Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


Knochenstoff statt Edelstahl

Medizintechnik. - Um verletzte Knochen oder Sehnen bei chirurgischen Eingriffen zu fixieren, werden Schrauben aus Titan eingesetzt. Sie müssen irgendwann wieder raus und der Patient damit erneut unters Messer. Schrauben aus einem neuartigen Biomaterial sollen den zweiten Eingriff jetzt überflüssig machen.

Von Angelika Tannhof | 28.07.2010
    Beim Sport passiert es oft - eine falsche Drehung mit dem Knie und ein Kreuzband reißt. Der Chirurg befestigt das Ersatzband mit einer Schraube aus medizinischem Spezialstahl, damit es anwächst. Eine Operation, die Dr. Ulrich Wagner, ärztlicher Direktor der Rotkreuz-Kliniken Wesermünde in Bremerhaven, schon unzählige Male gemacht hat. Später muss der Patient noch mal auf den OP-Tisch, um die Schrauben wieder zu entfernen. Diesen zweiten Eingriff wollte er seinen Patienten gerne ersparen. Außerdem verträgt der Körper Metall nicht unbedingt.

    "Dann kam ich auf die Idee, Knochenschrauben aus Knochen zu bilden. Das Problem war nur ein technisches. Die Knochengrundsubstanz, also das Calciumphosphat ist ja Asche. Sie kennen ja den Spruch: Asche zu Asche, Staub zu Staub, wir bestehen ja aus Asche - daraus mussten wir einen Werkstoff machen, der den biomechanischen Anforderungen einer Schraube genügt. Das war die große Kunst dabei."

    In Zusammenarbeit mit den Prozesstechnikern der Uni Bremen und den Material-Spezialisten vom Bremer Fraunhofer Institut entwickelte Ulrich Wagner solche Schrauben. Dr. Philipp Imgrund war als Leiter der Abteilung Biomaterialtechnologie beim Fraunhofer-Institut mit für die Umsetzung der Idee des Chirurgen verantwortlich:

    "Wir haben uns im Prinzip die Natur da zum Vorbild genommen, haben das natürliche Knochenmineral, Calciumphosphat, genommen, und das in den technischen Prozess umgesetzt. Das gibt es auch als keramisches Pulver zu kaufen, als medizinisch zugelassener Werkstoff, und den konnten wir entsprechend einsetzen und verarbeiten."

    Dem Calciumphosphat wurde als Bindemittel noch ein Bio-Kunststoff zugesetzt, damit es sich gut in Form bringen lässt.

    "Wir haben letztlich das Calciumphosphat mit einem Polymer gemischt, dass es im Rahmen eines Spritzgussprozesses zu verarbeiten war. Der Vorteil ist, dass man die Form der Schraube so abbilden kann und nicht mehr nachfräsen muss."

    Je nachdem, wo die Schrauben eingedreht werden, sollen sie sich auflösen oder werden im Laufe der Zeit vom Körper eingekapselt, als gehörten sie dazu, ohne zu stören oder zu schmerzen.

    "In dem Fall der Kreuzbandoperation denke ich, braucht man etwa sechs Wochen, damit das Band wieder anwachsen kann. Danach kann die Schraube sich auflösen."

    Der Schraubenstoff ist so zusammengesetzt, dass sie mindestens sechs Wochen halten, ohne sich aufzulösen. Bis dahin ist die Heilung dann auf jeden Fall abgeschlossen. - Das Entwicklerteam sieht auch andere Einsatzmöglichkeiten. Zunächst an Körperstellen, an denen die Schrauben nicht so stark belastet werden. Ulrich Wagner:

    "Man kann das nur in Lagern machen, die stabil sind, zum Beispiel beim Sprunggelenk, das wird ja dann in einem Gips ruhiggestellt, sodass das dann auch darunter ausheilen kann."

    Techniker Imgrund ergänzt:

    "Für Schulter oder Fußgelenk kann man es sich vorstellen, im Kieferbereich sind wir noch in der Materialforschung, weil das die Eigenschaften noch nicht mit sich bringt."

    Nur gut ein Jahr hat die Entwicklung der Schrauben aus Knochensubstanz gedauert - das ging schnell, weil das Knochenmineral Calciumphosphat schon als unbedenklicher Zusatzstoff in Lebensmitteln steckt und auch als medizinischer Werkstoff in der Kieferheilkunde verwendet wird. Deshalb stehen die Chancen doppelt gut, dass auch die Schrauben funktionieren und verträglich sind. Jetzt kommt es auf die Tests beim Tier und später bei den Probanden an. Noch mal zwei Jahre wird das dauern.