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KNV-Insolvenz
"Es zeigt, wie fragil der deutsche Buchhandel ist"

Die Insolvenz des größten Buchgroßhändlers KNV hat schwerwiegende Folgen für den Büchermarkt, sagte Jörg Sundermeier vom Verbrecher-Verlag im Dlf. Von Buchhandlungen über Kunden bis zu Autorinnen seien Tausende betroffen. "Wir sind alle in der Branche davon abhängig, dass KNV weitermacht."

Jörg Sundermeier im Gespräch mit Dina Netz | 20.02.2019
links: Buchgroßhändler KNV, rechts: Verleger Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag)
"Die Insolvenz von KNV könnte eine Buchkrise auslösen", sagte Jörg Sundermeier Jörg Sundermeier vom Verbrecher-Verlag, der auch im Vorstand der Kurt-Wolff-Stiftung sitzt (Foto links: imago / Arnulf Hettrich, Foto rechts: Tonhalle Düsseldorf/Susanne Diesner)
Dina Netz: Vergangene Woche hat der Buchgroßhändler KNV Insolvenz angemeldet. KNV steht für Koch, Neff und Volckmar. "Barsortimenter" nennt man diese Firmen auch, die dafür sorgen, dass man so gut wie jedes deutschsprachige Buch innerhalb von 24 Stunden beim Buchhändler bekommen kann. Denn die großen Mengen Bücher lagern nicht in den Kellern der Buchhandlungen, sondern beim Barsortimenter. Davon gibt es drei wichtige in Deutschland, und mit KNV ist nun der größte insolvent.
Vergangene Woche hieß es zunächst, "alles halb so wild", aber nun mehren sich die Stimmen, dass die Konsequenzen für Buchhandel und Verlage gravierend sein könnten. Die Kurt-Wolff-Stiftung, ein Zusammenschluss unabhängiger Verlage, hat gestern vor einer "allgemeinen Krise der Buchbranche" gewarnt, infolge der KNV-Insolvenz. Jörg Sundermeier vom Verbrecher-Verlag sitzt im Vorstand der Kurt-Wolff-Stiftung. Herr Sundermeier – vielleicht erklären Sie nochmal genau, warum KNV so eminent wichtig ist für die Branche?
Jörg Sundermeier: Es ist so, dass KNV nicht ein Opfer ein Buchkrise ist, sondern das ist wahrscheinlich eine hausgemachte Sache, so sagen es alle, so sieht es aus. Aber die Insolvenz von KNV könnte eine Buchkrise auslösen, denn alle deutschen Verlage liefern über KNV genauso wie über Libri und Umbreit aus, also man nutzt alle drei großen Player. Und eine große Menge von deutschen Buchhandlungen beziehen über KNV teilweise in Zusammenarbeit dann noch mit Umbreit oder Libri, also die nutzen zwei Barsortimente. Manche nutzen aber auch KNV exklusiv.
Jetzt können Verlage teilweise KNV gar nicht mehr beliefern, das heißt, KNV kann dieses Ware momentan nicht mehr ausliefern, und dementsprechend können die Buchhändler das auch nicht mehr anbieten. Das heißt, es sieht momentan so aus, als ob es kurzfristig zu einer Schräglage bei den Verlagen kommt, auch weil natürlich viele Forderungen jetzt offen sind an KNV, und bei einigen Kolleginnen und Kollegen geht es dann gleich um wirklich sechsstellige Zahlen.
Zum Zweiten wird es mittelfristig die Buchhandlungen treffen, denn Kundinnen und Kunden, die das gewohnt sind, dass die Bücher über Nacht kommen, und jetzt kommen sie nicht mehr über Nacht, sondern kommen vielleicht erst in einer Woche, könnten sich von den Buchhandlungen abwenden zu anderen Buchhandlungen oder gar ins Internet.
Und schließlich trifft es auch die Autorinnen und Autoren, denn deren Bücher werden ja zurzeit einfach zu schlechteren Bedingungen gehandelt, und natürlich kann niemand ermessen, welche Verluste das bedeutet. Und die Autorinnen und Autoren sind ja immer auch Ladenpreis beteiligt, am Umsatz beteiligt. Und wenn dieser Umsatz insgesamt schrumpft, schrumpfen natürlich auch die Einnahmen der Leute, die letztendlich die Bücher schreiben, die wir dann alle handeln.
Großes Vertrauen in den Insolvenzverwalter
Netz: Lassen Sie uns das noch mal im Einzelnen auseinandernehmen. Der Insolvenzverwalter hat gestern erklärt, die Geschäfte von KNV gingen erst einmal uneingeschränkt weiter. Wie kommt es dann, dass, wie Sie sagen, Bücher zum Teil nicht mehr geliefert werden können?
Sundermeier: Es geht darum, dass muss gerade festgestellt werden, je nach Verlag, vertraut man dem Insolvenzverwalter oder nicht. Tatsächlich ist es so, wir sind alle in der Branche davon abhängig, dass KNV weitermacht. Eine Kritik jetzt an der Konzentration im Buchhandel, die es sicherlich geben muss und die auch sicherlich berechtigt ist, aber die kurzfristig keine Lösung bringt, weil der Buchhandel kann seine Struktur so schnell nicht mehr umstellen und muss jetzt auch tatsächlich die Kundinnen und Kunden um Geduld bitten, muss aber auch selbst erst mal sehen, wo er bleibt.
Wir müssen allerdings auch sagen, der Insolvenzverwalter ist ja erst seit Freitag im Amt. Der muss erst mal die ganze Lage überblicken. Ich habe große Hoffnung und großes Vertrauen, dass er das schafft, denn er schafft es dann für KNV, aber auch für uns alle.
Netz: Warum kann, wie Sie sagen, jetzt nicht jemand einspringen für die Tätigkeit von KNV? Warum kann nicht ein anderer Barsortimenter wie Libri oder Umbreit, die Sie genannt haben, die Aufgaben übernehmen?
Sundermeier: Über ein Drittel des Barsortimentaufkommens, weit über ein Drittel, hat KNV bedient. Die beiden anderen können das gar nicht auffangen, ganz einfach. Sie müssen mehr Arbeiter einstellen, sie müssen ihr Lagervolumen – sie müssen neue Hallen bauen im Grunde. Das können sie kurzfristig überhaupt nicht hinbekommen.
"Bücher, die zu KNV gehen sollten, bleiben momentan bei uns"
Netz: Vielleicht erklären Sie uns doch mal am Beispiel Ihres eigenen Verbrecher-Verlags, welche Folgen diese Insolvenz konkret für unabhängige Verlage haben kann.
Sundermeier: Also erst mal, unsere Auslieferung hat das gemacht wie alle Auslieferungen. Der Logistiker, der zwischen uns direkt als Verlag und noch mal dann eben dem Barsortiment, dem Zwischenhandel ist, hat natürlich die Belieferung von KNV sofort erst mal eingestellt. Gerade gibt es Verhandlungen darüber, wie man es wieder aufnehmen kann. Aber es ist ja eine Vertrauenssache auch uns gegenüber. Sie können ja nicht einfach unsere Ware weiter ausliefern, wenn sie dann vielleicht gar nicht mehr bezahlt wird.
Netz: Also Ihre Bücher bleiben im Moment bei Ihnen?
Sundermeier: Die Bücher, die zu KNV gehen sollten, bleiben momentan bei uns tatsächlich. Ich glaube, es geht allen darum, eine Lösung zu finden. Das heißt aber, dass einige Buchhandlungen jetzt einige Bücher von uns – einige wird es auch noch im KNV-Lager geben, aber andere sind eben nicht mehr da. Und die werden die auch jetzt kurzfristig beziehen können, indem sie sich direkt an die Auslieferung wenden. Und das dauert dann einfach – Sie wissen, der Zustand der deutschen Post – etwas länger.
Stimmung schwingt um in allgemeine Trübsal
Netz: In der Meldung der Kurt-Wolff-Stiftung von gestern ist nun von einer "allgemeinen Krise der Buchbranche" die Rede. Das sind natürlich große Worte. Der Insolvenzverwalter Tobias Wahl hat dagegen gestern die Parole ausgegeben, es geht weiter. Was ist denn nun richtig? Irgendwas dazwischen? Oder welches Szenario halten Sie für wahrscheinlich?
Sundermeier: Wir vom Vorstand haben gesagt, es geht darum, jetzt alle darauf aufmerksam zu machen, dass diese große Krise kommen könnte, so Herr Wahl nicht schnell eine Lösung findet, Investoren findet et cetera. Keiner von den unabhängigen Verlagen kann einen Zahlungsausfall über sechs, sieben Monate aushalten. Wir werden, glaube ich, alle unser Geld bekommen.
Auch die Buchhandlungen werden auf Dauer wieder bedient werden. Aber das Loch, das dazwischen entsteht, die Kunden, die sich vielleicht umorientieren et cetera, die Bücher, die in der Zeit nicht gehandelt werden können, das kann eine immense Masse werden. Und wir haben ja mehrfach in den letzten Jahren schon Nachrichten gehabt über eine Krise des Buchhandels.
Der Buchhandel hat sich ein bisschen stabilisiert, auf einem niedrigeren Niveau als vor zehn Jahren, aber immerhin. Und er hatte auch eine relativ gute und kämpferische Stimmung. Und diese Stimmung scheint jetzt gerade umzuschwingen in eine allgemeine Trübsal. Und Sie wissen, ein trauriger Verkäufer verkauft halt schlechter.
Und das ist eben ein Problem, das droht, und darauf wollten wir hinweisen, weil wir eben auch tatsächlich sagen, das ist ja ein ganz großes wirtschafts- und kulturpolitisches Problem, weil es gleichzeitig zeigt, wie fragil der deutsche Buchhandel ist. Ein mittelständisches Unternehmen geht in die Knie, und Tausende sind betroffen.
Netz: Als Übernahmekandidat ist jetzt ein ganz und gar nicht mittelständiges Unternehmen im Gespräch, Amazon. Was würde denn das für die Branche bedeuten, wenn Amazon KNV übernähme?
Sundermeier: Ich muss ganz ehrlich sagen, ich hoffe, da hat das Kartellamt dann sehr genaue Aufsicht drauf.
"Weniger Quasi-Monopole würde Branche sehr gut tun"
Netz: Jetzt sind auch andere Dinge im Gespräch aus Anlass dieser Insolvenz von KNV. Zum Beispiel ist eine Debatte darüber ausgebrochen, ob wirklich jedes Buch innerhalb eines Tages immer lieferbar sein muss. Man könnte ja auch Kosten sparen, wenn dem nicht so wäre. Wie sehen Sie das?
Sundermeier: Ich muss ganz ehrlich sagen, ich finde diese Debatte einerseits sehr wichtig, andererseits hat sie aber nicht diese Aktualität, beziehungsweise sie muss längerfristig geführt werden. Wir haben auch ein System, in dem es auch gerade darum geht, beispielsweise den immensen Plastikmüll, der auch im Buchhandel besteht, abzuschaffen, indem man aufhört, die Bücher zu verschweißen, was sehr vielen Kundinnen und Kunden nicht gefällt, weil sie sagen, dann ist das Buch ja schon angefasst. Dafür ist ein Buch eigentlich da, aber Sie wissen, worum es da geht.
Diese Form von Nachhaltigkeitsdenken sollte sich auch auf Dauer in anderen Strukturen des Buchhandels durchsetzen, sicherlich. Das kann aber keine Sache sein, die wir sozusagen in 30 Tagen anschieben. Das ist eine längerfristige Debatte. Auch da geht es wiederum darum, wie sich die großen Verlage, wie sich die großen Buchhandlungen et cetera dazu verhalten, wie sie sozusagen einmal gewisse Konkurrenzgedanken beiseite stellen und sagen, wir wollen nicht alle die Schnellsten, Ersten und die Plastikverschweißtesten sein, sondern wir können das auch alles ein bisschen ruhiger machen. Aber Sie haben ja schon erwähnt, ich fürchte, dass beispielsweise ein Big Player wie Amazon dort gar nicht zugänglich ist.
Netz: Jetzt haben Sie gerade selbst schon die Fragilität der Branche erwähnt, die durch diese Insolvenz jetzt plötzlich noch mal sichtbar geworden ist. Was gälte es denn langfristig zu verändern, um in diese Fragilität etwas Stabilität zu bringen?
Sundermeier: Sicherlich kleinteiligere Strukturen, weniger Quasi-Monopole oder eben Verdichtung von ökonomischer Macht in zu wenigen Händen. Das würde, glaube ich, der Branche wie ganz vielen Branchen sehr gut tun. Denn wir haben es ja gleichzeitig damit zu tun, es gibt immer wieder die Rede von Wirtschaftsweisen, dass es Unternehmen gibt, die "too big to fail" sind. KNV zeigt gerade, dass das Gerede nicht stimmt.
"Es geht nicht um so großes Geld"
Netz: Herr Sundermeier, zum Schluss gefragt: Die Kurt-Wolff-Stiftung fordert in ihrer Meldung von gestern auch unbürokratische und schnelle Hilfe für die Buchbranche. Wie könnte die denn aussehen?
Sundermeier: Ich würde mir wünschen, dass vielleicht die Landesregierungen von Thüringen und von Baden-Württemberg, die hauptsächlich betroffen sind als Standorte, einen Fallschirm bilden, durchaus sagen, wir gehen jetzt auf den Insolvenzverwalter zu, und wir gehen dort mit rein. Und ich weiß, es sind Steuermittel.
Das heißt, dafür gibt es auch eine Art Unternehmensbeteiligung, dafür muss es auch eine Absicherung geben. Es geht nicht um so großes Geld. Und wenn Sie sehen, was für Gelder beim Diesel-Skandal plötzlich mobil gemacht werden kann – und auch da geht es um Tausende Arbeitsplätze, bei uns geht es aber auch um Tausende Arbeitsplätze –, habe ich ein bisschen die Hoffnung, dass zumindest kurzfristig dort Lösungen sind. Es können ja auch Lösungen sein mit zinsgünstigen Krediten et cetera.
Insgesamt wollen wir einfach die Kulturpolitik darauf aufmerksam machen, dass die Buchbranche etwas ist, das geschützt werden muss und was Schutz auch einfach nötig hat. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters macht das ja schon in vielerlei Hinsicht mit dem Deutschen Buchhandlungspreis, mit dem kommenden Deutschen Verlagspreis. Aber wir brauchen auch auf breiterer Ebene und in allen Instanzen mehr Unterstützung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.