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Koch fordert grundlegende Steuervereinfachung

Hessens Ministerpräsident Koch dringt auf eine grundlegende Vereinfachung des Steuersystems. Koch sagte im Interview der Woche des Deutschlandfunks, große Nettoentlastungen sollte man aber nicht versprechen. Er forderte zugleich, die Streichung von Ausnahmeregelungen durch Entlastungen an anderer Stelle auszugleichen. Arbeitnehmer, die möglicherweise künftig auf die Steuerbefreiung der Zuschläge für Sonn- und Feiertags- sowie Nachtarbeit oder auf Entfernungspauschalen verzichten müssten, dürften unter dem Strich nicht weniger haben als bisher.

Moderation: Michael Groth |
    Groth: Herr Koch, sind Sie nach der Ablehnung der Europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlanden froh, dass es hierzulande kein Referendum gab?

    Koch: Ich glaube, dass die Entscheidung in Frankreich und den Niederlanden durchaus eine Stimmung in der Bevölkerung wieder gibt, die zu hören für die Politik wichtig ist. Ich bleibe aber auch dabei, dass die Erfahrung von Referenden ist, dass dort auch über sehr viele Dinge mit abgestimmt wird, die mit dem wirklichen Sachverhalt, der zur Abstimmung steht, wenig zu tun haben. Und deshalb glaube ich, unsere Ordnung, wie sie in Deutschland ist, mit der Chance, über Landtagswahlen, die immer wieder stattfinden, durchaus Meinungsäußerungen abgeben zu können, aber eben die Verantwortung des Parlaments zentral zu lassen, ist eine verfassungsmäßige Ordnung, mit der wir auch in Zukunft gut umgehen können.

    Groth: Wie geht’s jetzt weiter mit Europa?

    Koch: Ich glaube, dass die europäische Politik den Bürgerinnen und Bürgern – und das gilt nicht nur für diese beiden Länder, die jetzt abgestimmt haben, sondern durchaus auch für uns in der Bundesrepublik Deutschland – ein deutliches Signal geben muss, dass diese Werbeschrift "Wir haben verstanden" enthält. Wir haben verstanden, dass die Bürger Sorge haben, dass Europa im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar wird, dass man nicht mehr weiß, was gehört eigentlich dazu, dass man die Sorge hat, dass immer neue Einflüsse, auch immer neue finanzielle Belastungen immer unkalkulierbarere Entwicklungen in Europa entstehen. Und ich glaube, es gehört zur Klarheit, zu sagen, dass in beiden Ländern das Thema Türkei und der Beitritt der Türkei eine nicht unerhebliche Rolle, wahrscheinlich in den Niederlanden noch stärker als in Frankreich, gespielt haben. Und deshalb wird die Europäische Union das Signal senden müssen: Wir werden langsamer machen mit dem dauernden Denken an neue Erweiterung. Und man wird das Signal senden müssen: Wir werden langsamer machen, immer mehr Bereiche mit der Bürokratie zu überziehen. Wenn Sie in diesen Tagen in der Zeitung lesen, dass der Schwarzwälder Schinken möglicherweise nicht mehr gehandelt werden darf, weil europäisches Recht das verbietet, und andere darüber diskutieren, dass in einem Biergarten Kellner ohne Sonnenschirme nicht mehr arbeiten dürfen, dann entsteht aus diesen eher Kleinigkeiten der Eindruck bei den Bürgern, dass da eine verrückt gewordene Bürokratie einen ganzen Kontinent beherrschen kann. Auch dort ist Bescheidenheit angesagt, wenn man das Vertrauen wiedergewinnen will.

    Groth: Wenn sich Europa wieder stärker auf die Nationalstaaten konzentriert, wird dann der Druck, sich auch hier neu aufzustellen, größer? Die Frage zielt auf Ihre Prognose in Sachen Föderalismusreform.

    Koch: Nun, ich glaube zunächst einmal, die Aufgabenstellung in Europa sollte man nicht verwischen. Es wird eine große Herausforderung sein, sehr schnell institutionelle Reformen in Europa hinzubekommen, denn wenn Europa in der Welt nicht als eine Einheit auftritt, werden auch wir Deutsche sehr viele Chancen verlieren. Wir Deutsche wollen nach wie vor ein starkes Europa, kein Europa, das uns in Kleinkram und Bürokratie gängelt, aber ein Europa, das nicht nur eine einheitliche Telefonnummer in der Welt hat, wie Henry Kissinger das mal gefordert hat, sondern auch ein Europa, das, wenn man anruft, eine einheitliche Antwort geben kann. Dazu ist dann ein sehr starkes und handlungsfähiges Deutschland notwendig. Ich habe sehr bedauert, dass es am Ende zum Abschluss der Föderalismusreform nicht kommt, obwohl wir uns – jedenfalls unsere Verhandlungsführer – ja bis auf einige Formulierungen in Begleittexten auf alles, inklusive Bildung, in den letzten Tagen verständigt hatten und es ein Leichtes gewesen wäre, das noch durchzusetzen. Aber offensichtlich hatte Herr Müntefering keinen Anlass mehr gesehen, die relativ bittere Pille für die Sozialdemokraten, dass der Bund nicht die Zentralkompetenz in der Bildung bekommt, zu erklären und hat dann lieber ganz darauf verzichtet. Und ich mache mir große Sorgen, ob eine deutlich minimierte SPD, die auf absehbare Zeit keine nationalen Regierungshoffnungen mehr hat, nach einer Bundestagswahl wieder bereit ist, zu den Kompromissen zurückzukehren, die wir jetzt beschlossen haben – für Länder, Bund und insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger. Im Sinne von Klarheit zu wissen, wer für was verantwortlich ist, wäre es sehr wichtig, diese Föderalismusreform hinzubekommen. Und deshalb muss es auch nach der Bundestagswahl einen weiteren Anlauf geben. Die Union wird dazu entschlossen sein, und ich hoffe, dass die Sozialdemokraten dann zu den Vereinbarungen stehen, die heute mit ihnen möglich gewesen wären.

    Groth: Kommen wir zur Finanzpolitik. Es ist vorgesehen, die Körperschaftssteuer von 25 auf 19 Prozent zu senken. Die Union will das Steuersystem vereinfachen. Merz und Faltlhauser sprechen von der Senkung der Steuersätze von 12 auf höchstens 39 Prozent. Wie soll das gegenfinanziert werden?
    Koch: Das Problem der deutschen Steuerpolitik der letzten Jahre ist, dass wir immer an Einzelteilen diskutiert haben, immer mit guter Absicht, aber letzten Endes immer mit der Folge einer weiteren Komplexität, einer weiteren Komplizierung des Systems. Deshalb ist das Wichtigste, dass es bei dem Programmsatz der CDU, wie sie ihn in Leipzig beschlossen hat, bleibt. Das derzeitige Steuersystem ist durch Details nicht reformfähig, sondern es muss prinzipiell verändert werden. Richtig ist zum zweiten der Grundsatz: Wir haben ein System, in dem wir vom Bruttoinlandsprodukt, also von allem, was wir erarbeiten, nur insgesamt etwa 20 Prozent an Steuern erheben. Das ist nicht schlecht international, sondern eher ein Satz, der niedriger ist, als viele vergleichbare Länder haben. Trotzdem haben wir absurd hohe Steuersätze, über 40 Prozent, die in den Zahlen der Gesetze stehen, also doppelt so hoch als das, was im Schnitt erhoben wird. Und wir müssen dazu kommen, dass die Steuersätze etwas mit dem zu tun haben, was tatsächlich am Ende herauskommt. Das ist im wesentlichen eine Vereinfachung, denn zunächst einmal erheben wir ja nur 20 Prozent Steuern über alles. Und würden wir sagen: Jede wirtschaftliche Tätigkeit in Deutschland wird mit 20 Prozent besteuert. Punkt. Dann hätten wir genau so viel Geld wie im Augenblick mit einem hochkomplizierten System, das alle Leute in der Welt erschreckt. Deshalb, Vereinfachung des Steuersystems ist ein Wert an sich. Er erfordert zunächst noch nicht, dass man riesige Steuerentlastungen hat. Aus meiner Sicht haben allerdings ein Teil der Bürger, die heute die Steuerlast tragen, bei dieser Veränderung auch einen Anspruch darauf, dass wir darüber nachdenken, wenn wir vereinfachen, wenn wir ihnen auch Sondermöglichkeiten wegnehmen, dass sie dann an einer anderen Stelle entlastet werden. Die Krankenschwester, die heute über Nachtarbeitszuschlag und Entfernungspauschale steuerliche Vergünstigungen erhält, weil sie etwas weiter vom Krankenhaus entfernt wohnt und nachts im Krankenhaus Dienst tut, die soll am Ende nicht mehr Steuern bezahlen und weniger Geld in der Tasche haben, sondern das Steuersystem muss dann in seinen Sätzen so sein, dass sie mit einer einfacheren Steuererklärung, mit einfacheren Regelungen am Ende trotzdem zumindest gleich gut wenn nicht ein kleines Stück besser gestellt wird. Und diese Aufgabe in der Steuerreform zu bewältigen ist die Herausforderung. Ich halte das für möglich. Und ich halte das auch für möglich, ohne dass man den Menschen nun riesige Nettoentlastungen verspricht. Man kann ihnen ein sehr viel einfacheres System versprechen, bei dem keiner draufzahlt und das deshalb sehr viel attraktiver ist. Und wenn dann die Wirtschaft wächst, also wenn die erste Stufe erreicht ist, dann müssen wir auch darüber nachdenken, ob wir die effektiven Steuersätze, also das, was tatsächlich am Ende für den Staat hereinkommt, ein weiteres Stück absenken können, um mehr Geld bei Privaten zu haben, die dafür eigentlich mehr Verwendung haben als wir als Staat.

    Groth: Jetzt gibt es ja in der Union einen bunten Chor unterschiedlicher Vorschläge. Der Kollege Stoiber hat vor ein paar Tagen noch davon gesprochen, die von Ihnen angesprochene Nacht- und Feiertagsarbeit in Zukunft zu besteuern. Einige sprechen von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer, andere schließen das aus. Das muss doch den Wähler eigentlich verwirren. Sie haben Klarheit gefordert. Wann ist denn die zu erwarten?

    Koch: Die Klarheit gibt es mit dem Wahlprogramm am 11. Juli und dem Beschluss der beiden Parteivorstände. Dieses wird es geben. Es ist ein Ringen um den richtigen Weg in einem sehr konzentrierten, auch zeitlich sehr engen Prozess. Und da wird es gelegentlich zwei Meinungen geben. Und ich finde, dass die Bevölkerung viel mehr Angst vor einer Partei haben müsste, die nicht einmal in der Lage ist, zwei intellektuelle Gedanken untereinander auszutauschen, was die richtige Strategie ist, bevor sie eine so komplizierte Aufgabe übernimmt, weil das ja die Wahrscheinlichkeit auslöst, dass das ganze Durcheinander nach der Wahl ausbricht. Und vor diesem Hintergrund denke ich, dass wir die Fragen sehr schnell beantworten können, auch in dem Sinne, dass bestimmte Dinge, etwas das, was Edmund Stoiber zu Nacht- und Feiertagszuschlägen gesagt hat, das haben wir auch auf dem Parteitag beschlossen. Das haben CDU und CSU beschlossen, das brauchen wir nicht jeden Tag neu zu diskutieren. Die Frage, wie man mit der Umsatzsteuer im Verhältnis zu den Sozialversicherungssystemen umgeht, ist eine Frage, da haben wir noch Diskussionsbedarf. Wir wollen am Ende in der Summe den Bürger nicht mehr belasten. Aber es gibt gute Argumente, darüber nachzudenken, wie wir die Sozialabgabe schnell herunterbekommen. Deshalb nehmen wir uns die Zeit einiger Tage, das zu einer endgültigen Entscheidung zu bringen. Bei der Wahl wählt der Bürger nicht die Katze im Sack, sondern er weiß genau, was wir wollen.

    Groth: Das heißt, noch mal nachgefragt, Sie können sich durchaus auch vorstellen, dass eine höhere Mehrwertsteuer diese Dinge decken könnte?

    Koch: Das werden wir sehen. Das ist eine der denkbaren Alternativen, wie jedermann inzwischen weiß aus der Diskussion. Welche wir davon wählen, entscheiden wir in einem gemeinsamen Diskussionsprozess, und spätestens bei der Beratung des Wahlprogramms am 11. Juli hat der Wähler Klarheit.

    Groth: Sie machen sich ja schon seit längerem auch Gedanken über den Abbau von Subventionen. Wo muss man da in erster Linie ran?

    Koch: Ich glaube, dass wir auch in der nächsten Runde der Diskussion über den Subventionsabbau gut beraten sind, das Prinzip, dass der Kollege Steinbrück und ich entwickelt haben, sehr wenige Subventionen auszunehmen und alle anderen gleichmäßig zu behandeln und abzubauen, zu wählen. Wir haben an dieser Stelle den Vorschlag von Steinbrück und mir, der ja in wenigen Wochen zum Gesetz erhoben worden ist. Wir werden damit dauerhaft ab dem Jahre 2007 jährlich 10 Milliarden weniger ausgeben, als wir ohne dieses Programm ausgegeben haben und innerhalb von drei Jahren, jetzt 2005, 2005 und 2006, insgesamt 15 Milliarden eingespart haben. Natürlich ist dieses, was wir einen ‚Werkzeugkasten’ genannt haben, auch geeignet, fortentwickelt zu werden. Das heißt, man muss nur sagen, wir wollen jährlich 30 Milliarden haben, dann kann man sehr schnell mit Hilfe des Computers ablesen, was das bedeutet. Diese Subventionskürzung muss man aber immer in einem Zusammenhang auch mit der Steuerreform sehen. Denn zwei Drittel der Dinge, die da Subventionskürzungen genannt werden, und bei denen die Bürger sich ja immer eher einen Zuschuss zu einer Werft oder einen Zuschuss zur Steinkohle vorstellen, zwei Drittel sind in Wahrheit ganz normale Steuerentlastungen, nämlich zum Beispiel die Pendlerpauschale und zum Beispiel die Eigenheimzulage. Die alle sind über den Koch-Steinbrück-Vorschlag gekürzt worden. Und wenn man sagt, statt 10 Milliarden will man 20 oder 30 haben, ist das eine Fortsetzung dieser Kürzung. Das ist in Ordnung, das kann gehen, aber es betrifft die besagte Krankenschwester, die etwas weiter vom Krankenhaus entfernt wohnt. Und deshalb geht diese Subventionskürzung immer nur einher mit einem logischen und nachvollziehbaren Konzept auch auf dem Weg der Steuerreform. Aber als eine Gegenfinanzierung zur Steuerreform steht dieser Subventionsabbau sehr wohl zur Verfügung. Und deshalb braucht uns keiner zu sagen, eine Steuerreform wäre prinzipiell unmöglich, weil es dafür kein Geld gibt. Denn es gibt einen Zusammenhang zwischen den Möglichkeiten, die wir bewiesen haben. Und die Kürzungen, die Steinbrück und ich vorgeschlagen haben, sind ja offensichtlich, ohne dass Deutschland zusammengebrochen ist, inzwischen verwirklicht worden. So gibt es eine Möglichkeit, das fortzusetzen. Und deshalb, es gäbe auch die Voraussetzung für eine mutige Steuerreform. Und das ist eine wichtige Botschaft, denn Angela Merkel hat ja schon klar gesagt, von dem Prinzip, dass wir eine Steuerreform brauchen, wird die Union nicht ablassen.

    Groth: Die deutsche Wirtschaft stöhnt unter den hohen Lohnnebenkosten. Gibt es nach Ihrer Ansicht einen guten Weg, diese zu senken?

    Koch: Ich glaube, dass wir sehr schnell nach der Bundestagswahl als erstes die Arbeitslosenversicherung absenken müssen. Derzeit haben wir dort einen zu hohen Prozentsatz. Da kann man sehr schnell ein Prozent, eineinhalb Prozent absenken. Ein Prozent weniger Arbeitslosenversicherung sind sieben Milliarden Euro, dreieinhalb Milliarden für die Bürgerinnen und Bürger, die in den normalen Konsum gehen, dreieinhalb Milliarden für die Wirtschaft. Das ist leistbar. Dafür gibt es Konzepte und ich bin sicher, dass man das auch in sehr schneller Zeit mit den Selbstverwaltungsorganen der Bundesagentur umsetzen könnte. Das hat wirklich Beschäftigungswirkung und wirkt sich damit unmittelbar ja auch auf die Aktivität und die Budgets der Bundesagentur, die so belastet sind, aus. Die zweite Stufe muss sein, dass wir in der Gesundheitsreform eine Abkopplung, wie wir sie letzten Endes auf dem Leipziger Parteitag beschlossen und dann anschließend in dem Kompromiss mit der CSU gefunden haben, geschehen, damit in Zukunft die Arbeitgeber wissen: Steigerung der Gesundheitskosten beeinträchtigen nicht mehr die Preise, mit denen wir ein Auto oder eine Maschine oder eine Dienstleistung von hier in Deutschland in die ganze Welt verkaufen. Und dann ist die dritte Frage, ob es eben ein vernünftiger Weg sein kann, eine weitere Absenkung dadurch zu erreichen, dass wir zwischen Mehrwertsteuer auf der einen Seite und Sozialabgaben auf der anderen Seite ein neues Verhältnis herstellen.

    Groth: Angela Merkel hat von einer Agenda Arbeit gesprochen, mit der sie in den Wahlkampf ziehen will. Das klingt ja ziemlich vage. Wie konkret muss denn das Programm sein, das die Union demnächst vorlegen will?

    Koch: Also, ich finde, dass das ziemlich präzise ist. Der Satz "Alles, was Arbeit fördert, wird gemacht – alles, was Arbeit nicht fördert, wird unterlassen" ist ein Satz, der den Bürgerinnen und Bürgern im Falle des Regierungsauftrages an die Union in den nächsten Monaten und Jahren, denke ich, sehr oft begegnen wird. Wir haben viele Regelungen im Genehmigungsverfahren geschaffen, die Arbeit kosten. Ein Antidiskriminierungsgesetz, das den Arbeitgebern die Pflicht auferlegt, jedes Personalgespräch sorgfältig zu dokumentieren, weil sie deshalb mal verklagt werden können, wird ihnen die Lust nehmen, in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen. Wir haben eine Energiepolitik gemacht, indem wir Zehntausende von Arbeitsplätzen in Deutschland verloren haben, weil die Energiepreise zu hoch sind, aber auch, weil wir nicht mehr in der Lage sind, ein Kernkraftwerk zu bauen und irgendwo in der Welt zu verkaufen, womit wir früher eine Menge Geld verdienen konnten. Also, es gibt eine Menge Punkte, die auf der Agenda Arbeit die Uhren anders stellen werden. Und diese Agenda muss auch nach Europa getrieben werden. Wir haben gerade eine Diskussion über eine Chemikalienrichtlinie auf dem Europäischen Parlament, die wird einem Drittel der deutschen mittelständigen Chemieunternehmen den Garaus machen, wenn sie kommt. Agenda Arbeit heißt am Ende auch, dass ein großes Projekt wie ein Flughafen nicht mehr zehn Jahre dauern darf, sondern schneller gehen muss, heißt auch, dass ein Straßenbauprojekt nicht am Ende an einigen Molchen oder Vögeln an jeder Stelle gehindert wird und weiter Zehntausende von Autos pro Tag durch Wohngebiete fahren und Menschen belasten. Also, diese Agenda Arbeit wird das sehr harte und konkrete Kernziel der nächsten Regierung sein. Aber viele der Konsequenzen, die ich im Augenblick beschrieben habe, werden Sie auch im Wahlprogramm am 11. Juli finden. Wir beabsichtigen, den Bürgern sehr präzise zu sagen, was wir nach der Wahl zu tun gedenken.

    Groth: Einschließlich eines Hundert-Tage-Programms, was die ersten Schritte sein werden?

    Koch: Ich weiß logischerweise nicht, bevor wir mit den Programmberatungen zu Ende sind, wie wir das, was wir in der Perspektive von Regierungsarbeit und der Thesen der ersten Tage machen, klären. Ich glaube, dass es sicherlich klar sein muss, was wir in den ersten Tagen machen, wie auch immer man das nennen, das heißt, was im Arbeitsrecht sehr schnell geschieht, was zum 1. Januar nächsten Jahres noch in Kraft treten muss und welche Schritte wir danach haben. Die Bürger sollen nach der Wahl, bei denen die Veränderungen ja nicht leicht sein werden und es nicht nur Begeisterte geben wird, durchaus messen können, ob es das ist, was wir vorher gesagt haben. Deutschland braucht im Augenblick ein Stück neue Ehrlichkeit unter dem Gesichtspunkt: Wir wollen genau das vollziehen, was wir vor der Wahl angekündigt haben. Das wird öffentliche Auseinandersetzungen haben im Tarifvertragsrecht. Die Gewerkschaften werden auf die Straßen gehen. Wir alle müssen wissen: Wir vollstrecken das, was der Wähler uns als Auftrag gegeben hat. Und der Wähler hat diesen Auftrag erteilt in Kenntnis dessen, was wir machen, da Autorität der neuen Regierung etwas ist, was diese Regierung auch dringend braucht.

    Groth: Bleiben wir doch beim Tarifvertragsrecht zum Beispiel. Welche Änderungen sind da aus Ihrer Sicht vor allen Dingen notwendig?

    Koch: Der große Vorteil in der Diskussion über die Veränderungen bei dem Arbeitsmarkt ist, dass wir alles, was dafür zu tun ist, nicht nur in Programmen zwischen CDU und CSU und auch der FDP längst beschlossen haben, sondern es auch Gesetzentwürfe im Bundestag und Bundesrat zu diesen Fragen gibt. Das heißt konkret, dass im Bereich des gemeinschaftlichen Arbeitsrechts, des kollektiven Arbeitsrechts für die Tarifverträge es so sein muss, dass Flächentarifverträge weiter in Deutschland bestehen bleiben, dass sie der Maßstab sind, wenn man sich im Betrieb auf nichts anderes einigen kann, damit nicht jeder Betrieb einzeln streikt, aber dass, wenn Betriebe, Betriebsrat oder Belegschaft und Arbeitgeber, sich auf etwas anderes einigen, sie das Recht haben, das zu tun, und dass dann alles günstiger für den Betrieb ist, was Arbeit schafft, und dass sie deshalb Abweichungsrecht haben, die ihnen heute von Gewerkschaftsfunktionären und gelegentlich auch von Unternehmerverbänden verwehrt werden. Wir wollen, dass Unternehmen wieder Schicksalsgemeinschaften sind, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einem Strang ziehen und das einzige, was sie hindern kann, ist, dass sie sich nicht einigen, aber dass nicht Leute, die gar nicht wissen, was in dem Betrieb passiert, anfangen, ihnen Vorschriften zu machen, die diesen Betrieb Arbeitsplätze und Zukunftschancen zu kosten.

    Groth: Wenn man Herrn Seehofer hört und manchmal auch Stoiber oder Glos, dann scheint denen eine Arbeitsteilung vorzuschweben, die CSU für das soziale Wohlfühlen und die CDU für die Grausamkeiten. Das kann doch nicht in Ihrem Sinn sein.

    Koch: Ich glaube, dass es zwischen Angela Merkel und Edmund Stoiber eine große Übereinstimmung gibt, dass wir mit diesem Prinzip der neuen Ehrlichkeit die Dinge angehen müssen, die Probleme nun lösen müssen. Ich weiß, dass es in den Parteien gelegentlich auch unterschiedliche Diskussionen gibt. Horst Seehofer ist eine interessante Stimme in der Union, auch diese Position zu vertreten. Aber ich glaube, es ist auch in der letzten Zeit deutlich geworden: Er vertritt eine Meinung, die von der Mehrheit der CDU und CSU abweicht. Deshalb ist sie nicht illegitim und deshalb muss man nicht über sie schimpfen, aber man muss den Bürgerinnen und Bürgern am Ende eben auch klar sagen, was man besprochen hat und wo die Mehrheiten stehen. Und wir sind dann auch im Wort den Bürgern gegenüber, das zu machen, wenn wir gewählt werden, was die Mehrheiten in unserer Partei beschlossen haben.

    Groth: In den sechziger Jahren hieß es bei Adenauer und Erhard: Wohlstand für alle. Kohl hatte seine geistig moralische Wende. Was ist die Botschaft der Kanzlerkandidatin Merkel?

    Koch: `Die Agenda Arbeit ist die Botschaft. Sie bedeutet, alle Menschen, die arbeitsfähig und arbeitswillig sind in diesem Land, haben das Recht zu erwarten, dass die Regierung Rahmenbedingungen schafft, unter denen Unternehmen in Deutschland Menschen auch beschäftigen wollen, und dass sie einen Zustand beenden, in dem sehr viele Unternehmen aus Deutschland fliehen, die ausgezeichnete Arbeitskraft, die hohe Arbeitsmotivation, die es in Deutschland gibt, die tolle Qualifikation unserer Produkte missachten, nur weil die Randbedingungen, die eine Regierung geschaffen hat, nicht stimmen. Wir sind heute Platz 25 unter 25 Ländern, wenn es um die Wachstumsgeschwindigkeit geht. Das heißt, wir sind die Langsamsten im vereinten Europa. Das hat Deutschland nicht verdient, das kann man ändern. Und diese Botschaft, Arbeit und Wachstum, wird den Wahlkampf beherrschen.

    Groth: Hat sich die CDU unter der Führung von Frau Merkel verändert?

    Koch: Ich hoffe, dass eine Partei, wer auch immer sie führt, niemals stehen bleibt. Und selbstverständlich hat auch in den letzten Jahren, die ja geprägt davon sind, sich in der Zeit nach einer langen Regierung bis 1998 wieder auf eine neue Regierung vorzubereiten, die Union sich verändert. Diese Veränderung ist eine Anpassung an veränderte Herausforderungen in unserer Zeit. Und Gott sei Dank ist die CDU in der Lage gewesen, mit einer Veränderung auch ihres Programms diesen Herausforderungen gerecht zu werden, und jetzt hat sie, so hoffe ich, eine Chance, in der Wirklichkeit der Regierung zu beweisen, dass diese Programme tauglich sind, die Herausforderungen dieses Jahrzehnts zu bewältigen.

    Groth: Nennen Sie doch bitte mal drei charakteristische Eigenschaften, die Sie bei Ihrer Parteivorsitzenden erkennen.

    Koch: Also, wir sind ja nicht zur gegenseitigen psychologischen Exegese berufen. Aber dennoch ist klar: Angela Merkel ist führungsstark, Angela Merkel hat einen klaren Blick für die zentrale Bedeutung von Wirtschaft, aber Angela Merkel ist auch jemand, die auf ihre Lebenserfahrung bauend darauf bedacht ist, unterschiedliche gesellschaftliche Positionen zu einem Ausgleich zu bringen, sowohl in ihrer Biografie aus Ost und West, auch in ihrer Biografie zwischen Männern und Frauen, aber durchaus auch in dem Sinne, dass unterschiedliche Strömungen der Union, die in einer Volkspartei zusammen kommen müssen, mit ihrer unterschiedlichen Vorstellung zwischen individueller Verantwortung und kollektivem Schutz zu einem Konsens kommen, der das Modell der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland im Sinne Ludwig Erhards erhält, aber zugleich Deutschland in einer globalisierten Wettbewerbswelt auch so schnell macht, wie es notwendig ist, um die Beschäftigung, die Auftragslage zu haben, die die Menschen mit ihren Kenntnissen in unserem Land verdient haben.

    Groth: In den Grausamkeiten, zu denen es wohl kommen muss, liegt ja auch ein hohes Risiko. Unisono sagen Sie und Ihr Kollege Wulff: Wir haben einen Schuss frei. Gilt das für Frau Merkel oder gilt das für die Union als Ganzes?

    Koch: Das gilt für die Union als Ganzes. Ich fürchte, es ist noch schlimmer. Es gilt für das derzeitige demokratische Parteiensystem in Deutschland. Die Sozialdemokraten haben wahrscheinlich die größte politische Verantwortung als Schaden für Deutschland in den letzten sechs, sieben Jahren zu übernehmen, dass sie oft den Eindruck erweckt haben, sie hätten eine Antwort und die Bürger oft enttäuscht haben. Und sie haben damit einen großen Teil Schuld daran, dass die Bürger heute glauben, die großen demokratischen Parteien würden sich in ihrer Unfähigkeit, die Probleme zu lösen, eigentlich fast gar nicht mehr unterscheiden. In dem Augenblick, in dem die Union die Regierungsverantwortung gemeinsam mit der FDP in Deutschland übernimmt, haben wir die Chance, das Gegenteil zu beweisen und damit sehr schnell das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie und die Parteien, die sie repräsentieren, wieder herzustellen. Wenn wir dort nach zwei Jahren den Eindruck erwecken, wir wüssten auch nicht, wie es geht, wir seien genau so hilf- und konzeptionslos, wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer das in den letzten Jahren waren, dann werden die Bürger entscheiden, die können das alle nicht. Und dann wird sich das Gesicht der Parlamente und ihrer Zusammensetzung in Deutschland verändern, wahrscheinlich in einer Weise, in der wir das alle nicht wollen können. Das ist die Bedeutung von "ein Schuss frei". Wir haben dabei eine Verantwortung für Deutschland und sind nicht in so einer kleinkarierten Diskussion, ob irgend eine Person oder irgend eine bestimmte politische Konstellation ein paar Tage mehr oder weniger Regierungszeit hat.

    Groth: Die Kandidatin will den Wahlkampf ohne Feindbilder führen. Sie gelten als jemand, der zuspitzen kann. Werden Sie etwas vermissen?

    Koch: Wir haben keinen Anlass, Feindbilder zu schaffen, denn wir haben eine ganz nüchterne Bilanz zu ziehen. Die heißt: Gerhard Schröder und seine Regierung hat sechs Jahre lang Zeit gehabt, diese Bundesrepublik Deutschland entsprechend dem, was sie den Bürgern versprochen haben, zu führen. Er muss jetzt heute faktisch zurücktreten, in einem komplizierten Weg, den er selbst nicht richtig gefunden hat bis heute, weil er weiß, dass er die Regierungsgeschäfte nicht mehr vernünftig ausüben kann. Er ist gescheitert. Das ist kein Feinbild, sondern das ist eine schlichte nüchterne Analyse. Und wir bieten den Bürgern an, einen Neuanfang zu machen, weil wir überzeugt sind, dass deutsche Politik nicht scheitern muss, dass die Herausforderungen nicht unlösbar sind, sondern dass man, wenn man Konzept, Entschlossenheit und geeignete Personen zusammenbringt, eine gute Zukunft für Deutschland hat.

    Groth: In der ZEIT werden Sie in dieser Woche zum künftigen Superminister für Wirtschaft und Arbeit ausgerufen, der – Zitat – polarisierende Energie in den Dienst der zentralen Problemlösung stellt. Beflügelt so etwas auf dem Weg nach Berlin?

    Koch: Ich habe den Bürgern in meinem Bundesland klar gesagt, dass mein Schwerpunkt hier ist und ich habe keinen Anlass, diese Diskussion jeden Tag neu zu führen.