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Knochenbruchheilung aus der Spritze?

Mehr als fünfeinhalb Millionen Menschen jährlich erleiden in Deutschland einen Unfall, häufig mit Knochenbrüchen. Gips, Nägel und Schrauben - damit stellte man bisher gebrochene Knochen ruhig. Gute Erfahrungen hat man nun mit abbaubaren Biomaterialien gemacht. Vor allem bei kleineren Brüchen können sie Metallplatten und -schrauben ersetzen. Der Vorteil: sie müssen nach der Ausheilung nicht extra entfernt werden. Darüber berichteten Experten vergangene Woche auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie in Berlin.

William Vorsatz |
    Schwere Unfälle bedeuten meist auch: Knochenbrüche. Und die werden oft zu spät erkannt und nicht richtig behandelt, mahnt Professor Hans-Jörg Oestern vom Allgemeinen Krankenhaus in Celle:

    Das hat sich heute gezeigt, dass diese Behandlung der Knochenbrüche beim Schwerverletzten essentiell ist für den weiteren Verlauf, nicht versorgte Knochenbrüche führen zu Schmerzen, zu weiterem Blutverlust, zu Gewebeschädigungen und damit eben auch zu einer schlechteren Prognose des Schwerverletzten

    Gerade in den letzten zwei Jahren hat sich bei der Therapie einiges geändert. Der häufig auftretende Schlüsselbeinbruch wird heute mit Titanstiften geschient, wo früher nicht operiert wurde, er wächst so glatter zusammen. Achillessehne und Sprunggelenk dagegen kommen kaum noch unters Messer, die Vorteile wiegen eventuelle Risiken nicht auf. Frische Impulse erhalten die Unfallchirurgen derzeit vor allem aus der Molekularbiologie und der High-Tech-Medizin. So können komplizierte Gelenke mittlerweile auch räumlich dargestellt werden. Professor Wolf Mutschler von der Maximilian-Universität in München:

    Also es ist so, wir haben einen ganz normalen Bildwandler, ein Durchleuchtungsgerät, dieses Durchleuchtungsgerät ist nun so konstruiert, dass es ein dreidimensionales Bild erstellt. Das erscheint dann auf dem Bildschirm und kann in allen drei verschiedenen Ebenen betrachtet werden, daraus kann man dann die entsprechenden Konsequenzen interoperativ ziehen.

    Aber nicht nur parallel: schon im voraus lässt sich die gesamte Operation simulieren und optimieren. werden. Das bedeutet: präzisere Eingriffe und weniger Nebenwirkungen.

    Wo bisher zwei Millimeter dünne Metallstifte Knochen und Gelenke fixiert haben, setzten die Chirurgen jetzt mehr und mehr resorbierbare Materialien ein. Diese lösen sich nach 18 bis 36 Monaten langsam auf, eine zweite Operation bleibt dem Patienten erspart. Und das heilende Gewebe kann ganz kontinuierlich wieder seine alte Stabilität gewinnen. Neue elastische Nägel helfen ebenfalls, weil die Bruchstelle damit ein wenig beweglich bleibt und sich so schneller neues Gewebe bildet. Vielversprechend sind darüber hinaus speziell präparierte Implantate. Professor Norbert Haas von der Berliner Charité:

    Das Problem in der Unfallschirurgie, dass die Brüche, je nachdem wo sie sich befinden, also zum Beispiel Unterschenkelbereich, recht lange dauern, dass kann vier Monate, das kann über ein halbes Jahr dauern, bis der Bruch knöchern durchbaut ist. Da was es unsere Bemühung, diese Zeit zu verkürzen. Deshalb haben wir uns sehr auf den Unterschenkel konzentriert, und haben dort jetzt Implantate entwickelt, die beschichtet werden mit Wachstumsfaktoren, die durch kontinuierliche Freisetzung bewirken, dass der Bruch schneller heilt. Die stimulieren die Zellen, die verantwortlich sind für die Neubildung von Knochen.

    Knapp 20 solcher Wachstumshormone sind bisher identifiziert und gentechnisch herstellbar. Momentan werden viele in Tierversuchen getestet. Die beschichtete Oberfläche des Implantats gibt sie in einem Zeitraum von drei bis vier Monaten ab. So verdoppeln die Hormone das Heilungstempo und halbieren damit die Krankheitszeit. Ein breiter klinische Einsatz ist ab dem nächsten Jahr zu erwarten. Der Nachteil: um kontinuierlich an der richtigen Stelle zu wirken, müssen die Hormone direkt an den Bruch. Umliegendes Gewebe wird durch die eingepflanzten Fremdkörper verletzt, Komplikationen sind möglich. So arbeiten die Forscher mit Hochdruck an der ganz normalen Spritze für die Turboheilung der Knochen.

    Das ist unsere Vision, das ist unsere Vorstellung, dass wir eines Tages den Bruch nur äußerlich ruhig stellen, reponieren, mit einer Schiene, mit einer Gips-, oder Kunststoffschiene, mit einer einmaligen Injektion erreichen, dass innerhalb kürzester Zeit diese Bruch zur Abheilung kommt. Das ist unsere visionäre Vorstellung, daran arbeiten wir.

    In zwei bis drei Jahren soll sie Realität sein. Die Gefahr: die Hormone könnten auch an anderen Stellen des Körpers wirken und Wildwuchs erzeugen. Im schlimmsten Fall bösartige Tumoren. Aber schon heute kann ein Unfallopfer einiges tun, um seine Heilungschancen zu verbessern. Ganz wichtig: sofort handeln. Professor Oestern:

    Wenn er selbst der Meinung ist, er hat einen Knochenbruch, und viele haben das leider nicht, sondern es tut was weh, und sie denken, dass geht dann weg und kommt dann 14 Tage später, da ist natürlich eine der besten Chancen schon vertan. Aber, wenn man den Verdacht hat, dass man einen Knochen gebrochen hat, muss man sich halt in Fachbehandlung begeben, die Methoden, die wir heute schon zur Verfügung haben, die Implantate, sind so zahlreich, dass sie wirklich nur noch von Spezialisten übersehen werden können.

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