Donnerstag, 18. April 2024

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KMK-Präsidentin zu Schulschließungen
"Jede Unterrichtsstunde zählt"

In welcher Reihenfolge können Schüler, wenn es die lokalen Corona-Infektionszahlen erlauben, wieder in die Schule gehen? Dazu hat das Kultusministerkonferenz einen Stufenplan vorgelegt. KMK-Präsidentin Britta Ernst zeigte sich im Dlf zuversichtlich, dass die Abschlussprüfungen wie geplant durchgeführt werden können.

Britta Ernst im Gespräch mit Kate Maleike | 08.01.2021
Die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und Ministerin Britta Ernst (SPD, Ministerin für Schule und Berufsbildung) besucht den Campus für Hörakustiker, in Schleswig-Holstein.
Technik für Schulen anschaffen sei nur ein Teil, so Britta Ernst - für den Digitalunterricht brauche es auch neue Konzepte (imago / Felix Koenig)
Bund und Länder haben Anfang Januar 2021 vereinbart, die in den Ländern im Dezember getroffenen Maßnahmen mit der Aussetzung der Präsenzpflicht an den Schulen bis Ende Januar zu verlängern. Der Bund-Länder-Beschluss ermöglicht aber auch Ausnahmen für Abschlussklassen. Für die Schulen sind die Länder selbst zuständig.
Britta Ernst, die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), hält langfristige Voraussagen zu Schulschließungen nicht für möglich. Es gebe Bundesländer mit Inzidenzen über 300 und welche mit 110, sagte sie im Deutschlandfunk. Zuversichtlich sei die Kultusministerkonferenz allerdings, dass die Abschlussprüfungen wie geplant durchgeführt werden könnten.
Im Hinblick auf den Digitalunterricht gehe es nicht allein um die technische Ausstattung, sondern es sei auch über den roten Faden der Bildungspolitik zu reden, nämlich die gute Qualität des Unterrichtes nicht aus den Augen zu verlieren. Digitale Technik könne Hilfe dabei leisten, Schülerinnen und Schüler individuell gut zu fördern, die Schwächeren zu unterstützen, die Gruppe der leistungsstarken Schüler auszuweiten, so Britta Ernst.
Britta Ernst übernimmt den Angaben zufolge am 14. Januar offiziell die Präsidentschaft der KMK.
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Kate Maleike: Die Vielzahl der unterschiedlichen Corona-Regelungen zum Schulunterricht in 16 Bundesländern kann man kaum noch nachhalten und sie sorgen für Verwirrung. Warum ist es in einer Pandemiesituation wie dieser nicht möglich, den Schulbetrieb ausnahmsweise einmal einheitlich zu regeln?
Britta Ernst: Nach meiner Einschätzung hat die Kultusministerkonferenz im vergangenen Jahr sehr eng beisammen gestanden und sich sehr eng abgestimmt und auch ziemlich einheitlich agiert. Wir haben ja das Abitur durchgeführt, dafür haben wir uns recht früh entschieden, wir haben uns abgestimmt in der Phase der Lockerung, welche Jahrgänge wieder in die Schulen können. Die Unterschiede resultierten im Wesentlichen daraus, dass unsere Ferien unterschiedlich liegen und dass die Inzidenzen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich sich darstellen. Das ist jetzt auch der Grund. Die Kultusministerkonferenz hat am Montag einen Stufenplan vorgelegt, wo wir sagen, in welcher Reihenfolge welche Schülerinnen und Schüler, wenn es die lokalen Inzidenzen erlauben, wieder in die Schule gehen können. Bereits im Dezember ist ja auch durch den Bund-Länder-Beschluss sichergestellt worden, dass wir Ausnahmeregelungen für die Abschlussjahrgänge treffen können, davon haben wir auch Gebrauch gemacht. Und uns war am Montag sehr wichtig, dass wir bei weiteren Öffnungen zuerst mit den Grundschülern weitermachen und im zweiten Schritt dann mit den weiterführenden Schulen in Wechselmodellen. Das, finde ich, ist ein sehr enger und klarer Rahmen, aber wir haben Bundesländer mit Inzidenzen über 300 und wir haben welche mit 110. Da bitte ich um Verständnis, dass man dort nicht gleich agieren kann, weil das Bundesland mit 110 möchte die Schulen weiter öffnen, weil, wie Sie auch gesagt haben, für uns jede Unterrichtsstunde zählt.

"Abschlussprüfungen wie geplant" durchführen

Maleike: Halbjahreszeugnisse, Abschlüsse, das haben Sie gerade schon angesprochen, das war im letzten Frühjahr auch natürlich ein großes Thema, da machen sich jetzt auch viele Sorgen, wie das denn dieses Mal gehen soll. Gibt es in der KMK schon Vorsorgepläne dafür, wie Sie mit den diesjährigen Abschlussprüfungen umgehen wollen?
Ernst: Wir sind erst mal zuversichtlich, dass die Abschlussprüfungen wie geplant durchgeführt werden können. Der Schutz der Abschlussklassen durch die Bund-Länder-Beschlüsse setzt da ja einen ganz wichtigen Rahmen. Aber uns ist natürlich bewusst, dass die Abiturienten, die 2021 Abitur machen, ehrlichweise durch die Pandemie mehr herausgefordert sind als diejenigen, die 2020 mit ihren Vorbereitungen schon fast zu Ende waren. Wir haben die Schülergruppen sehr im Blick, wir haben in Brandenburg im letzten Jahr auch eine sorgfältige Lernstandsanalyse gemacht, wir haben uns vergewissert, und wenn wir im Februar einigermaßen die Schulen wieder öffnen können, dann, denke ich, werden wir keine Probleme mit den Abschlussprüfungen haben, aber wir sind dabei, in den Bundesländern und auch im Austausch Plan B und Plan C zu erarbeiten.
Maleike: Um gesund zu bleiben, das verstehen ja alle, ist derzeit vieles nicht möglich, allerdings sind die Alternativen zum Präsenzunterricht häufig schwierig, dass wissen Sie, Stichwort digitaler Unterricht. Den wollen Sie sich zum Schwerpunkt für Ihre Präsidentschaft in diesem Jahr machen, "Lernen und Lehren – guter Unterricht in Zeiten der digitalen Transformation" haben Sie das genannt. Das ist eine ziemliche Aufholjagd?
Ernst: Ja, aber wir sind ja schon länger in der Aufholjagd letztlich. Der Beginn der Umsetzung des Digitalpaktes mit 5,5 Milliarden Euro, der ja vor der Pandemie auf den Weg gebracht wurde, zeigt, dass wir es ernst nehmen mit der Aufholjagd. Mir geht es darum, dass wir beim Blick in die Zukunft nicht nur über Ausstattungsfragen reden, sondern den roten Faden der Bildungspolitik, nämlich gute Qualität des Unterrichtes, nicht aus den Augen verlieren und dass wir das auch gut verzahnen. Nach wie vor ist unser Hauptziel, Schülerinnen und Schüler individuell gut zu fördern, die Schwächeren zu unterstützen, auch die Gruppe der schwachen Schüler zu reduzieren, die Gruppe der leistungsstarken Schüler auszuweiten, die soziale Schere zu schließen, und wir sind überzeugt, dass die digitale Technik hierbei große Hilfestellung leisten kann. Wir müssen nur auch besser noch wissen, wie das genau geschieht, denn nur weil ein Activboard an der Wand hängt oder ein Endgerät benutzt werden kann, ist nicht automatisch das, was in der Bildungsforschung kognitive Aktivierung genannt wird, automatisch der Fall. Ich glaube, da müssen die Bildungspolitik, die Verwaltung, die Lehrkräfte noch mehr wissen, und da geht es mir auch darum, Forschungsergebnisse mit praktischem Handeln besser zu verlinken und dazu einen Beitrag zu leisten.

"Guten Unterricht nicht aus den Augen verlieren"

Maleike: Ja, aber im Moment hört man ja sehr viel davon, dass zum Beispiel Lehrer keine Laptops haben, so wie es versprochen wurde, oder dass es eben auch noch mangelt an einem WLAN oder all diesen Dingen. Wir gefährden ja auch den Fernunterricht dadurch, dass wir eben im Moment diese Ausstattungen, die eigentlich das Vehikel sind, um mitmachen zu können, nicht haben. Was also sind Ihre ersten Maßnahmen?
Ernst: Wir planen auch für eine Zeit nach der Pandemie. Die Nutzung von Videoformaten, von digitalen Formaten ist in der Pandemie etwas anderes, weil es unverzichtbar ist, um Wechselunterricht und Distanzunterricht zu machen. Das ist ja in Nicht-Pandemiezeiten nicht der Fall. Insofern haben wir heute im Moment einen unheimlichen Zugriff auf unsere Lernplattformen, auch auf die Videokonferenzen. Das wird ja, wenn wir denn geimpft sind, im nächsten Schuljahr sich anders darstellen. Jetzt ist wichtig, über die konkret akute Ausstattungsfrage, die wir bewältigen müssen und wo wir bei sind, das Thema guten Unterricht nicht aus den Augen zu verlieren, weil das ist das zentrale Thema für gute Bildungspolitik – aber wie gesagt, immer in engem Austausch auch mit wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Zwei Jugendliche sitzen in einem Wohnzimmer vor Laptops und machen Hausaufgaben.
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Maleike: Das klingt vielversprechend, kommen wir aber noch mal zum Digitalpakt Schule: Sie haben gesagt, 5,5 Milliarden Euro liegen dort drin, allerdings werden sie nicht so abgerufen, wie man sich das vorstellen könnte. Das kann Sie doch als Politikerin nicht zufriedenstellen, wenn mühsam erkämpfte Gelder irgendwo schlummern und anderswo dringend gebraucht werden. Wäre das nicht auch eine Maßnahme für Sie, da noch mal stärker zu wirken, dass die Gelder schneller zur Verfügung gestellt werden?
Ernst: Ich finde, wer den Bürokratievorwurf erhebt, der muss das auch konkret benennen. Das, was darunter verstanden wird, sind in der Regel Ausschreibungen, die, glaube ich, notwendig sind. Wir können nicht einfach so schnell freihändig vergeben, wenn es sich um große Summen handelt. Und wir haben als Kultusministerkonferenz dafür gesorgt, dass nicht einfach nur Technik gekauft wird und hingestellt wird, sondern dass die Schulen konzeptionell sich mit Medienentwicklungsplänen befassen. Das ist, jedenfalls für Brandenburg, komplett abgeschlossen. Das ist aber notwendig, denn ich erinnere schon Zeiten, wo Rechnungshöfe ganze Sätze von Computern in irgendwelchen Kellern gefunden haben, die gut gemeint zur Verfügung gestellt wurden. Das macht ja nur Sinn, wenn das Kollegium sich damit beschäftigt, wie wir die digitalen Kompetenzen in den Fächern auch verankern. Da, muss man einfach sagen, ist uns die Pandemie dazwischengekommen, weil natürlich keine Zeit für Schulkonferenzen war, um das zu finalisieren, und auch die Stadtverordnetenversammlungen und die Landkreistage haben nicht getagt die letzte Zeit, weil wir Distanz gehalten haben. Für Brandenburg kann ich aber sagen, dass die Aufholjagd zum Ende des Jahres sehr erfolgreich war, sodass wir fast wieder im Plan sind, und ich denke, dass das in den anderen Bundesländern auch so sein wird. Ich wünsche mir auch häufig, dass das schneller geht, aber bei den Endgeräten zum Beispiel für Schülerinnen und Schüler liegt es einfach daran, dass nicht so schnell Geräte geliefert werden, weil die Unternehmen im Moment sehr viele solcher Aufträge bekommen. Das hat mit der Schulverwaltung jetzt gar nicht mehr so viel zu tun.

"Schule modern" gestalten

Maleike: Was ist Ihr größter Wunsch jetzt für Schuldeutschland?
Ernst: Wir wünschen uns, dass die Schulen möglichst schnell wieder geöffnet sind, dass wir die Pandemie im Griff haben, dass wir geimpft sind, dass Vollpräsenzunterricht stattfinden kann, dass wir nicht zu viele Defizite im Bildungsbereich durch die Pandemie haben. Ich wünsche mir auch, dass Kinder und Jugendliche in solchen Situationen eine stärkere Stimme haben, das, finde ich, mangelte doch in den letzten Monaten. Sie wissen schon sehr gut, wie es um Ausstattungsfragen geht, sie können aber einem auch sehr deutlich sagen, dass Schule nicht nur ein Ort des Lernens ist, sondern dass wir durch die Pandemiebeschränkungen sie auch in ihrer sozialen Teilhabe massiv begrenzen. Unser Ansinnen ist, dass die Kinder und Jugendlichen unbeschadet durch diese Zeit kommen und dass dort, wo etwas aufgeholt werden muss, dass wir die Jugendlichen dabei auch unterstützen und dass wir hoffen, dass zum nächsten Schuljahr wir wieder in normalen Regelbetrieben sind und wir dann das Thema Digitalisierung eben nicht nur die Frage der Ausstattung, sondern wie gestalten wir Schule modern in Angriff nehmen können.
Maleike: Das wird die Bundesschülerkonferenz natürlich freuen, die hier mehrfach bei uns im Interview gesagt hat, dass sie sich dringend mehr Kontakt auch zur Kultusministerkonferenz in den Corona-Fragen wünscht. Vielleicht können Sie den Ball dann ja einfach auch mal aufnehmen.
Ernst: Wir haben, glaube ich, schon, wir sind schon in der Terminvereinbarung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.