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Koalitionsvertrag - Rot-Grün zum Zweiten

Rot-grünes Regieren und die zweite Chance. Für die Akteure gilt, das Versprechen Gerhard Schröders vom Wahlabend jetzt in die Tat umzusetzen.

Karl-Heinz Gehm/Matthias Thiel | 16.10.2002
    Mehrheit ist Mehrheit, und wenn wir sie haben, werden wir sie nutzen, liebe Freundinnen und Freunde. Das ist eindeutig.

    Rot-Grün hat die Mehrheit und muss sie jetzt nutzen, befreit von den Zwängen des Jahres 98, als Zufallskoalitionäre nach langen Jahren auf den Oppositionsbänken etwas unsicher und ideologisch ohne sonderlichen Elan zueinander fanden.

    Was wir miteinander vorhaben, ist schon eine Veränderung in Deutschland. Keine, die man als revolutionär bezeichnen sollte und kann, aber schon eine, die die gesellschaftlichen Strukturen verändern wird, Modernität mit sozialer Gerechtigkeit verbindet.

    Holpernd und stolpernd begab sich Rot-Grün anno 98 auf Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert, um Aufbruch und Erneuerung zu wagen. Jetzt sind die Konditionen zum Regieren besser, mag auch die Mehrheit enger sein. Immerhin, der kleine Partner hat sich durch seinen Zugewinn bei den Wahlen als Retter der Koalition erwiesen, auch wenn er das nicht ausreizen will.

    Wir führen die Koalitionsverhandlungen im fairen, partnerschaftlichen Geist, und ich denke, dass wir da auch ein gutes Ergebnis am Ende hinbekommen. Im Sieg muss man bescheiden sein, und in der Niederlage muss man dann auch das Stehvermögen haben.

    Die Lehren aus dem Auf und Ab vierjähriger Regierungszeit und des anfänglichen Azubi-Daseins sind gezogen, und zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen interpretiert der Kanzler den Wählerauftrag:

    Deutlich geworden ist eine bestimmte Erwartungshaltung der Menschen in Deutschland an uns. Es geht darum, unser Land weiter zu erneuern, ohne sozialen Zusammenhalt preiszugeben, und wenn ich sage "erneuern", meine ich sowohl ökonomische Modernisierung etwa auf dem Arbeitsmarkt als auch die ökologische Modernisierung.

    Schröder, der Pragmatiker, dem Visionären nicht zugetan, schon gar nicht in Zeiten wie diesen. Den Koalitionsvertrag 2002 ziert deshalb auch der spröde Titel "Erneuerung, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit". Bei der heutigen Unterzeichnung des Koalitionsvertrages stand der Vizekanzler dieser spröden Vorgabe nicht nach. Sein Credo:

    Wir wollen vier energische Erneuerungsjahre anpacken, gemeinsam anpacken, für Wachstum, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit.

    Der Anfang wäre also gemacht. Der Koalitionsvertrag steht. Während der Verhandlungen rumpelt es ganz schön. Schnell weicht der anfänglichen Harmonie der blanke Machtkampf. Von der SPD ist zu hören: Unsere Leihstimmen sollen die Grünen nicht größenwahnsinnig werden lassen. Die selbst erregen sich über immer wieder neu aufgebaute Tabus. Zum Teil geht es heftig zu bei den Koalitionsverhandlungen. Die Auseinandersetzungen sind auch schon einmal recht lautstark. Brillenetuis sollen über den Tisch geflogen sein. Trotzdem: Gute Miene zum bösen Spiel. Volker Beck von den Bündnis-Grünen:

    Also, die Koalitionsverhandlungen laufen gut. In der objektiv schwierigen Finanzsituation des Bundes muss man natürlich ganz genau jetzt auch darüber diskutieren, für welchen Bereich und welches Projekt man wie viel Geld mobilisiert, und da ist die Diskussion einfach etwas schwieriger und intensiver.

    Ohne jede Absprache überrascht der Kanzler mit der vorzeitigen Berufung seiner Kulturstaatsministerin. Reaktion des kleinen Partners: eine Auszeit, was wiederum die SPD überrascht. Über die Einsetzung des neuen Superministers Wolfgang Clement informiert Gerhard Schröder dann seinen Vize vorab. Heidemarie Wieczorek-Zeul verärgert Joschka Fischer mit der Forderung nach neuen Zuständigkeiten für ihren Entwicklungshilfebereich. Dann der Bundesfinanzminister. Dem Außenamtschef will er partout keine europa-politischen Kompetenzen abgeben und:

    Ich denke, die Verhandlungspartner - und hier sage ich insbesondere, weil es viele Wünsche der Grünen gibt - müssen sich zunächst klarmachen, dass 10 Mrd. Euro im Vergleich zum Haushaltsplanentwurf 2003 eingespart werden müssen. Und ehe über neue Wünsche geredet wird, hoffe ich, gibt es jetzt Vorschläge dafür.

    Immer wieder tritt Hans Eichel auf die Bremse. Deshalb sind die Grünen sauer. Ihre Wünsche bekommen den Finanzierungsvorbehalt, sozialdemokratische Projekte sollen dagegen im Koalitionsvertrag festgeschrieben werden. Beispiele: Kinderbetreuung und Metrorapid. Obwohl anders geplant, Personal- und Zuständigkeitsfragen überlagern häufig die Sachdebatten. Joschka Fischer kämpft um seine Europa-Zuständigkeit, der designierte Arbeits- und Wirtschaftsminister streitet sich heftig mit seinem zukünftigen Kollegen aus dem Umweltressort, Jürgen Trittin.

    Wirtschaft ohne Energie, wie Sie wissen, geht schon physikalisch nicht. Ich komme ja aus der Provinz, ich will einfach nur wissen, was geht. Und in der Provinz sagt man: Wirtschaft und Unternehmen, die brauchen Energie.

    Genauso wenig geht Umwelt- und Klimaschutz ohne Energie nicht. Und insofern kommt es immer auf das Ganze an, das ist das, worüber wir zur Zeit verhandeln.

    Die Arbeitsgruppen und die großen Verhandlungsrunden arbeiten nach dem Prinzip: Wo haben wir Konsens? Häkchen dran. Strittige Punkte werden gleich vom Kanzler entschieden oder erst einmal verschoben. Mehr als einmal einigt man sich erst im Vieraugen-Gespräch Schröder/Fischer. Besonders heftig der Streit in der Innen- und Rechtspolitik sowie im Verkehrsbereich. Das Abwehren einer generellen Kronzeugenregelung oder der Finanzvorbehalt für alle Verkehrsprojekte wird von den Bündnis-Grünen als Erfolg gefeiert. Dafür kommt ihre Forderung nach Abschmelzen des Ehegatten-Splittings oder nach Abschaffung der Wehrpflicht nicht in den Vertrag. Obrigheim schließlich verhagelt die Stimmung endgültig. An des Kanzlers Geheimabsprache mit dem Betreiber des ältesten deutschen Kernkraftwerkes droht Rot-Grün fast zu zerbrechen. Der Kompromiss, zwei Jahre längere Laufzeit, versetzt die grüne Basis in Aufregung. Andreas Braun, Parteichef in Baden-Württemberg:

    Wir haben uns mit den anderen Landesverbänden darauf verständigt, einen Antrag zu stellen, dass wir die Verlängerung nicht für gut halten, dass wir das missbilligen, und ich sehe eine sehr große Mehrheit dafür, dass der Parteitag in Bremen unserer Position folgen wird.

    Rot-Grün zum zweiten, d.h. regieren in schwieriger Zeit.

    Die wirtschaftliche Wachstumsdynamik hat sich eingetrübt, die Spielräume der öffentlichen Finanzen als Folge dessen sind nicht größer, sondern enger geworden, und die internationale Lage ist nach wie vor geprägt von Unsicherheiten.

    Die Risiken sind hoch, ein möglicher Waffengang im Irak wirkt schon jetzt dämpfend auf die Weltkonjunktur, entsprechend die Rückwirkungen auf die nationale Wirtschaftslage. Auch hier kränkelt die Konjunktur, der Arbeitsmarkt knirscht, und die Sozialkassen ächzen. Der Finanzminister wartet auf einen Blauen Brief aus Brüssel, Sanktionsandrohungen inklusive, und der Kanzler in seiner Not versichert sich in Paris des internationalen Geleitschutzes, um die Kriterien des EU-Stabilitätspakts flexibel handhaben zu können. Der Vize-Kanzler interpretiert.

    Konsolidierungspolitik, an der wird festgehalten, aber gleichzeitig müssen wir die konjunkturelle Situation sehen, d.h. ein Mehr an Flexibilität innerhalb des vereinbarten Stabilitätspaktes ist es, was wir beschlossen haben.

    Aus der Not eine Tugend zu machen, versucht Hans Eichel. Der Sparkommissar übt sich in einer veränderten Rolle. Der Auftrag ist klar:

    Konsequent den Abbau der Neuverschuldung fortsetzen, 2006 zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen, wir machen dazu sehr große Anstrengungen, denn gleichzeitig gehören dazu weitere Anstrengungen für mehr Wachstum und Beschäftigung.

    Die wiederum kosten Milliarden, und deshalb verläuft der Weg zu dem Ziel, 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, auf anderen Bahnen. Die Neuverschuldung nämlich wird zwischenzeitlich um 6 Mrd. Euro erhöht. Für das kommende Haushaltsjahr verfahren die Koalitionäre angesichts des zu erwartenden Fehlbetrags von über 14 Mrd. Euro nach bewährtem Muster: Schulden machen, sparen, an der Steuerschraube drehen. Grünen-Chef Kuhn macht die Rechnung auf:

    Wir werden insgesamt Ausgabenkürzungen haben in der Höhe von 7,4 Mrd. Euro. Wir werden außerdem 4,2 Mrd. am Bundesanteil durch Abbau steuerlicher Subventionen einsparen. Dies macht zusammen 11,6 Mrd. Euro. Fehlen noch 2,6.

    Milliarden, versteht sich, zusätzlicher Neuverschuldung im nächsten Jahr. Neuverschuldung kümmert das Wahlvolk wenig, das Drehen an Steuer- und Abgabenschrauben dagegen schon mehr. Franz Müntefering beim Einblick in das Folterarsenal:

    Erweiterte Steuerpflicht für Veräußerungsgewinne bei Wertpapieren, die Abschaffung der Umsatzsteuerermäßigung bestimmter landwirtschaftlicher Vorprodukte, den ermäßigten Stromsteuersatz für produzierendes Gewerbe. Wir werden bei der Körperschaftssteuer dafür sorgen, dass keiner mit Körperschaftssteuer Null rauskommt.

    Der designierte SPD-Generalsekretär Scholz präsentiert sich während der Verhandlung angesichts der Absurditäten und Realitäten von Mehreinnahmen als durchaus pressetauglich.

    - Herr Scholz, Sie sprachen von Sparzielen. Können Sie uns da ein, zwei Ideen geben, die sich jetzt herauskristallisieren? - Könnte ich, will ich aber nicht. - Aber bei Wasser sind Sie sich sicher, das kommt nicht? - Ja, ich finde, Wasser ist eine gute Sache. - Sind Aktien ein weiteres Grundnahrungsmittel?

    Will sagen, keine Mehrwertsteuer für Wasser, dafür aber erweiterte Besteuerung beim Aktienverkauf. Stichwort Renten schließlich: Der Beitragssatz steigt auf 19,3 Prozent, der Bundeszuschuss zu den Rentenkassen steigt nicht, der Bund spart. Zudem, der Besserverdienende wird zur Kasse gebeten, die Beitragsbemessungsgrenze wird erhöht. Der Bund spart, dafür zahlen Arbeitgeber und Besserverdienende 600 Millionen Euro zusätzlich in die Rentenkasse. Von dem hehren Vorsatz, Lohnnebenkosten zu senken, wird unter diesen Umständen erst einmal Abstand genommen. Die Chancen aber, beim Drehen an der Steuerschraube auch im Bundesrat eine Mehrheit zu erhalten, werden trotz des Tumults aus der Union positiv beurteilt. Bei der nächsten Steuerschätzung würden auch Unionsländer feststellen, so mutmaßt Rot-Grün, dass sie sich finanzpolitisch jenseits der Verfassung bewegten. Dann wäre die Sache gelaufen, die Mehrheit vorhanden, die Investitionsfähigkeit von Ländern und Kommunen würde verbessert.

    Abbau der Arbeitslosigkeit und der Staatsverschuldung. Die Bildungs- und Familienpolitik, der Verbraucherschutz, die ökologische Modernisierung und der Aufbau Ost. Dies die innenpolitischen Schwerpunkte im neuen Koalitionsvertrag. Im außenpolitischen Teil steht neben der europäischen Integration und dem Kampf gegen den Terror vor allem das enge Verhältnis Deutschlands zu den USA als wichtigstem transatlantischen Partner im Vordergrund. Für den Außenminister ist damit schon die erste und wichtigste Aufgabe beschrieben. Er muss die belasteten Beziehungen mit Washington wieder entspannen. In der entscheidenden Irak-Frage bleibt Joschka Fischer aber hart:

    Unsere Position, das kann ich nur nochmals wiederholen, ist klar und eindeutig: Der Bundeskanzler und ich haben uns vor den Wahlen festgelegt, das gilt auch jetzt.

    Dem neuen Superminister für Arbeit und Wirtschaft kommt die zentrale innenpolitische Aufgabe zu. Mit der Umsetzung des Hartz-Konzeptes zum Abbau der Arbeitslosigkeit soll Wolfgang Clement bis zum 1. März fertig sein. Kernpunkt: schnellere Vermittlung von Arbeitslosen und der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit. Für bestimmte Mini-Jobs soll die Verdienstgrenze, bis zu der pauschal 10 Prozent für Sozialabgaben fällig werden, auf 500 Euro angehoben werden. Daneben stehen angestrebte Erleichterungen im Handwerksrecht - Gesellen können einen Betrieb übernehmen - und der Ausbau der Mittelstandsförderung sowie höhere Investitionen des Bundes im Programm.

    Auf der Bundesebene können wir Investitionen vorziehen, jetzt vorziehen in dieser schwierigen Wirtschaftslage, indem wir andere Finanzierungssysteme einsetzen. Wir setzen viel zu wenig Mautsysteme im Verkehrsbereich ein, zum Bau von Autobahnen beispielsweise, wir müssen mehr public private partnerships machen, wir können nicht alles mit öffentlichen Mitteln schaffen. Wenn wir Steuerentlastungen geben, dann müssen notgedrungen die öffentlichen Aufgaben etwas zurückgenommen werden und die öffentlichen Ausgaben, und Sie brauchen privates Engagement, und das müssen wir mobilisieren.

    Zur Sicherung der Renten- und Gesundheitskassen will Rot-Grün die Bemessungsgrenzen anheben und höhere Beiträge kassieren. Für die Altersvorsorge 19,3 Prozent schon im nächsten Jahr. Der Wechsel in die private Krankenversicherung soll für Berufsanfänger erschwert werden. Pharmahersteller und Apotheken werden zum Sparen verpflichtet. Es bleibt aber dabei:

    Das Gesundheitswesen wird auch in Zukunft beitragsbezogen und paritätisch finanziert werden, es wird ein solidarisches System sein, das heißt also eines, wo die Jungen und die Alten, die Kinder, die Familien mit und ohne Kinder aufeinander bezogen paritätisch finanziert, solidarisch organisiert in dieser Krankenversicherung dabei sind.

    Für SPD-Fraktionschef Franz Müntefering ist klar: Es geht bei der anstehenden Gesundheitsreform darum, die Effizienz des Systems zu steigern. Das Konzept der integrierten Versorgung steht im Mittelpunkt. Hausärzte sollen eine größere Rolle spielen, eine freiwillige Gesundheitskarte und Quittungen auch für Kassenpatienten eingeführt werden. Kerstin Müller, Bündnis 90, die Grünen:

    Hier müssen sich alle dran beteiligen, sowohl die Ärzteschaft als auch die Pharma-Industrie, aber auch die Patienten. Es geht nicht, dass man in die Zweiklassengesellschaft der Medizin marschiert, wo die Pharma-Industrie verschont bleibt und die Hauptlast die Patienten zu tragen haben. Das ist mit Rot-Grün nicht zu machen, das haben wir im Wahlkampf angekündigt, und entsprechend sehen jetzt auch unsere Reformvorhaben für die Legislaturperiode aus.

    Besonders kompliziert gestalteten sich die Koalitionsverhandlungen im Verkehrsbereich. 90 Mrd. Euro stehen erst einmal unter dem Finanzierungsvorbehalt. Beschlossen ist: Bahn und Schiene finden gleichrangige Berücksichtigung, der Flussausbau an Elbe, Saale und Donau wird gestoppt und ab 2005 auf die Bahnfahrkarte nur noch der halbe Mehrwertsteuersatz erhoben. Hier haben die Bündnis-Grünen deutliche Akzente gesetzt, allerdings: Die ökologische Modernisierung, vor allem ein finanzielles Problem, wird tatsächlich nur in kleinen Schritten angepackt. Ein zentrales Wahlversprechen will Rot-Grün den Familien und Kindern erfüllen. Zwar blieb die Kindergrundsicherung auf der Strecke, das Geld fehlt, aber insgesamt sind deutliche Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geplant. Ein kinderfreundliches Land in diesem Jahrzehnt, das wird als Ziel definiert. So ist Müntefering besonders stolz:

    Dass wir die 4 Milliarden, die angekündigt sind für den Ganztagsschulbereich, den Ländern und Gemeinden zur Verfügung stellen, um die Betreuungsangebote da zu verbessern, aber nicht nur im schulischen Bereich, sondern beide Parteien hatten ja aufgeschrieben, dass im Krippenbereich, im Kindertagesstättenbereich und im Hortbereich, damit ist der Schulbereich gemeint, diese Betreuung umfassend verbessert werden muss. Das ist, glaube ich, eine Herausforderung für das ganze Jahrzehnt, aber den Paradigmenwechsel beginnen wir jetzt, und wir werden in diesen vor uns liegenden vier Jahren Erhebliches erreichen.

    Bei der Bundeswehr hat auch der Rotstift die Beschlüsse diktiert. Für die Koalition steht personell wie materiell alles auf dem Prüfstand. Leitlinie weiterer Reformen sind die Ergebnisse der Weizsäcker-Kommission. Der Kanzler erklärt:

    Dass eine Überprüfung weiterer Anpassungen stattfinden wird - dies schließt auch eine Überprüfung der Wehrform ein -, und dies wird noch vor Ende der Legislaturperiode gemacht werden.

    Das Zuwanderungsgesetz und seine Umsetzung, eine neue abgeschwächte Form der alten Kronzeugenregelung, Gesetzverschärfungen im Antiterrorkampf, der Bereich des Innenressorts war ebenfalls umstritten. Trotzdem ist Grünen-Chefin Claudia Roth zufrieden.

    Wir werden dafür sorgen, dass die rot-grüne Koalition weiterhin eine moderne Innen- und Rechtspolitik machen wird und eine vorwärts gewandte Bürgerrechtspolitik betreiben wird. Wir sind uns einig, das sind die gemeinsamen Ziele, dass es darum geht, die demokratischen Beteiligungsrechte zu erweitern und die Bürgerrechte zu stärken.

    Neue Anläufe sollen unternommen werden, z.B. bei der Mitbestimmung und den Ergänzungen zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft oder mit einem Antidiskriminierungs- und Informationsfreiheitsgesetz. Alles Projekte für die lange Bank, die nicht nur an der Union im Bundesrat bisher gescheitert sind. Die Bündnis-Grünen haben hier - wie in anderen Teilen - mit viel Lyrik den Koalitionsvertrag auf 88 Seiten aufgebläht, was auch der Kanzler schon intern beklagte.

    Auf der Zielgeraden schließlich steigt die Fieberkurve. Der Streit um Zuständigkeiten aber entpuppt sich bald als Muskelspiele zwischen alten und neuen Kraftprotzen, eher Schaugefecht als reale Auseinandersetzung. Alle aber haben das Gesicht wahren können, die Clements wie die Eichels, die Trittins, gestärkt um die Zuständigkeit für erneuerbare Energien, die Künasts mit der Zuständigkeit für das Gentechnikgesetz und den aufgebesserten Verbraucherschutz. Begehrlichkeiten der Grünen auf ein viertes Ressort wurden deshalb offiziell nicht vorgetragen. Was den Personalentscheidungen aber nicht die Spannung nimmt. Und Stratege Fischer weiß, wie das abgeht.

    Erst ganz am Ende geht es dann auch um Personen, und es gibt ja eine alte Weisheit, die da heißt: Frühe Vögel, die aus dem Nest fallen, die holt die Katze.

    Die hatte sich bis zuletzt über Futtermangel nicht zu beklagen, denn in der letzten Nacht noch stürzte der Leipziger Oberbürgermeister Tiefensee aus dem Kabinettsnest, das doch eigentlich für ihn reserviert schien. Schröder landete einen weiteren Personalcoup, und am frühen Morgen wurde im Deutschlandfunk der Schleier des Geheimnisses gelüftet.

    Darf man Ihnen gratulieren? - Ja, natürlich. Gratulation ist immer richtig, wenn Entscheidungen gefallen sind. - Wie fühlen Sie sich am Morgen nach der Entscheidung? - Wie ein Preuße sich so fühlt, wenn er seine Pflichten erfüllt.

    Der Preuße Manfred Stolpe, künftiger Bundesminister für Verkehr, Bau und Aufbau Ost, der sich vom Kanzler in die Pflicht nehmen ließ, nachdem die Personalie Tiefensee gescheitert und von Fahnenflucht die Rede war. Die rot-grünen Alpha-Tiere gaben sich darob "not amused". Manfred Stolpe, der vierte Verkehrsminister im fünften rot-grünen Regierungsjahr, Aufbau-Ost jetzt im Beipack. Ein alter Fahrensmann, der bei aller Souveränität eines nicht verdecken kann: Die Personaldecke der SPD ist dünn. Im Osten, das ist nicht neu, aber auch im Westen. Die Enkel und Enkelinnen Schröders werden derzeit vom Kanzler als noch nicht ministrabel angesehen, die Vogts und Matschies brauchen offenbar noch Zeit. Gestandenes Personal erhält den Vorzug, an Renate Schmidt als neuer Familienministerin kann der Kanzler nicht vorbei, an möglichen Kandidatinnen aus dem Osten sehr wohl. Und so begibt sich denn die rot-grüne Koalition in die neue Legislaturperiode, in schwieriger Zeit mit kleiner Mehrheit und großen Problemen, die ihr das politische Umfeld beschert. Aufbruchstimmung ist Fehlanzeige. Visionen gelten als Gedöns. Die Botschaft der Pragmatiker heißt schlicht "Wir schaffen das."