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Knoten im Herz

Medizin. - Von der befruchteten Eizelle an enthält jede Körperzelle den gesamten Bauplan eines Organismus. Doch wie daraus die komplexen Formen von Organen und Knochen entstehen, ist weitgehend unklar. Mutierte Zebrafische weisen deutschen Forschern den Weg zu der Antwort auf diese Frage.

Von Volkart Wildermuth | 13.03.2008
    Im Keller des Max-Delbrück-Centrums in Berlin-Buch plätschert es Tag und Nacht. Wasser strömt durch Tausend Aquarien in denen zehntausend Zebrafische schwimmen. Einige der kleinen silbernen Fischchen mit den schwarzen Seitenstreifen ähneln ganz gewöhnlichen Aquarienbewohnern, die meisten aber sind gezielt gezüchtete Mutanten. Kürzel an den Becken verraten ihre Namen: "heart and soul", "Casanova", "Bazooka" oder "heart and mind". Sie selbst wirken gesund, doch ihren Nachkommen zeigen allesamt Probleme bei der Herzentwicklung. Ihre gebrochenen Herzen kann Dr. Salim Seyfried unter dem Mikroskop sichtbar machen, denn er hat ihre Zellen mit genetischen Tricks zum Leuchten gebracht. Lila glimmt die Mittellinie der eigentlich durchsichtigen zwei Millimeter kleinen Embryonen, ein schimmerndes rotes Netz zeigt die Position der Zellränder, darüber wandern leuchtend grüne Kugeln.

    "Wir sehen in ganz, ganz frühen Stadien, dass die Herzvorläuferzellen aus ganz verschiedenen Regionen des Embryos zusammenkommen, an der Mittellinie des Embryos verschmelzen und ein flaches Herzfeld ausbilden und dann sehr plötzlich, innerhalb von vielleicht einer halben Stunde, entwickelt sich aus diesem flachen Herzfeld ein dreidimensionaler Schlauch, der nach links sich ausstülpt und länger und länger wird, bis wir einen schlagenden Herzschlauch sehen."

    Wie dieses Ballett der Zellen gesteuert wird, möchte Salim Seyfried verstehen. Zunächst sah es so aus, als ob einfach die Mitte des Herzfeldes in die eine Richtung wandert und der äußere Rand in die andere, so dass aus der Scheibe zuerst ein Art Vulkankegel und dann eine Röhre entsteht. Doch so einfach ist es nicht. Als der Biologe die Bewegung jeder einzelnen Herzzelle verfolgte, stellte sich heraus, dass die linke und die rechte Seite verschiedene Bewegungen vollführen. In der Mitte des Herzfeldes öffnet sich ein kleines Loch, durch dass die Zellen der einen Seite hindurch strömen, unter den anderen Zellen hindurch, sich dann umstülpen, um wieder zurück zu kriechen. Das Ganze ähnelt ein wenig dem Umstülpen eines Sockens. Eine komplizierte Bewegung, die Salim Seyfreid aber bekannt vorkam. Ganz zu Beginn der Entwicklung besteht der Embryo aus einer Hohlkugel, auch hier strömen die Zellen irgendwann durch eine kleine Öffnung nach innen, so dass mehrere Zellschichten übereinander zu liegen kommen. Die Natur greift hier zweimal auf dasselbe Bewegungsmuster zurück, vermutet Salim Seyfried, das jeweils von demselben Set von Genen gesteuert wird.

    "Es gibt da viele Beispiele für ähnliche Prozesse, dass bestimmte Genkaskaden in der Entwicklung immer wieder verwendet werden. Also wir kennen ja eigentlich in der Entwicklungsgenetik eine Handvoll von Genkaskaden, die in unterschiedlichsten Geweben, unterschiedlichsten Zellen immer wieder und wieder verwendet werden um zum Teil recht unterschiedliche Prozesse anzutreiben."

    Das ist schlicht eine Frage der Ökonomie. Neben den Umstülpungsgenen spielen für die Herzentwicklung noch Gene eine besondere Rolle, die die rechte von der linken Körperhälfte unterscheiden. Fehlen sie, wandern die Herzzellen ungezielt umher. Mit seinen Beobachtungen am Zebrafisch hofft Salim Seyfried auch etwas über die verschiedenen Fehlbildungen des menschlichen Herzens zu erfahren, von denen immerhin einer von Hundert Neugeborenen betroffen ist.

    "Um das genauer zu verstehen, müssen wir eigentlich solche genetischen Modellsysteme wie den Zebrafisch zu Rate ziehen. Hier können wir zum einen die Gene identifizieren, die eine wichtige Rolle in der Herzentwicklung spielen. Zum anderen können wir hier genau beschreiben, was in der Herzentwicklung alles schief laufen kann und was möglicherweise auch die Ursache für menschliche Herzfehler sein kann."

    Das aber wird noch dauern. Derzeit untersucht der Forscher die allerersten Schritte in der Herzentwicklung. Wenn es schon hier zu Problemen kommt, ist ein menschlicher Embryo nicht überlebensfähig. Die Herzfehler entstehen erst im weiteren Verlauf der Entwicklung, wenn sich der Herzschlauch selbst in Schlaufen legt, um endlich ein Herz mit mehreren Kammern zu bilden. Auch diese Prozesse will Salim Seyfried an den Zebrafischen untersuchen. Die entsprechenden Mutanten schwimmen schon in den Aquarien.