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Knochen aus dem 3D-Drucker
Biomaterial als flexibler Ersatz

Knochen sind ein herausragendes Material, vergleichsweise leicht, stabil und anpassungsfähig. Die bei komplizierten Schäden von Chirurgen verwendeten Ersatzmaterialien sind hingegen meist wenig elastisch und für die Ärzte schwierig zu verarbeiten. Doch nun berichten Forscher von einem neuen Knochenmaterial, das sich mit einem 3D-Drucker herstellen lässt.

Von Volkart Wildermuth | 29.09.2016
    Ein Kieferknochen aus einem 3D-Drucker
    Mit einem 3D-Drucker lässt sich hyperelastisches Knochenmaterial herstellen (imago stock&people)
    Die Materialwissenschaftlerin Ramille Shah von der Northwestern University in Chicago ist geradezu überschwänglich:
    "Das könnte der nächste Durchbruch in der orthopädischen, der Gesichts-, und der Kinderchirurgie sein, wo immer Knochen ersetzt oder regeneriert werden muss."
    Der künstliche Knochenersatz, den die Forscherin entwickelt hat, lässt sich mit einem gewöhnlichen 3D-Drucker herstellen. Das Geheimnis liegt in der speziellen "Tinte". In einem Lösungsmittel befindet sich eine Mischung aus feingemahlenem Hydroxylapatit, also dem Knochenmineral, und bestimmten biokompatiblen Kunststoffen. Die sorgen dafür, dass sich das Mineral beim Drucken verbindet und das bei Raumtemperatur, ein entscheidender Vorteil. Das Produkt sollte eigentlich vor allem keramische Eigenschaften haben, also zerbrechlich und spröde sein:
    "Als wir die neue Tinte das erste Mal im 3D-Drucker verwendet haben, waren wir sehr überrascht. Wir konnten das Produkt quetschen und verformen, es sprang sofort in die ursprüngliche Gestalt zurück. Deshalb haben wir es hyperelastischer Knochen genannt."
    Je nachdem, welche Mikrostruktur der Drucker dem hyperelastischen Knochen gibt, verändern sich die mechanischen Eigenschaften. Es gibt stabile Varianten, die der Belastung in einem Oberschenkel standhalten können, und flexible Formen, die sich gut rollen oder vernähen lassen. Sie alle bleiben aber porös und das ist wichtig, denn im Körper soll sich das umliegende Gewebe mit dem künstlichen Knochen verbinden.
    Künstlicher Knochen in Schädel eines Affen integriert
    Ob das tatsächlich funktioniert hat Dr. Adam Jakus aus der Arbeitsgruppe von Ramille Shah zunächst in einer Zellkultur mit menschlichen Stammzellen erprobt:
    "Es war verblüffend: Die Stammzellen haben sich zu Knochenzellen entwickelt, einfach durch den Kontakt mit dem Material, ohne zusätzliche Wachstumsfaktoren. Und diese Knochenzellen haben dann ihr eigenes, natürliches Knochenmaterial gebildet."
    Weitere Versuche mit Mäusen und Ratten zeigten: Der hyperelastische Knochenersatz wird nicht nur vom Körper akzeptiert, es wandern tatsächlich Zellen und Blutgefäße ein und stellen nach und nach eine dauerhafte Verbindung her. In Chicago ergab sich auch die Möglichkeit, das neue Verfahren an einem Rhesusaffen zu erproben. Das Tier hatte nach dem Einsetzen einer Elektrode in den Schädel einen Knochendefekt entwickelt:
    "Wir haben also ein großes Stück hyperelastischen Knochens gedruckt. Als die Chirurgen bei der Operation sahen, wie groß der Defekt tatsächlich war, haben sie das Stück passend zugeschnitten und eingesetzt. Innerhalb von vier Wochen war es völlig in den Schädel des Affen integriert, es gab Blutgefäße und Hinweise auf die Bildung von neuem, natürlichem Knochen."
    Die Ausgangsmaterialien für den neuen Knochenersatz sind bereits für den chirurgischen Einsatz zugelassen. Jetzt kommt es darauf an, die Behörden davon zu überzeugen, dass auch ihre Verwendung in einem 3D-Drucker sicher und verlässlich ist. Ramille Shah rechnet damit, dass die ersten 3D-Drucker in etwa fünf Jahren in den Operationssälen stehen werden.
    "Der hyperelastische Knochen wächst bei Kindern wahrscheinlich mit"
    Gerade auch in der dritten Welt, denn die Knochentinte ist bei Zimmertemperatur stabil und vergleichsweise preisgünstig. Anwendungsmöglichkeiten für den vor Ort maßgeschneiderten Knochenersatz gibt es viele. Am meisten liegen Ramille Shah Kinder am Herzen, die von Geburt an Knochendefekte haben. Derzeit werden diese Lücken meist mit Metallplatten oder Knochenstücken aus einer Rippe geschlossen:
    "Das ist nicht nur schmerzhaft sondern hinterlässt auch einen Schaden. Wir hoffen, dass hier der hyperelastische Knochen Vorteile bringt, er wandelt sich nach und nach in natürlichen Knochen um und wächst dann wahrscheinlich mit. Das würde Folgeeingriffe überflüssig machen, wie sie bei Implantaten aus Metall erforderlich sind."