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"Koch des Jahrhunderts"

Das Fleisch flach und tot in roter Soße, die Nudeln bisslos, dazu grüne Blätter in Wasser und Öl, das Ganze aus Rationalisierungsgründen gleichzeitig serviert, im so genannten Dreiteiler, einem Teller mit Innenwänden, damit das Nährgut nicht ineinander laufe und sich vermische. Es gab eine Zeit, da hat vielen von uns so ein Essen geschmeckt, denn zuvor hatte es eine Zeit gegeben, da hatte man nicht einmal das gehabt. Gut war ein Essen dann, wenn erst der Teller voll war und hinterher man selbst.

Von Xaver Frühbeis | 19.11.2004
    Mit der Zeit jedoch wendete sich im Nachkriegsdeutschland alles zum Besseren. Die Menschen begannen wieder zu reisen und berichteten, aus Frankreich zurückkehrend, von wundersamen Dingen: Speisen, die nicht nur satt machten, sondern auch noch köstlich mundeten, Köche und Restaurantchefs, die aus frischer Ware erlesene Geschmackskombinationen zauberten, Gourmetereignisse, an deren Ende sich ein ungemeines - nicht: Völle- sondern: Wohlgefühl einstellte.

    Wolfram Siebeck war der Vorkämpfer gehobener Esskultur in Deutschland, er focht im Duett mit dem Österreicher Eckart Witzigmann: Siebeck in den Zeitschriften, Witzigmann in der Küche. Witzigmann war von dem Bauunternehmer Eichbauer nach München geholt worden, der dort, die Zeichen der Zeit erkennend, ein Nobelrestaurant eröffnet hatte, das "Tantris". Witzigmann, damals dreißig, stammte aus Bad Gastein und sollte jetzt den Münchnern zeigen, wie man ausgezeichnet kocht und noch besser isst. Anfangs aber wollten die das gar nicht wissen. Man präferierte mehr das Bodenständige.

    Mit der Zeit jedoch trug des Witzigmannes Wirken Früchte. Viele Münchner wandten sich ab von Mehlspeis und Steak und wandten sich dem Ausgefallenen zu.

    Wir machen heute Mittag ein Gelee von Räucheraal vom Chiemsee, frisch geräuchert, mit einer kleinen Vinaigrette, dann einen Salat auf Wurzelgemüse mit Spanferkel und Meerrettich, anschließend eine Renke im Dillsud, oder wir machen eine geeiste Blumenkohlsuppe mit Kaviar, anschließend einen Seehecht, mit etwas Senf bestrichen, ganz leichte Estragonsauce, dann kommt ein Sorbet als Zwischengang, dann ein Lammkotelett, mit Mangold, Dessert machen wir eine Quarkcreme mit Melone und anschließend einen Gratin von Kirschen mit Makronen und eine leichte Kirschsabaione mit Zimteis. Das reicht dann.

    Es reichte sogar zu weltweitem Ruhm. Am 19. November 1979 wurde Witzigmann, der mittlerweile in seinem eigenen Restaurant kochte, der Münchner "Aubergine", von den Gourmetkritikern des französischen Guide Michelin mit drei Sternen gekrönt. Es war das dritte Mal, dass einem Restaurant außerhalb Frankreichs etwas Derartiges widerfuhr, und das erste Mal, dass ein deutscher Koch mit drei Sternen ausgezeichnet wurde.

    Ich persönlich neige privat zu einer Küche, die rasch geht. Nicht, dass man stundenlang dahinkocht und der ganze Tag ... die Kinder sind auch froh, wenn man mal was unternimmt, Rad fährt, baden geht.

    Baden gegangen ist Eckart Witzigmann dann tatsächlich. Er, der immer so genau darauf achtete, was seine Gäste sich in den Mund schoben, zog sich bedenkenlos durch die Nase, was man besser sein lässt. Wegen sechs Gramm Kokain wurde Witzigmann verurteilt und mit dem Entzug der Restaurantkonzession bestraft. Hätte er eine andere Droge gewählt, Bier beispielsweise, hätte er in München Wiesnwirt werden können. So aber mussten die Münchner von nun an bei einem anderen Koch essen. Standfestigkeit jedoch zeigten die Michelinleute. Wer kokst, dachten sie, muss nicht unbedingt schlecht kochen. Und sie bedachten Eckart Witzigmann mit dem Ehrentitel "Koch des Jahrhunderts", den außer ihm nur noch drei andere Küchenmeister auf Erden tragen dürfen. Witzigmann selbst ist heute Patron in Mallorca und Tokio, genießt seinen Lebensabend, und vielleicht sehnt er sich ja in der Ferne ein bisschen zurück nach den bodenständigen Speisen seiner österreichischen Heimat.