangs. "

    Diese Pulse würden allerdings wirkungslos verpuffen, wenn eine Biene wirklich - wie bisher angenommen - beim Schwänzeltanz laufen würde. Jürgen Tautz drängte sich daher ein weiterer Verdacht auf: der Schwänzeltanz der Honigbiene ist gar kein richtiger Tanz oder Lauf, sondern ein "Schwänzelstand".

    " Also das ist auch eine für uns überraschende Einsicht gewesen, die mit extremen Zeitlupenkameras festgestellt wurde: dass die Biene während der Schwänzelstrecke sich auf all ihren sechs Füßen, solange sie es schafft, an den Rändern der Zellen festklammert. Sie schwänzelt dabei mit dem Körper links und rechts, schiebt den Körper auch vorwärts, so kommt dann der Eindruck auch zustande, dass sie laufen oder rennen würde in dieser Zeit. Sie stoppt dann am Ende der Schwänzelstrecke, läuft dann tatsächlich in einem Halbkreis zur Ausgangsposition wieder zurück und das Spiel wiederholt sich. "

    Der Schwänzeltanz: kein Lauf, bei dem Bienen ihre Beine heben, sondern eine Art Körperschubbewegung auf sechs starren Beinen. Die Hauptfunktion: Druck auf die Ränder der sechseckigen Wabenzellen weiterzugeben, sodass die Pulse im Wachs wie in einer Telefonleitung "weiterschwingen" können. Ohne diese Schwingungen gibt es keinen kollektiven Schwänzeltanz.

    " Und wir haben im Augenblick die Vorstellung, dass in diesem Schwänzeltanz diese Schwänzelstrecke nur dazu dient, diese hochfrequenten Pulse sehr effektiv in das Telefonnetz hineinzubringen. Die aufnehmenden Bienen besitzen an ihren Extremitäten bestimmte Sensillen, schwingungsempfindliche Sinneszellen, die diese Pulse wahrnehmen können und die dafür sorgen, dass die Bienen, die interessiert sind, Futter zu kriegen, zu dieser Tänzerin hingehen. Der eigentliche Austausch von Information über Richtung und Entfernung findet dann im direkten Kontakt statt. "

    Die Entfernung etwa, die die Bienen zurücklegen müssen, zählen sie dann sozusagen durch die Pulse ab, die die Schwänzelbiene beim Tanz aussendet.

    Der Schwänzeltanz ist also offenbar ein noch komplexeres Geschehen, als bisher angenommen. Und die Ehrfurcht der Forscher vor den kognitiven Leistungen der Bienen nahm noch mehr zu, als sie sich einer weiteren offenen Frage widmeten: Woher weiß die schwänzelnde Biene eigentlich selbst, wie weit die Blüten entfernt sind?

    Vor dem ehemaligen Wohnhaus der Bienengruppe in Würzburg liegt eine große Streuobstwiese. Zwischen den Bäumen, Blumen und Gräsern stehen mehrere Kästen, ganz normale Imkerstöcke. Dort zimmerte das Team um Jürgen Tautz für die gelben Brummer aus drei einfachen Brettern eine ganz spezielle Rennstrecke: eine dreieckige, etwa vier Meter lange und 10 cm enge Rinne.

    Ziel des Rinnenbaus war es, der Entfernungsmessung der Bienen auf die Spur zu kommen. Die Forscher dressierten zunächst eine Biene darauf, durch diese Rinne zu fliegen

    " Die Wände der Rinne waren mit einem Schwarz-Weiß -Muster beklebt und wenn Bienen entlang dieses Musters durch diesen engen Tunnel vier Meter weit zum Futterplatz hingeflogen sind und wieder direkt zurück in den Stock, dann zeigten sie im Stock einen Schwänzeltanz. "

    Das Verblüffende an diesem Schwänzeltanz war: Obwohl die Rinne nur vier Meter lang war, zeigte er eine Futterquelle an, die siebzig Meter vom Stock entfernt sein sollte. Das ließ sich nur mit der Beschaffenheit der Rinne erklären, also mit ihrer inneren Verkleidung. Das Würzburger Forscherteam beklebte daraufhin den Flugtunnel der Bienen mit verschiedenen Schwarz-Weiss-Mustern. Und nach etlichen weiteren Flügen war der Entfernungsmesser der Bienen gefunden:

    " Es ist der so genannte optische Fluss, der dahinter steckt: die Folge an Bildern, die an einer fliegenden Biene vorbei gleiten. Sie muss gar nichts erkennen können, es ist also nur eine Abfolge von Kanten im Grunde genommen, es muss nur eine Folge von hellen und dunklen Bildern da sein. "

    Beim Schwänzeltanz gibt die Schwänzelbiene an ihre Stockgenossinnen die Zahl der dunklen und hellen Kanten weiter, die sie passieren müssen, um an die neue Futterquelle zu kommen.

    Heißt dass, das Bienen zählen können? Irgendwie gelingt es ihnen ja, die Anzahl der Kanten und Kontraste in der Umwelt richtig einzuschätzen. Allerdings glauben die Forscher nicht, dass die Bienen die Kanten und Kontraste rechnerisch aufaddieren. Sie meinen eher, dass die Tiere einen ganzheitliche Film der aufeinander folgenden Kontraste abspulen, der zwar rechnerisch nicht völlig exakt ist, aber für ihre Zwecke ausreicht. Noch ist unbekannt, was dabei im winzigen Gehirn der Bienen genau abläuft. Es besitzt nur einige Millionen Nervenzellen - zehntausendmal weniger als der Mensch. Dass die Honigsammler damit jedoch einiges anzufangen wissen, zeigen noch weitere Experimente.

    Weit außerhalb von Berlin im ruhigen Elbtal bei Wittenberge stehen einzelne Imkerkästen in der Landschaft. Dort können Honigbienen, bevor sie zum ersten mal Nektar sammeln, ungestört ihren Jungfernflug machen. Ihr erster Auslug ist immer ein Orientierungsflug in die Umgebung des Stocks. Sie fliegen mal da und mal dorthin und merken sich dabei bestimmte Landmarken in der Natur : hier ist der hohe Baum, da der Bach, dort die helle Wiese. Ganz unbeobachtet bleiben die Bienen dabei aber nicht: denn die Imkerkästen im Elbtal stammen von Berliner Zoologen.

    Professor Randolf Menzel von der Freien Universität Berlin hat im Elbtal nachgewiesen, dass die Bienen ein solches Landschaftsgedächtnis ausbilden. Dieses nutzt er in weiteren Experimenten, um festzustellen, in welchem Ausmaß Bienen zu Entscheidungen fähig sind.

    " Man nimmt eine Biene, die an keiner Futterstelle bisher gesammelt hat, aber die solche Orientierungsflüge gemacht hat. Die besitzt also ein solches Landschaftsgedächtnis und sie beobachtet eine tanzende Biene. Diese tanzende Biene teilt ihr mit: in 200 Metern im Osten gibt es eine Futterstelle: Flieg dorthin! Dann nehmen wir diese Biene, die diese Information hat und tragen sie zu einer Stelle, wo sie nicht erwartet zu starten, also weg von ihrem Stock, kleben ihr eine kleine Antenne auf, sodass wir sie über einen Kilometer gut verfolgen können mit einer Radaranlage, und nun schauen wir, was sie tut. "

    Die Biene fliegt dann tatsächlich genau 200 Meter Richtung Osten und kehrt daraufhin wieder an die Stelle zurück, an der man sie ausgesetzt hat. Dort ist sie aber keineswegs ratlos und verwirrt, sondern führt ein paar kreisförmige Suchflüge durch, bis sie eine ihr bekannte Landmarke erkannt hat. Dann fliegt sie innerhalb weniger Minuten schnurstracks nach Hause zurück. Das ist schon eine Leistung.

    " Es stellt sich aber heraus: Die Bienen können sehr viel mehr! Denn wenn man ein solches Versetzungsexperiment mit einer Radarantenne macht, wenn die Bienen an eine Futterstelle dressiert waren, dann kann eine Biene entscheiden, entweder zur Futterquelle oder zum Stock zurückzufliegen: ungefähr ein Drittel der Tiere fliegen zur Futterquelle zurück, und zwei Drittel fliegen zum Stock zurück. In großen Entfernungen - nicht, dass sie auf ein Ziel zufliegen würden, sie sieht die Ziele alle nicht! Sie kann das nur durch eine örtliche Festlegung machen, wo sie jetzt gerade ist."

    Die Bienen sind mit Hilfe ihres kartenähnlichen Landschaftsgedächtnisses nicht nur in der Lage, an einem willkürlich gewählten Ort festzustellen, wie sie nach Hause oder zum Futterplatz kommen, sondern sie können sich auch für eine der beiden Alternativen entscheiden. Dann aber, folgert Randolf Menzel, muss das Bienengehirn fähig sein, Inhalte innerlich zu repräsentieren:

    " Wir sagen also: Repräsentationen sind Formen des Gedächtnisses, in denen Operationen stattfinden können, die eine Entscheidung nach sich ziehen und in diesem Fall bedeutet es: das Gedächtnis, die Repräsentation hat eine Struktur, die das Tier in die Lage versetzt, zwischen zwei Optionen - vielleicht für viele mehr, die wir gar nicht getestet haben - aber mindestens zwischen 2 Optionen von Flügen, um sie anzuwenden. "

    Die Hirnstrukturen, die das ermöglichen, hat man bei der Honigbiene noch nicht identifizieren können. Aber auch ohne diese neuronale Absicherung scheint einigermaßen klar zu sein, dass die Tiere fähig sind, Inhalte zu repräsentieren und flexibel mit ihnen umzugehen. Das widerspricht dem Bild von der Einzelbiene als einem bloß reflexhaften Roboterwesen natürlich beträchtlich. Die Frage ist nur: Berechtigt es schon zur Behauptung, dass das Bienengehirn über ähnliche kognitive Fähigkeiten wie das menschliche Gehirn verfügt?

    " Der Begriff der Kognition ist ein Modewort im Moment und umfasst sehr viele unterschiedliche Dinge. Also man kann nicht sagen, was "Kognition" eigentlich bedeutet. "

    Christa Neumeyer, Professorin für Neurobiologie am Zoologischen Institut der Universität Mainz, hält nicht allzu viel davon, den allgemeinen und recht vagen Begriff der "Kognition" vorschnell auf die Bienen anzuwenden. Sie plädiert dafür, pragmatisch vorzugehen und erst einmal der Reihe nach zu untersuchen, welche Leistungen die Biene überhaupt auf welchen Gebieten vollbringen könne: beim Wahrnehmen, Erkennen, Entscheiden, Unterscheiden oder Kommunizieren.

    Dazu hat sich Christa Neumeyer mit Adrian Dyer von der australischen La Trobe University in Melbourne zusammengetan.

    Kleine, eintönig bemalte Plättchen bilden im Labor von Christa Neumeyer einen grauen Hintergrund. Darauf prangt - etwa handtellergroß - ein blauer Stern. Bienen werden auf diesen Stern dressiert, d.h. sie bekommen immer nur dann Zuckerwasser, wenn sie ihn anfliegen. Fliegen sie dagegen auf die graue Hintergrundfläche, bekommen sie nichts. Nach einigen Versuchen fliegt die Biene nur noch auf den Stern.

    Ziel dieses Experiments, dessen Idee von Adrian Dyer stammt, war es herauszubekommen, wie stark sich die Kontrastwahrnehmung der Biene von der des Menschen unterscheidet.

    " Und dann haben wir den Stern in feinen Schritten immer weniger blau gemacht, immer mehr dem Hintergrund angeglichen und gekuckt, bei welchem Stern können sie gerade noch dieses Plättchen mit Stern von dem ohne Stern unterscheiden. Und das war so, dass es für uns auch gerade noch sichtbar was, also diesen Stern konnten wir gerade noch sehen, aber er war sehr schwach, und das hat uns auch gewundert, dass die Biene das so hervorragend kann und deswegen haben wir uns damit auch noch nicht so beschäftigt gehabt. "

    " Solche Erkenntnisse machen Wissenschaftler natürlich neugierig. "

    Adrian Dyer wollte tatsächlich wissen, ob Honigbienen in der Lage sind, menschliche Gesichter zu erkennen.

    Hinter einem Gefäß mit Zuckerwasser steht die Fotografie eines menschlichen Gesichts. Eine Biene fliegt so lange dorthin, bis sie darauf dressiert worden ist. Daraufhin wird das Zuckerwasser entfernt und neben das Foto wird ein relativ grob gezeichnetes Cartoongesicht gestellt. Die Biene kümmert das nicht. Sie fliegt weiterhin ohne Zögern zum menschlichen Gesicht.

    Adrian Dyer schloss daraus, dass Honigbienen natürliche menschliche Gesichter von Cartoongesichtern unterscheiden können.

    " Dann stellten wir der Biene die Aufgabe, Fotos von menschlichen Gesichtern zu unterscheiden, die sich sehr ähneln. Wir nahmen dazu Bilder, die auch für Tests zur Gesichtserkennung beim Menschen genommen werden. Aber auch das gelang der Biene. Noch überraschender war für uns, dass die Biene das ursprüngliche Gesicht auch dann erkennen konnte, wenn sie es mit völlig neuen Gesichtern vergleichen musste, die sie vorher noch nie gesehen hatte. "

    Natürlich wusste die Biene nicht, dass das, was sie da sah, ein menschliches Gesicht ist. Die Gesichter, die sie in den Experimenten wahrnahm, waren für sie wohl eher äußerst merkwürdige Blumen. Entscheidend war aber, wie fein die Beinen die recht komplexe Gestalt menschlicher Gesichtern identifizieren konnte.

    " Wie bei Gesichtserkennungstests mit Menschen üblich, stellten wir die Gesichter auch für die Biene auf den Kopf. Und da wurde die Erkenntnisleistung der Bienen merklich schlechter - wie beim Menschen. Wir nehmen daher an, dass die Biene Informationen verarbeitet hat, indem sie sich nicht einfach ein bestimmtes Merkmal des Gesichts oder zum Beispiel seinen Helligkeitsgrad merkte. Vielmehr hat sie offenbar mehrere Gesichtsmerkmale wie Augen, Nase und Mund zueinander in Beziehung gesetzt. "

    Im Sommer öffnet Randolf Menzel mit seinen Mitarbeitern im biologischen Institut der FU Berlin ab und zu ein Fenster eines Seminarraums. Draußen stehen auf einer Wiese Bienenstöcke. Im Seminarraum werden dann Platten aufgestellt, die mit merkwürdigen abstrakten Linien bemalt sind. Erst auf den zweiten Blick kann man erkennen, dass es sich bei manchen dieser schwarzen Linienmuster um spiegelsymmetrische, bei anderen um nichtsymmetrische Muster handelt.

    Obwohl keine der bemalten Platten einer anderen glich, ließen sich die Bienen bei solchen Versuchen darauf dressieren, immer nur auf ein symmetrisches oder ein unsymmetrisches Muster zu fliegen - je nachdem, wo sie vorher belohnt worden waren.

    Heißt das, dass Bienen tatsächlich die abstrakten Prinzipien von Spiegelsymmetrie und Nichtsymmetrie verstehen können ?

    " Nun würde man sagen, das ist vielleicht noch eine Form von Generalisierung: Man macht sozusagen nach der Ähnlichkeit etwas. Man kann das ausschließen. Stellen sie sich folgende Situation vor: Wenn ich zuerst diese Aufgabe stelle ,"symmetrisch" gegen "nichtsymmetrisch", dann braucht sie ziemlich lange, sie muss auf ungefähr zehn verschiedene Muster von Symmetrie gegen Nichtsymmetrie dressiert sein. Wenn sie es dann kann und das kann sie dann plötzlich von einem Moment zum nächsten, dann drehe ich die Aufgabe um und sage: jetzt nachdem sie vorher auf Symmetrie dressiert gewesen war, dass sie jetzt auf Nichtsymmetrie fliegen soll und dann macht sie das sofort. "

    Es scheint also tatsächlich so zu sein: Die Honigbiene kann regelhaft abstrahieren. Sie ist nicht nur in der Lage, Symmetrie von Nichtsymmetrie zu unterscheiden, sondern auch, eine Regel sowie die Umkehrung dieser Regel zu verstehen.

    Das klappt auch bei komplizierteren Versuchsanordnungen.

    " Wir zeigen ihr eine Farbe: Da fliegt sie durch ein Tor hindurch, was ringsherum sagen wir blau hat und anschließend kommt sie an eine y-förmige Aufkreuzung und an dem einen Schenkel ist blau gezeigt und an dem anderen ist gelb gezeigt. Nun belohnen wir sie immer bei blau, wenn sie blau gesehen hat und bei gelb, wenn sie gelb gesehen hat. Sie lernt diese Aufgabe, sie kann also etwas, was sie unmittelbar vorher übernommen hat, als eine Regel anwenden, um nachher eine Entscheidung zu treffen. "

    Wenn eine Biene dieses Prinzip am Beispiel von Farben erlernt hat, kann sie es auch auf senkrechte und horizontale Streifen anwenden, selbst wenn sie diese vorher nie gesehen hat: Sie fliegt zum gleichen Streifenmuster, um ihre Belohnung abzuholen.

    " Und sie kann sogar - was Mäusen sehr schwer fällt - zwischen visuellen Reizen und Düften transferieren: wenn sie also zum Beispiel einen visuellen Reiz gelernt hat und nun gibt es gar keinen visuellen Reiz mehr, aber an der Durchfliegestelle gibt es einen Duft und an der Kreuzung gibt es zwei Düfte, dann wählt sie entweder denselben oder den verschiedenen Duft, gerade wie sie dressiert worden war. "

    Und das funktioniert wiederum auch dann, wenn die Wissenschaftler das Prinzip umkehren: du kriegst die Belohnung, wenn du nicht zum gleichen, sondern zum ungleichen Duft, Streifen oder Farbfleck fliegst.

    Honigbienen können abstrakte Muster voneinander unterscheiden, regelhaft Entscheidungen treffen und dabei Regelumkehrungen rasch verstehen und anwenden.

    Das hat auch Jürgen Tautz gemeinsam mit Fiola Bock in Würzburg herausgefunden. Bei ihm mussten die Bienen durch zwei verschiedene Muster hindurchfliegen, um dann an einer nachfolgenden Stelle zu entscheiden, hinter welchem Muster die Belohnung auf sie wartet. Sie hatten dabei die Regel zu begreifen "Beachte immer das erste Muster und ignoriere das zweite" - oder umgekehrt. Die Bienen lernten es.

    Solche Ergebnisse haben Jürgen Tautz veranlasst, von "Bienen-Intelligenz" zu sprechen. Randolf Menzel warnt jedoch ähnlich wie Christa Neumayer davor, den Bienen allzu schnell quasi-menschliche Eigenschaften anzudichten. Sein Vermittlungsvorschlag lautet: Es wäre zwar vermessen, der Honigbiene menschenartige Intelligenzleistungen zuzuschreiben, aber:

    " Wenn wir einen Roboter konstruieren würden, so einen Roboter würden wir uns wünschen, der so etwas auch kann. "

    Jedenfalls besteht unter den Bienenforschern weitgehend Einigkeit darüber, dass die Kluft zwischen den geistigen Fähigkeiten der höheren Wirbeltiere und den Insekten und Bienen doch kleiner zu sein scheint, als bisher angenommen. Und dass man in Zukunft der Einzelbiene mehr Aufmerksamkeit schenken sollte als bisher.