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Kluges Skalpell

Medizintechnik. - Einen Tumor aus dem Köper herauszuschneiden ist für Chirurgen tägliche Routine. Allerdings ist es oft schwer zu entscheiden, wo genau die Grenze zwischen gesundem und entartetem Gewebe verläuft. Deshalb schicken die Chirurgen während der Operation kleine Gewebeproben in die Pathologie. Das kann 20, 30, 40 Minuten dauern. Laut einem Artikel in "Science Translational Medicine" könnte das bald schneller gehen.

Von Volkart Wildermuth |
    Chirurgen verwenden nicht nur scharfe Klingen, häufig schneiden sie auch mit dem Elektroskalpell. Das ist im Grund eine Elektrode, über die hochfrequenter Wechselstrom fließt. Der erhitzt das Gewebe, durchtrennt es dabei und verschließt gleichzeitig noch kleine Blutgefäße. Bei dieser Operationsmethode steigt immer ein wenig Dampf oder Rauch auf, für die Chirurgen eher störend, in den Augen von Dr. Zoltan Takats aber eine wertvolle Informationsquelle.

    "Tatsächlich analysieren wir diesen Dampf von der Spitze des Elektroskalpells sehr sorgfältig mit einem Massenspektrometer. Die Daten sind typisch für verschiedene Gewebetypen."

    Die Hitze an der Spitze des Instruments zerstört nicht nur die Zellen des Gewebes, sie zerlegt sogar die biologischen Moleküle in kleine, elektrisch geladene Bruchstücke. Bruchstücke, die das Massenspektrometer genau auftrennen und analysieren kann. Im Grunde mussten die Forscher vom Imperial College in London nur den Dampf in das Messinstrument bekommen. Das gelingt über einen dünnen Schlauch. Er verläuft am Kabel des Elektroskalpells so dass er den Chirurgen nicht behindert. In einem ersten Schritt haben Zoltan Takats und seine Kollegen Gewebeproben aus fast 400 Operationen im Labor mit dem schnüffelnden Elektroskalpell durchtrennt. So konnten sie eine Datenbank der Bruchstückmuster für verschiedene Gewebetypen aufbauen. Dabei zeigte sich, dass es vor allem die Bestandteile der Zellmembran sind, die sich von Gewebe zu Gewebe unterschieden. Und nicht nur das. Auch Tumoren haben ein anderes Profil, als gesundes Gewebe. Mit Hilfe von komplexen statistischen Verfahren kann Zoltan Takats nun die komplexen Daten des Massenspektrometers den verschiedenen Gewebetypen und Tumorarten zuordnen. Von der Treffsicherheit der Analyse war Zoltan Takats selbst überrascht.

    "Die Genauigkeit ist von Gewebe zu Gewebe unterschiedlich und liegt zwischen 90 und 100 Prozent. Und die Werte verbessern sich weiter, je mehr Daten wir sammeln."

    Inzwischen hat Zoltan Takats das Intelligente Elektroskalpell auch schon in 81 echten Operationen bei Magen-, Darm-, Leber-, Lungen-, Brust- und Gehirntumoren erprobt. Weil das Gerät noch nicht zugelassen ist, konnten die Chirurgen die Daten nicht nutzen. Sie mussten nach wie vor etwa eine halbe Stunde warten, bis der Pathologe die gefrorenen Gewebeproben unter dem Mikroskop analysiert hatte und bestätigen konnte, dass wirklich der komplette Tumor entfernt war. Diese Information hätte das Massenspektrometer über die Analyse des Gewebedampfes schon innerhalb von ein bis drei Sekunden geliefert. Diese Schnelligkeit wäre nicht der einzige Vorteil des intelligenten Elektroskalpells gegenüber der traditionellen Pathologie. Takats:

    "Bei der Gewebepathologie ist oft nicht klar, wie genau der Schnitt im Operationsgebiet orientiert war. Bei unserer Methode tritt dieses Problem nicht auf. Wir analysieren vor Ort, der Chirurg weiß ganz genau, wo die Spitze des Elektroskalpells gerade ist."

    Zoltan Takats will den Chirurgen ein direktes Feedback geben. Eine rote Lampe könnte aufleuchten, sobald sich das Elektroskalpell im Tumorgewebe befindet. Auf diese Art wäre es einfacher wirklich alle Ausläufer eines Tumors bei der Operation zu entfernen. Zusätzlich wäre das intelligente Elektroskalpell in der Lage, untypische Gewebeabschnitte klar zu identifizieren. Bei einzelnen Tumorarten ist es sogar möglich, verschieden aggressive Stadien anhand der Bruchstücke im Dampf des Skalpells zu bestimmen. Viele Möglichkeiten, die der Artikel in "Science Translational Medicine" aufzeigt. Bis zur Zulassung für den praktischen Einsatz werden noch zwei bis drei Jahre vergehen, schätzt Zoltan Takats. Danach sollte es nicht allzu schwer sein, normale Elektroskalpelle mit einer schnüffelnden Nase auszurüsten. Im Grunde werden nur Standardgeräte verwendet, aber eben auf intelligente Weise neu kombiniert. Das Haupthindernis dürft darin bestehen, für das große Massenspektrometer in engen Operationssälen Platz zu finden.