Koch: Ohne Zweifel ist für uns alle, die wir in Verantwortung stehen, die Diskussion seit dem 11. September des Jahres 2001 in eine neue Dimension gekommen, in eine neue Dimension, die sowohl sich auf Fragen der Sicherheit bezieht, als auch auf die Frage, wie wir mit den kulturellen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen umgehen.
Detjen: Es gibt ja Beobachter, die sprechen von einem Kampf der Kulturen.
Koch: Ja, ich glaube, dass man nicht ein Huntington-Anhänger werden muss und von diesem Kampf der Kulturen sprechen muss. Aber dass es Missverständnisse oder auch Möglichkeiten der Emotionalisierung an den Grenzen etwa religiöser Beziehungen, aber auch an den Grenzen von arm und reich in einer anderen Weise gibt, dass die Dimension der Anwendung von Gewalt an bestimmten Teilen und für bestimmte gesellschaftliche Gruppen in der Welt attraktiver geworden ist, offensichtlich wirksam, wenn wir jetzt sehen, dass nach der Einwirkung von Terroristen auf die spanische Wahl offensichtlich mit dem Anschlag auf die australische Botschaft ein Einwirken auf die in vier Wochen anstehende Wahl in Australien geschehen soll, dann ist das eben eine neue Dimension. Es ist nicht nur die Bedrohung von Individuen, nicht nur die Zerstörung von Lebensschicksalen, sondern es ist der Versuch, mit Mitteln der Gewalt unmittelbar Einfluss auf Demokratien zu nehmen. Wenige Menschen, die Millionen von Menschen beeinflussen, verängstigen, manipulieren oder was auch immer wollen. Und es wäre vermessen, heute zu behaupten, dass wir darauf eine endgültige Antwort haben, sondern wir haben nur Teilantworten - in der Sicherheit im Land, aber auch in dem Versuch, Dialoge zu beginnen.
Detjen: Wenn wir, Herr Koch, noch mal auf Russland blicken, dann hat uns dieses Geiseldrama von Beslan ja deutlich vor Augen geführt, dass die Auseinandersetzungen, die dort im Kaukasus geführt werden, nicht allein klassische Bürgerkriege Zerfallserscheinungen eines ehemaligen Weltreichs sind, sondern dass das auch ein Teil einer weltweiten Terrorfront ist. Der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew hat dieser Tage in der FAZ geschrieben, für Russland sei Beslan gleichbedeutend mit Beginn eines dritten Weltkrieges. Ist das eine Zeit, wo Deutschland jetzt auch stärker als zuvor an der Seite Russlands, an der Seite Putins stehen muss?
Koch: Zunächst einmal muss man sehen, dass wahrscheinlich die Schule in Beslan, was die Psychologie angeht, für viele Menschen in Russland eine ähnliche Wirkung hat, wie die Anschläge auf New York am 11. September. Und das wird zwei der großen Kulturen und Länder der Welt sehr viel stärker abschotten und in eine Kampfsituation, in eine mentale Kampfsituation zu einander bringen. Und ich glaube, wir in Deutschland wären ganz falsch beraten, wenn wir glauben würden, wir seien Zuschauer dieser Veranstaltung. Und ich glaube auch, dass wir ganz schlecht beraten wären, wenn wir glauben: Na ja, denen geschieht es recht, da ist das passiert, und denen geschieht es recht, weil die das und das gemacht haben. Wir müssen sehen, dass das keine rationale Auseinandersetzung ist auf der Basis, wenn man in der Politik ein bisschen was anderes macht, dann passiert so etwas nicht. Sondern es sind hier schon sehr grundsätzliche Fragen, die aufgeworfen werden. Und deshalb meine ich, dass das richtig war und auch heute noch richtig ist, dass wir in einer sehr engen Solidarität mit den Amerikanern auch diese Bekämpfung des Terrorismus bis zum heutigen Tag betreiben, und dass wir auch versuchen, Verständnis zu haben und zu unterstützen, wo das möglich ist - sehr viel schwieriger in Russland -, aber unterstützen, wo das möglich ist, dass Terrorismusbekämpfung geleistet wird. Allerdings bleibt dann auch: Die gesellschaftlichen Konflikte müssen auch angegangen werden. Zu glauben, man könne das nur mit Polizei und sonst was erreichen, da wird man sich sicher täuschen.
Detjen: Bleiben wir doch mal bei Russland. Bundeskanzler Schröder hat ja unmittelbar vor der Geiselnahme von Beslan nach den Explosionen der beiden russischen Flugzeuge sich sehr deutlich und demonstrativ auf dem Dreier-Gipfel mit dem französischen Staatspräsidenten an die Seite Putins gestellt. Schröder ist dafür kritisiert worden, auch aus den Reihen der Union, mit dem Hinweis auf die Menschenrechtslage in Russland und in Tschetschenien. Teilen Sie diese Kritik?
Koch: Ich glaube, man muss Dinge auseinander halten. Die terroristische Bedrohung ist nicht eindimensional etwa mit dem Verhältnis der russischen Zentralregierung zu der Teilrepublik Tschetschenien zu erklären. Wir wissen heute, dass es eine Verkettung mit islamischen Bestrebungen und den Auseinandersetzungen, die dort in den Teilrepubliken besteht, ergibt, die weit über die Dimension des klassischen Tschetschenienkonflikts hinausgehen. Ich glaube deshalb, dass die Solidarität in der Bekämpfung von Terrorismus, von menschenverachtendem Terrorismus, etwas anderes ist als die Frage, inwieweit wir auch unter Partnern und Nachbarn die Freiheit behalten, auf Entwicklungen in Ländern hinzuweisen, die mit unserem Verständnis von Menschenrechten nicht vereinbar sind. Ich glaube, wir sind gut beraten, das auseinander zu halten und behalten damit auch die Freiheit an dieser Stelle, sehr offen zu sagen, wo wir denken, dass Grenzen der Menschenrechte überschritten werden oder eine Verpflichtung und ein Interesse auch der freien Völker der Welt besteht, Rücksichtnahme auf Menschenleben durch Regierungen zu haben.
Detjen: Ihre Parteivorsitzende Angela Merkel hat ihre Kritik an Schröders Verhältnis zu Putin ja auch formuliert vor dem Hintergrund der Distanz, die Gerhard Schröder in der Auseinandersetzung um den Irakkrieg gegenüber den USA eingenommen hat. Damals hat sich die CDU ja sehr demonstrativ an die Seite der Vereinigten Staaten, der US-Regierung, gestellt. Sie selber waren im Frühjahr letzten Jahres, einige Wochen nach Angela Merkel, in Washington, sind dort anders als Merkel von Präsident Bush empfangen worden. Muss die Entwicklung im Irak und das, was wir seitdem über die Kriegsbegründungen der USA gelernt haben, nicht seitdem im vergangenen Jahr auch bei Ihnen zu einer kritischeren Distanz zu den USA führen?
Koch: Ich persönlich, und ich denke, das gilt auch für Angela Merkel, habe nie den Eindruck gehabt, dass ich eine unkritische Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika habe. Da gilt ähnliches. Ich glaube, dass man nicht unterschlagen darf, dass es eine besondere und privilegierte Partnerschaft aus meiner Sicht zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland aufgrund der letzten 50 Jahre gemeinsamen Weges in einer freiheitlichen Gesellschaft gibt und deshalb Freundschaft auch verlangt, dass man ein gewisses Maß an Solidarität an den Tag legt. Aber Solidarität heißt nicht, kritiklos alles hinzunehmen, was der andere macht, sondern das durchaus kritisch zu diskutieren und dann die Konsequenzen daraus zu ziehen. Ich persönlich bleibe allerdings nach wie vor der Auffassung, dass der Zustand im Irak auch nicht so bleiben konnte, wie er war, dass auf dem Weg oder dass insbesondere nach dem militärischen Teil der Operation in der Frage, wie geht man bei der Wiedererrichtung der Infrastruktur des Landes, wie geht man bei der Herstellung demokratischer Strukturen vor, ohne zuviel Porzellan zu zerschlagen, dass dort viele Fehler gemacht worden sind. Das wird auch in den Vereinigten Staaten keiner ernsthaft bestreiten. Nur die Frage, wo gehört Deutschland hin, damit zu beantworten, dass man eine Achse Paris - Berlin - Moskau schmiedet und versucht, daraus eine Alternative zur transatlantischen Freundschaft zu machen, die ist strategisch falsch gewesen am ersten Tag und mitten im Irakkrieg, und die ist auch heute falsch.
Detjen: Und trotzdem, hätte eine selbstkritische Prüfung Ihrer Haltung nicht dazu führen müssen zu gestehen, dass die Befürchtungen derer, die etwa in der Bundesregierung, etwa vom Bundesaußenminister geäußert worden sind, sich bewahrheitet haben, nämlich dass der Krieg im Irak nicht zu einer Eindämmung des Terrorismus führt, nicht zu einer Befriedung des Nahen Ostens, sondern eine Lunte ans Pulverfass legt?
Koch: Also ich denke, dass wir in einer Zeit sind, in der die Geschichte diese Frage nicht beantworten kann. Dass, wenn demokratische Verhältnisse im Irak hergestellt werden können, viele im Nahen Osten sich in einer Weise bedroht fühlen, wie sie es noch nie gesehen haben, weil natürlich eines der Kernländer der arabischen Welt in demokratischen Strukturen zu haben, für viele sehr unterschiedliche Kräfte eine unvorstellbare Bedrohung darstellt. Und ich glaube, dass wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem ja häufig die Meldungen über die Bombenattentate, die schlimm sind, völlig verdrängen, was an einer Wiederherstellung von Infrastruktur, von Schulen, von Krankenhäusern, von demokratischen Strukturen in den Regionen in diesen zwölf Monaten entstanden ist. Es ist ganz schwer, ein abschließendes Urteil zu fassen über das, wie es am Ende aussehen wird. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass die Situation, die wir zuvor hatten mit einer absolut unkalkulierbaren Diktatur im Irak, mit einer menschenverachtenden Diktatur mitten an einer Zentralstelle auch ein erhebliches Hindernis für jede Lösung des Nahostproblems war.
Detjen: Herr Koch, Sie haben mit Ihren Verbindungen, mit Ihren Kontakten in die USA ja auch die innenpolitische Debatte, die Reformdebatte in Deutschland deutlich mit belebt. Vor drei Jahren haben Sie das Sozialhilfemodell des US-Bundesstaates Wisconsin unter dem Titel 'Wisconsin-Works' zum Vorbild für Deutschland erklärt. Wieviel von den Anregungen, für die Sie ja damals sehr heftig gescholten wurden als ein sozialpolitischer Extremist, wieviel von dem finden Sie eigentlich heute wieder in dem, was jetzt in den Hartz-Gesetzen in Deutschland umgesetzt und angewendet wird?
Koch: Also, sicher ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ein richtiger Schritt, den man auch aus den Vereinigten Staaten, aber auch aus anderen Teilen lernen kann, weil er nicht zweimal gleichartige Formen von Hilfe zwei unterschiedlichen Bürokratien überträgt und Menschen zwingt, sich mit zwei unterschiedlichen Wegen von Entscheidungen auseinander zu setzen - je nach dem, wieviel Monate sie arbeitslos gewesen sind. Aber das Zweite ist: Zu den etwas verwunderlichen Ergebnissen gehört, dass die Sozialdemokraten und die Grünen in den Verhandlungen über die Gesetze - das Land Hessen hat ja aufgrund meiner Initiative eigene Vorstellungen in einem Existenzsicherungsgesetz vorgelegt -, dass wir doch am Ende feststellen müssen, dass die Sozialdemokraten und Grünen die Teile, die mit dem Fordern, also auch mit Sanktionen verbundenen Aufforderungen zur Arbeitsaufnahme, nahezu vollständig übernommen haben. Die Teile, die sich mit dem Fördern beschäftigen, also mit der Frage, wie man individuelle Hilfe für die, die nicht in Beschäftigung sind, darstellen kann, aber sicherlich weit hinter den amerikanischen Vorstellungen zurückbleiben. Und das betrifft sowohl sozusagen die Ausstattung der Möglichkeiten, die man hat, zwischen Kinderbetreuung, Kreditgeben u.a., finanziell auszustatten, das betrifft aber vor allen Dingen eben auch die Chance in Mindestlöhne so einzusteigen, dass aus dem Subventionssystem zwischen Zuschuss des Staates, Lohn, den der Arbeitgeber zahlt - im Verhältnis zu dem, was der Betroffene hat, wir nach wie vor nicht günstig liegen. Das heißt, es ist für viele Familienväter nach wie vor sehr attraktiv, die Integrationsmaßnahmen skeptisch zu sehen und sich lieber auf den Bereich der staatlichen Zuwendungen zu konzentrieren und eben nicht zu helfen.
Detjen: Die Teile, die Sie jetzt ansprechen, sind ja auch die Teile, die teuer werden. Das sind Teile, die den Staatshaushalt dann besonders belasten.
Koch: Ich persönlich muss für mich sagen, ich habe immer und zu jeder Zeit der letzten drei Jahre gesagt: Wer glaubt, er könne am ersten Tag eines Modells, das parallel zu Wisconsin-Works ist, Geld verdienen, der irrt sich. Wenn er die Nerven hat, das zwei Jahre zu machen, hat er eine Menge Geld verdient. Aber in der Politik muss man auch gelegentlich schauen, wie eine Investition sich re-investiert, nämlich in Beschäftigung, in vernünftige Wege und damit die Befreiung des Staates. Ich will aber sagen: Egal, das werden wir korrigieren können, dieses Gesetz kann fortentwickelt werden, es kann auch eine stärkere kommunale Verantwortung geben, die ich für wichtig halte. Das ist mir alles zu zentralbürokratisch. Kein Amerikaner käme auf die Idee, eine amerikanische Bundesbehörde in jedem Dorf verantwortlich zu machen dafür, wie man Menschen, die wieder Arbeit suchen, betreut. Das haben wir jetzt gemacht …
Detjen: … dieses Optionsmodell, gerade in Hessen ....
Koch: Wir haben nach heftigem Kampf eine Chance des Wettbewerbs ausgehandelt. Deshalb sage ich ja zum Schluss auch nach all diesen Kämpfen: Ich halte es für richtig, Hartz IV umzusetzen. Es ist ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Und ich sehe ja im Augenblick auch, dass es eine ziemliche Diskrepanz zwischen der öffentlichen Diskussion und dem, was man abfragen kann, gibt. Wenn etwa 80 Prozent der Menschen in Deutschland das Gesetz letzten Endes für richtig halten, muss man das auch gelegentlich mit den Demonstrationen relativieren, die man in der Öffentlichkeit sieht und die dort den Eindruck erwecken, alle Beteiligten wären sozusagen im Aufstand gegen das Gesetz. Das muss jetzt gemacht werden. Und wir als Union werden gleichzeitig sagen: Das ist ein Instrument, mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden, aber es ist kein Instrument, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu muss weiter die Wirtschaftspolitik die richtigen Dinge tun. Und wer glaubt, Hartz IV löst die Probleme in der Welt, der täuscht sich.
Detjen: Nun, Herr Koch, die Proteste gegen die Hartz-Gesetze haben ja auch die CDU offenkundig ziemlich beeindruckt.
Koch: Es gibt auch in der CDU unterschiedliche Wahrnehmungen.
Detjen: Welche Wahrnehmung hat Sie denn besonders verwundert oder geärgert, die von dem Kollegen Milbradt, der immer relativ deutlich sich gegen die Hartz-Gesetze ausgesprochen hat, oder die seiner Kollegen, etwa Peter Müller, die zunächst im Bundesrat dafür gestimmt haben, und dann im Wahlkampf zu Hartz-Gegnern geworden sind?
Koch: Also, ich habe nicht die Absicht, jeden einzelnen Schritt zu kommentieren. Der Bürger in diesem Lande weiß: Ich bin der Auffassung, nachdem wir so mühsam einen Kompromiss ausgehandelt haben - der Schwächen hat, die ich aus meiner Sicht erwähnt habe, der aber an Ende ein Kompromiss ist, den ich mit getragen habe -,.halte ich es für richtig, dass wir den jetzt auch umsetzen und nicht jeden Tag über eine neue Änderung nachdenken.
Detjen: Aber es gibt doch trotzdem Anlass, darüber zu reden und darüber nachzudenken, wie sich die Union da verhalten hat. Das hat ja auch Auswirkungen auf die politische Stimmung im Land. Das macht sich auch in einem deutlichen Abbremsen des demoskopischen Höhenfluges der Union deutlich, dass die CDU da in dieser Auseinandersetzung kein geschlossenes Bild gegeben hat, dass am Ende die Union zwar in den Wahlumfragen immer noch gut da steht, aber nach den innerparteilichen Auseinandersetzungen politisch doch auch lädiert.
Koch: Dass uns die Entwicklung der letzten Wochen, auch die demoskopische Entwicklung der letzten Wochen, dazu bringt, dass wir intern miteinander sprechen und dass wir das analysieren, und dass das niemandem gefallen kann, weder den Wahlkämpfern noch irgend jemandem sonst, das ist selbstverständlich. Ich persönlich bleibe bei der Meinung, dass in der schwierigen Reformzeit, die wir vor uns haben - und es gibt ja Menschen, die glauben, wir hätten die wichtigsten Reformen hinter uns, dass ist ein grober Irrtum, die schwierigen Reformzeiten stehen vor uns ...
Detjen: … was in Ihrer Partei wenige zurzeit noch offen sagen. Man hat den Eindruck, die Reformrolle der Union ist nicht das, was man im Augenblick betont.
Koch: Auch das ist nicht ganz mein Eindruck. Aber wenn ich etwa daran denke, dass wir auf dem Weg in der Gesundheitspolitik, auf dem Parteitag, wo die ganzen Veränderungen sind und in wesentlichen anderen Fragen ja die Veränderungen längst beschlossen haben, dann ist das, glaube ich, keine sehr vollständige Zusammenfassung, aber je mehr Schwierigkeiten ....
Detjen: Wenn ich Sie noch mal unterbrechen darf: Nehmen wir doch konkret noch mal die Rede, die Ihre Parteivorsitzende in der Generaldebatte des Bundestages am vergangenen Mittwoch gehalten hat. Da blieben als konkrete politische Forderung Rufe nach mehr Geld aus, mehr Geld für den Auslandsrundfunk, mehr Geld für die Bundeswehr, mehr Geld für den Straßenverkehrsbau. Das ist doch eine deutliche Akzentverschiebung in der politischen Rhetorik. Früher wurde das Fordern betont, jetzt wird, auch von Ihnen, das Fördern betont, das Geld kostet.
Koch: Ich halte die Frage des Auslandrundfunks für richtig, aber ich halte es für unfair, die politische Grundlinie der Parteivorsitzenden an dieser Bemerkung festzumachen, die man in einer Generaldebatte durchaus machen kann. Aber die Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hat an dieser Stelle im Namen der Partei etwas gesagt zur Gesundheitsreform und zu dem, wie wir es bewegen wollen. Sie hat sehr klar ihre eigene Meinung dazu mit gesagt, die auch noch in der innerparteilichen Diskussion ist. Sie hat etwas zur Frage von Arbeitsmarkt und einer notwendigen Veränderung von Arbeitsmarkt gesagt. Aus der Sicht eines Journalisten ist das manchmal langweilig, weil wir es schon zehn mal gesagt haben, aber da wir immer noch nicht regieren, bleibt einer Opposition auch die Verpflichtung und die Aufgabe der Wiederholung, ohne es jemals neu zu erfinden. Ich denke schon, dass wir an dieser Frage inhaltlich durchaus eine Menge zu bieten haben und eine Menge inzwischen festgelegt haben, dass aber auch eine Partei wie die CDU als Volkspartei, wenn Widerstände eine andere Partei geradezu zerbröseln - und das Problem ist, dass wir eben schon beobachten, dass die Sozialdemokratische Partei im Augenblick bis an die Nähe ihrer politischen Existenz in ihrer Reformpolitik, in Zweifel ihrer Wählerschaft gerät, dass das natürlich gelegentlich auch den Mut nicht fördert. Ich persönlich glaube, dass wir darüber hinweg müssen. Ich halte es durchaus für notwendig, dass wir klar machen, dass wir die Kraft und auch die Entschlossenheit haben, Politik auch in schwieriger Zeit zu vertreten. Und das ist uns vielleicht im Zusammenhang mit Hartz IV nicht immer so gelungen darzustellen, wie ich mir das wünschen würde.
Detjen: Das gilt doch auch für die anderen politischen Programmpunkte der Union. Auf dem Leipziger Parteitag im vergangenen Jahr haben Sie relativ klare, deutliche Reformkonzepte beschlossen. Seitdem sind auch da Zerfallserscheinungen zu beobachten. Das gilt für das Steuerkonzept, das in der Kompromisssuche mit der CSU zerpflückt wurde. Und das erleben wir auch in der Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU um die Gesundheitsreform.
Koch: Es gibt eine völlige Übereinstimmung der Union im Arbeitsmarkt. Es gibt entgegen Ihrer Darstellung eine Einigung auf die Grundprinzipien, die der Parteitag im vergangenen Jahr beschlossen hat in der Steuerreform. Wir werden zum Arbeitsmarkt gar nichts Neues mehr vorzulegen haben, das liegt bereits alles im Deutschen Bundestag, das müsste man nur beschließen. Wir werden zum Steuerreformbereich konkrete Eckpunkte relativ zeitnah vor der Bundestagswahl vorlegen, weil man das nicht zwei Jahre vorher machen kann im Zusammenhang mit den finanziellen Auswirkungen, die es jeweils hat. Und wir haben da an diesem Punkt Gesundheitsreform im Augenblick eine ernsthafte Debatte, insbesondere mit unserer Schwesterpartei. Das passiert gelegentlich in der CDU/CSU, und da entschuldigen wir uns auch nicht dafür, da sind wir natürlich auch stolz drauf, dass eine solche Debatte dann auch sichtbar wird. Das ist eine sehr wichtige Debatte aus meiner Sicht, in der ich gemeinsam mit Angela Merkel und anderen sehr dafür kämpfe, dass die Auffassung, die wir auf dem letzten Parteitag zur Grundlage gemacht haben, tatsächlich dann auch von der CDU/CSU getragen wird. Und das ist ein sehr ernsthaftes, oft auch sehr schwieriges, auch sehr detailreiches Ringen mit unserer Schwesterpartei. Und das sehen die Bürger, und wir werden bis zur Wahl - wir werden sehr viel früher, nämlich bis zum Ende dieses Jahres - dort eine gemeinsame Position haben. Und mir ist sehr viel lieber, dass die Bürger das auch sehen, dass man das auch öffentlich kommunizieren kann, vor einer Wahl. und wenn der Wahltag dann vorbei war, man sagt: Das ist unser Programm und jetzt gehen wir mit einer neuen Regierung daran, das umzusetzen und nicht, wie wir das in den letzten Jahren erlebt haben, verwunderte Regierungsmitglieder, die sich fragen: Was machen wir eigentlich mit den übernommenen Ämtern? Genau das soll uns nicht passieren, und da muss man eben vorher diskutieren in fundamentalen Fragen. Und Gesundheitsreform ist eine fundamentale Frage, manchmal auch streitig.
Detjen: Sie haben gerade gesagt, man kann sich zwei Jahre vor einer Bundestagswahl nicht auf ein komplett durchgerechnetes Steuermodell festlegen. War es dann ein Fehler, dass die Union genau diesen Anschein erweckt hat mit ihren Steuerbeschlüssen in Leipzig?
Koch: Genau das hat die Union in Leipzig nicht gemacht. Deshalb haben wir in Leipzig kein Steuerkonzept beschlossen, sondern wir haben zehn Eckpunkte für eine Steuerreform beschlossen. Wir haben genau darauf verzichtet, genaue Sätze festzulegen, genaue Schritte festzulegen, sondern wir haben klar gesagt: Wir können nicht auf einer Reform des bestehenden Einkommensteuerrechts arbeiten, sondern wir müssen ein neues Einkommensteuerrecht schreiben - unstreitig durch CDU und CSU. Wir haben dort klar gesagt, im Gegensatz etwa zu dem Vorschlag von Herrn Kirchhoff, wir werden weiter eine unternehmensnahe Besteuerung und eine Einkommensbesteuerung haben, die man nicht identisch machen kann. Klarer Grundsatz. Wir haben zum dritten beschlossen, dass wir eine Regelung haben wollen, die mit wenigen, in dem Papier genannten Ausnahmen, etwa für die Altersversorgung, etwa für Kinder und sonst für sehr wenig, ein Gesetz haben wollen, das nicht permanent neue Schlupflöcher steckt, aber das damit in dem System niedriger ist. Und wir haben dann offen mit der CSU anschließend besprochen: Machen wir das gleich in einem Stufentarif oder machen wir das erst in einem sogenannten linearprogressiven Tarif, also wie er bisher in dem Steuerrecht steht, und später, wenn wir das Geld dazu haben, in einem Stufentarif? Und diese Fragen werden wir so beantworten, dass die Bürger zum Wahltag nicht nur die Prinzipien kennen, die wir einstimmig beschlossen haben, sondern auch kennen, was das, wenn wir im Deutschen Bundestag im ersten Jahr nach einer Bundestagswahl eine Steuerreform beschließen, für sie in der konkreten Ausprägung bedeutet.
Detjen: Herr Ministerpräsident, die nächsten Landtagswahlen stehen in einer Woche bevor, in Sachsen und in Brandenburg. Der Ausgang, was die großen Parteien angeht, ist ziemlich ungewiss. In Sachsen könnte die Union die absolute Mehrheit verlieren, in Brandenburg hat die PDS eine gute Chance, zum ersten Mal stärkste Fraktion in einem Landtag zu werden. Was allerdings ziemlich gewiss zu sein scheint nach den letzten Meinungsumfragen, ist, dass rechtsextreme Parteien in beiden Ländern sehr gut abschneiden werden, wahrscheinlich in beide Landtage ziemlich deutlich wieder einziehen werden. Was können, was müssen die beiden großen Volksparteien da eigentlich tun?
Koch: Also zunächst einmal wollen wir sie nicht durch Interviews vor einer Wahl auch noch hereinreden. Insofern habe ich immer noch die Hoffnung, dass am Ende auch die Wahlbeteiligung - denn sehr viel wird an der Frage liegen: Wie viele Bürger gehen insgesamt zur Wahl, um diese Frage zu entscheiden? - möglicherweise dazu führt, dass diese Erscheinung nicht eintritt. Wenn sie passiert, das muss man auch sagen, das geschieht gelegentlich in einer Demokratie, wir haben immer wieder auch radikale rechte Parteien auf dem Weg in die Parlamente gehabt, und wir sind mit den großen Volksparteien immer in der Lage gewesen, sie wieder heraus zu drängen, indem wir klar von Anfang an sagen, sie sind für uns keine potentiellen Kooperationspartner. Das hat bei der NPD funktioniert, das hat bei den Republikanern funktioniert. Ich hätte mir aus meiner Sicht des Westens vielleicht manchmal gewünscht, es wäre auch bei der PDS konsequenter gemacht worden. Vielleicht hätten wir dann manche Probleme heute nicht. Aber man darf sich nicht wundern, dass viele sozialdemokratische Wähler, die, wie wir im Saarland gesehen haben, zu der Gruppe gehören, die diese Entwicklung im Augenblick neben den Nichtwählern herbeigeführt hat, das alles für verantwortungslos halten, wenn selbst Leute wie Oskar Lafontane die gleichen Thesen vertreten. Das heißt, wir haben eine Verunsicherung der Bürger, die - durch die wirtschaftliche Lage ausgelöst - ohnehin vorhanden ist, die, wenn dann bestimmte Gruppen von Politikern anfangen, in dieses Horn zu blasen, Leute auch dazu treiben, jenseits der etablierten Parteien in solche radikalen Strömungen zu gehen. Das ist besorgniserregend, das wird nicht zu Zusammenarbeit mit diesen Gruppen führen, aber das kann die Demokratie auch wieder in Ordnung bringen. Das haben wir in den letzten 60 Jahren ziemlich erfolgreich bewiesen.
Detjen: Herr Ministerpräsident, die letzte Frage legt mir die künstlerische Ausgestaltung Ihrer neuen hessische Staatskanzlei in den Mund, in der wir uns hier treffen. In das Fenster, vor dem Sie sitzen, hinter Ihnen, hat ein Künstler eine Frage eingraviert, die lautet: Müssen wir denn alle groß sein? Ist das die neue Bescheidenheit des Roland Koch?
Koch: Ich weiß nicht, ob das neu ist. Ich habe das immer so gesehen und ich finde, das ist eine Frage, die, wenn alle sie sich immer wieder stellen, den Frieden in einem Land fördert.
Detjen: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Koch.
Detjen: Es gibt ja Beobachter, die sprechen von einem Kampf der Kulturen.
Koch: Ja, ich glaube, dass man nicht ein Huntington-Anhänger werden muss und von diesem Kampf der Kulturen sprechen muss. Aber dass es Missverständnisse oder auch Möglichkeiten der Emotionalisierung an den Grenzen etwa religiöser Beziehungen, aber auch an den Grenzen von arm und reich in einer anderen Weise gibt, dass die Dimension der Anwendung von Gewalt an bestimmten Teilen und für bestimmte gesellschaftliche Gruppen in der Welt attraktiver geworden ist, offensichtlich wirksam, wenn wir jetzt sehen, dass nach der Einwirkung von Terroristen auf die spanische Wahl offensichtlich mit dem Anschlag auf die australische Botschaft ein Einwirken auf die in vier Wochen anstehende Wahl in Australien geschehen soll, dann ist das eben eine neue Dimension. Es ist nicht nur die Bedrohung von Individuen, nicht nur die Zerstörung von Lebensschicksalen, sondern es ist der Versuch, mit Mitteln der Gewalt unmittelbar Einfluss auf Demokratien zu nehmen. Wenige Menschen, die Millionen von Menschen beeinflussen, verängstigen, manipulieren oder was auch immer wollen. Und es wäre vermessen, heute zu behaupten, dass wir darauf eine endgültige Antwort haben, sondern wir haben nur Teilantworten - in der Sicherheit im Land, aber auch in dem Versuch, Dialoge zu beginnen.
Detjen: Wenn wir, Herr Koch, noch mal auf Russland blicken, dann hat uns dieses Geiseldrama von Beslan ja deutlich vor Augen geführt, dass die Auseinandersetzungen, die dort im Kaukasus geführt werden, nicht allein klassische Bürgerkriege Zerfallserscheinungen eines ehemaligen Weltreichs sind, sondern dass das auch ein Teil einer weltweiten Terrorfront ist. Der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew hat dieser Tage in der FAZ geschrieben, für Russland sei Beslan gleichbedeutend mit Beginn eines dritten Weltkrieges. Ist das eine Zeit, wo Deutschland jetzt auch stärker als zuvor an der Seite Russlands, an der Seite Putins stehen muss?
Koch: Zunächst einmal muss man sehen, dass wahrscheinlich die Schule in Beslan, was die Psychologie angeht, für viele Menschen in Russland eine ähnliche Wirkung hat, wie die Anschläge auf New York am 11. September. Und das wird zwei der großen Kulturen und Länder der Welt sehr viel stärker abschotten und in eine Kampfsituation, in eine mentale Kampfsituation zu einander bringen. Und ich glaube, wir in Deutschland wären ganz falsch beraten, wenn wir glauben würden, wir seien Zuschauer dieser Veranstaltung. Und ich glaube auch, dass wir ganz schlecht beraten wären, wenn wir glauben: Na ja, denen geschieht es recht, da ist das passiert, und denen geschieht es recht, weil die das und das gemacht haben. Wir müssen sehen, dass das keine rationale Auseinandersetzung ist auf der Basis, wenn man in der Politik ein bisschen was anderes macht, dann passiert so etwas nicht. Sondern es sind hier schon sehr grundsätzliche Fragen, die aufgeworfen werden. Und deshalb meine ich, dass das richtig war und auch heute noch richtig ist, dass wir in einer sehr engen Solidarität mit den Amerikanern auch diese Bekämpfung des Terrorismus bis zum heutigen Tag betreiben, und dass wir auch versuchen, Verständnis zu haben und zu unterstützen, wo das möglich ist - sehr viel schwieriger in Russland -, aber unterstützen, wo das möglich ist, dass Terrorismusbekämpfung geleistet wird. Allerdings bleibt dann auch: Die gesellschaftlichen Konflikte müssen auch angegangen werden. Zu glauben, man könne das nur mit Polizei und sonst was erreichen, da wird man sich sicher täuschen.
Detjen: Bleiben wir doch mal bei Russland. Bundeskanzler Schröder hat ja unmittelbar vor der Geiselnahme von Beslan nach den Explosionen der beiden russischen Flugzeuge sich sehr deutlich und demonstrativ auf dem Dreier-Gipfel mit dem französischen Staatspräsidenten an die Seite Putins gestellt. Schröder ist dafür kritisiert worden, auch aus den Reihen der Union, mit dem Hinweis auf die Menschenrechtslage in Russland und in Tschetschenien. Teilen Sie diese Kritik?
Koch: Ich glaube, man muss Dinge auseinander halten. Die terroristische Bedrohung ist nicht eindimensional etwa mit dem Verhältnis der russischen Zentralregierung zu der Teilrepublik Tschetschenien zu erklären. Wir wissen heute, dass es eine Verkettung mit islamischen Bestrebungen und den Auseinandersetzungen, die dort in den Teilrepubliken besteht, ergibt, die weit über die Dimension des klassischen Tschetschenienkonflikts hinausgehen. Ich glaube deshalb, dass die Solidarität in der Bekämpfung von Terrorismus, von menschenverachtendem Terrorismus, etwas anderes ist als die Frage, inwieweit wir auch unter Partnern und Nachbarn die Freiheit behalten, auf Entwicklungen in Ländern hinzuweisen, die mit unserem Verständnis von Menschenrechten nicht vereinbar sind. Ich glaube, wir sind gut beraten, das auseinander zu halten und behalten damit auch die Freiheit an dieser Stelle, sehr offen zu sagen, wo wir denken, dass Grenzen der Menschenrechte überschritten werden oder eine Verpflichtung und ein Interesse auch der freien Völker der Welt besteht, Rücksichtnahme auf Menschenleben durch Regierungen zu haben.
Detjen: Ihre Parteivorsitzende Angela Merkel hat ihre Kritik an Schröders Verhältnis zu Putin ja auch formuliert vor dem Hintergrund der Distanz, die Gerhard Schröder in der Auseinandersetzung um den Irakkrieg gegenüber den USA eingenommen hat. Damals hat sich die CDU ja sehr demonstrativ an die Seite der Vereinigten Staaten, der US-Regierung, gestellt. Sie selber waren im Frühjahr letzten Jahres, einige Wochen nach Angela Merkel, in Washington, sind dort anders als Merkel von Präsident Bush empfangen worden. Muss die Entwicklung im Irak und das, was wir seitdem über die Kriegsbegründungen der USA gelernt haben, nicht seitdem im vergangenen Jahr auch bei Ihnen zu einer kritischeren Distanz zu den USA führen?
Koch: Ich persönlich, und ich denke, das gilt auch für Angela Merkel, habe nie den Eindruck gehabt, dass ich eine unkritische Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika habe. Da gilt ähnliches. Ich glaube, dass man nicht unterschlagen darf, dass es eine besondere und privilegierte Partnerschaft aus meiner Sicht zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland aufgrund der letzten 50 Jahre gemeinsamen Weges in einer freiheitlichen Gesellschaft gibt und deshalb Freundschaft auch verlangt, dass man ein gewisses Maß an Solidarität an den Tag legt. Aber Solidarität heißt nicht, kritiklos alles hinzunehmen, was der andere macht, sondern das durchaus kritisch zu diskutieren und dann die Konsequenzen daraus zu ziehen. Ich persönlich bleibe allerdings nach wie vor der Auffassung, dass der Zustand im Irak auch nicht so bleiben konnte, wie er war, dass auf dem Weg oder dass insbesondere nach dem militärischen Teil der Operation in der Frage, wie geht man bei der Wiedererrichtung der Infrastruktur des Landes, wie geht man bei der Herstellung demokratischer Strukturen vor, ohne zuviel Porzellan zu zerschlagen, dass dort viele Fehler gemacht worden sind. Das wird auch in den Vereinigten Staaten keiner ernsthaft bestreiten. Nur die Frage, wo gehört Deutschland hin, damit zu beantworten, dass man eine Achse Paris - Berlin - Moskau schmiedet und versucht, daraus eine Alternative zur transatlantischen Freundschaft zu machen, die ist strategisch falsch gewesen am ersten Tag und mitten im Irakkrieg, und die ist auch heute falsch.
Detjen: Und trotzdem, hätte eine selbstkritische Prüfung Ihrer Haltung nicht dazu führen müssen zu gestehen, dass die Befürchtungen derer, die etwa in der Bundesregierung, etwa vom Bundesaußenminister geäußert worden sind, sich bewahrheitet haben, nämlich dass der Krieg im Irak nicht zu einer Eindämmung des Terrorismus führt, nicht zu einer Befriedung des Nahen Ostens, sondern eine Lunte ans Pulverfass legt?
Koch: Also ich denke, dass wir in einer Zeit sind, in der die Geschichte diese Frage nicht beantworten kann. Dass, wenn demokratische Verhältnisse im Irak hergestellt werden können, viele im Nahen Osten sich in einer Weise bedroht fühlen, wie sie es noch nie gesehen haben, weil natürlich eines der Kernländer der arabischen Welt in demokratischen Strukturen zu haben, für viele sehr unterschiedliche Kräfte eine unvorstellbare Bedrohung darstellt. Und ich glaube, dass wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem ja häufig die Meldungen über die Bombenattentate, die schlimm sind, völlig verdrängen, was an einer Wiederherstellung von Infrastruktur, von Schulen, von Krankenhäusern, von demokratischen Strukturen in den Regionen in diesen zwölf Monaten entstanden ist. Es ist ganz schwer, ein abschließendes Urteil zu fassen über das, wie es am Ende aussehen wird. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass die Situation, die wir zuvor hatten mit einer absolut unkalkulierbaren Diktatur im Irak, mit einer menschenverachtenden Diktatur mitten an einer Zentralstelle auch ein erhebliches Hindernis für jede Lösung des Nahostproblems war.
Detjen: Herr Koch, Sie haben mit Ihren Verbindungen, mit Ihren Kontakten in die USA ja auch die innenpolitische Debatte, die Reformdebatte in Deutschland deutlich mit belebt. Vor drei Jahren haben Sie das Sozialhilfemodell des US-Bundesstaates Wisconsin unter dem Titel 'Wisconsin-Works' zum Vorbild für Deutschland erklärt. Wieviel von den Anregungen, für die Sie ja damals sehr heftig gescholten wurden als ein sozialpolitischer Extremist, wieviel von dem finden Sie eigentlich heute wieder in dem, was jetzt in den Hartz-Gesetzen in Deutschland umgesetzt und angewendet wird?
Koch: Also, sicher ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ein richtiger Schritt, den man auch aus den Vereinigten Staaten, aber auch aus anderen Teilen lernen kann, weil er nicht zweimal gleichartige Formen von Hilfe zwei unterschiedlichen Bürokratien überträgt und Menschen zwingt, sich mit zwei unterschiedlichen Wegen von Entscheidungen auseinander zu setzen - je nach dem, wieviel Monate sie arbeitslos gewesen sind. Aber das Zweite ist: Zu den etwas verwunderlichen Ergebnissen gehört, dass die Sozialdemokraten und die Grünen in den Verhandlungen über die Gesetze - das Land Hessen hat ja aufgrund meiner Initiative eigene Vorstellungen in einem Existenzsicherungsgesetz vorgelegt -, dass wir doch am Ende feststellen müssen, dass die Sozialdemokraten und Grünen die Teile, die mit dem Fordern, also auch mit Sanktionen verbundenen Aufforderungen zur Arbeitsaufnahme, nahezu vollständig übernommen haben. Die Teile, die sich mit dem Fördern beschäftigen, also mit der Frage, wie man individuelle Hilfe für die, die nicht in Beschäftigung sind, darstellen kann, aber sicherlich weit hinter den amerikanischen Vorstellungen zurückbleiben. Und das betrifft sowohl sozusagen die Ausstattung der Möglichkeiten, die man hat, zwischen Kinderbetreuung, Kreditgeben u.a., finanziell auszustatten, das betrifft aber vor allen Dingen eben auch die Chance in Mindestlöhne so einzusteigen, dass aus dem Subventionssystem zwischen Zuschuss des Staates, Lohn, den der Arbeitgeber zahlt - im Verhältnis zu dem, was der Betroffene hat, wir nach wie vor nicht günstig liegen. Das heißt, es ist für viele Familienväter nach wie vor sehr attraktiv, die Integrationsmaßnahmen skeptisch zu sehen und sich lieber auf den Bereich der staatlichen Zuwendungen zu konzentrieren und eben nicht zu helfen.
Detjen: Die Teile, die Sie jetzt ansprechen, sind ja auch die Teile, die teuer werden. Das sind Teile, die den Staatshaushalt dann besonders belasten.
Koch: Ich persönlich muss für mich sagen, ich habe immer und zu jeder Zeit der letzten drei Jahre gesagt: Wer glaubt, er könne am ersten Tag eines Modells, das parallel zu Wisconsin-Works ist, Geld verdienen, der irrt sich. Wenn er die Nerven hat, das zwei Jahre zu machen, hat er eine Menge Geld verdient. Aber in der Politik muss man auch gelegentlich schauen, wie eine Investition sich re-investiert, nämlich in Beschäftigung, in vernünftige Wege und damit die Befreiung des Staates. Ich will aber sagen: Egal, das werden wir korrigieren können, dieses Gesetz kann fortentwickelt werden, es kann auch eine stärkere kommunale Verantwortung geben, die ich für wichtig halte. Das ist mir alles zu zentralbürokratisch. Kein Amerikaner käme auf die Idee, eine amerikanische Bundesbehörde in jedem Dorf verantwortlich zu machen dafür, wie man Menschen, die wieder Arbeit suchen, betreut. Das haben wir jetzt gemacht …
Detjen: … dieses Optionsmodell, gerade in Hessen ....
Koch: Wir haben nach heftigem Kampf eine Chance des Wettbewerbs ausgehandelt. Deshalb sage ich ja zum Schluss auch nach all diesen Kämpfen: Ich halte es für richtig, Hartz IV umzusetzen. Es ist ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Und ich sehe ja im Augenblick auch, dass es eine ziemliche Diskrepanz zwischen der öffentlichen Diskussion und dem, was man abfragen kann, gibt. Wenn etwa 80 Prozent der Menschen in Deutschland das Gesetz letzten Endes für richtig halten, muss man das auch gelegentlich mit den Demonstrationen relativieren, die man in der Öffentlichkeit sieht und die dort den Eindruck erwecken, alle Beteiligten wären sozusagen im Aufstand gegen das Gesetz. Das muss jetzt gemacht werden. Und wir als Union werden gleichzeitig sagen: Das ist ein Instrument, mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden, aber es ist kein Instrument, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu muss weiter die Wirtschaftspolitik die richtigen Dinge tun. Und wer glaubt, Hartz IV löst die Probleme in der Welt, der täuscht sich.
Detjen: Nun, Herr Koch, die Proteste gegen die Hartz-Gesetze haben ja auch die CDU offenkundig ziemlich beeindruckt.
Koch: Es gibt auch in der CDU unterschiedliche Wahrnehmungen.
Detjen: Welche Wahrnehmung hat Sie denn besonders verwundert oder geärgert, die von dem Kollegen Milbradt, der immer relativ deutlich sich gegen die Hartz-Gesetze ausgesprochen hat, oder die seiner Kollegen, etwa Peter Müller, die zunächst im Bundesrat dafür gestimmt haben, und dann im Wahlkampf zu Hartz-Gegnern geworden sind?
Koch: Also, ich habe nicht die Absicht, jeden einzelnen Schritt zu kommentieren. Der Bürger in diesem Lande weiß: Ich bin der Auffassung, nachdem wir so mühsam einen Kompromiss ausgehandelt haben - der Schwächen hat, die ich aus meiner Sicht erwähnt habe, der aber an Ende ein Kompromiss ist, den ich mit getragen habe -,.halte ich es für richtig, dass wir den jetzt auch umsetzen und nicht jeden Tag über eine neue Änderung nachdenken.
Detjen: Aber es gibt doch trotzdem Anlass, darüber zu reden und darüber nachzudenken, wie sich die Union da verhalten hat. Das hat ja auch Auswirkungen auf die politische Stimmung im Land. Das macht sich auch in einem deutlichen Abbremsen des demoskopischen Höhenfluges der Union deutlich, dass die CDU da in dieser Auseinandersetzung kein geschlossenes Bild gegeben hat, dass am Ende die Union zwar in den Wahlumfragen immer noch gut da steht, aber nach den innerparteilichen Auseinandersetzungen politisch doch auch lädiert.
Koch: Dass uns die Entwicklung der letzten Wochen, auch die demoskopische Entwicklung der letzten Wochen, dazu bringt, dass wir intern miteinander sprechen und dass wir das analysieren, und dass das niemandem gefallen kann, weder den Wahlkämpfern noch irgend jemandem sonst, das ist selbstverständlich. Ich persönlich bleibe bei der Meinung, dass in der schwierigen Reformzeit, die wir vor uns haben - und es gibt ja Menschen, die glauben, wir hätten die wichtigsten Reformen hinter uns, dass ist ein grober Irrtum, die schwierigen Reformzeiten stehen vor uns ...
Detjen: … was in Ihrer Partei wenige zurzeit noch offen sagen. Man hat den Eindruck, die Reformrolle der Union ist nicht das, was man im Augenblick betont.
Koch: Auch das ist nicht ganz mein Eindruck. Aber wenn ich etwa daran denke, dass wir auf dem Weg in der Gesundheitspolitik, auf dem Parteitag, wo die ganzen Veränderungen sind und in wesentlichen anderen Fragen ja die Veränderungen längst beschlossen haben, dann ist das, glaube ich, keine sehr vollständige Zusammenfassung, aber je mehr Schwierigkeiten ....
Detjen: Wenn ich Sie noch mal unterbrechen darf: Nehmen wir doch konkret noch mal die Rede, die Ihre Parteivorsitzende in der Generaldebatte des Bundestages am vergangenen Mittwoch gehalten hat. Da blieben als konkrete politische Forderung Rufe nach mehr Geld aus, mehr Geld für den Auslandsrundfunk, mehr Geld für die Bundeswehr, mehr Geld für den Straßenverkehrsbau. Das ist doch eine deutliche Akzentverschiebung in der politischen Rhetorik. Früher wurde das Fordern betont, jetzt wird, auch von Ihnen, das Fördern betont, das Geld kostet.
Koch: Ich halte die Frage des Auslandrundfunks für richtig, aber ich halte es für unfair, die politische Grundlinie der Parteivorsitzenden an dieser Bemerkung festzumachen, die man in einer Generaldebatte durchaus machen kann. Aber die Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hat an dieser Stelle im Namen der Partei etwas gesagt zur Gesundheitsreform und zu dem, wie wir es bewegen wollen. Sie hat sehr klar ihre eigene Meinung dazu mit gesagt, die auch noch in der innerparteilichen Diskussion ist. Sie hat etwas zur Frage von Arbeitsmarkt und einer notwendigen Veränderung von Arbeitsmarkt gesagt. Aus der Sicht eines Journalisten ist das manchmal langweilig, weil wir es schon zehn mal gesagt haben, aber da wir immer noch nicht regieren, bleibt einer Opposition auch die Verpflichtung und die Aufgabe der Wiederholung, ohne es jemals neu zu erfinden. Ich denke schon, dass wir an dieser Frage inhaltlich durchaus eine Menge zu bieten haben und eine Menge inzwischen festgelegt haben, dass aber auch eine Partei wie die CDU als Volkspartei, wenn Widerstände eine andere Partei geradezu zerbröseln - und das Problem ist, dass wir eben schon beobachten, dass die Sozialdemokratische Partei im Augenblick bis an die Nähe ihrer politischen Existenz in ihrer Reformpolitik, in Zweifel ihrer Wählerschaft gerät, dass das natürlich gelegentlich auch den Mut nicht fördert. Ich persönlich glaube, dass wir darüber hinweg müssen. Ich halte es durchaus für notwendig, dass wir klar machen, dass wir die Kraft und auch die Entschlossenheit haben, Politik auch in schwieriger Zeit zu vertreten. Und das ist uns vielleicht im Zusammenhang mit Hartz IV nicht immer so gelungen darzustellen, wie ich mir das wünschen würde.
Detjen: Das gilt doch auch für die anderen politischen Programmpunkte der Union. Auf dem Leipziger Parteitag im vergangenen Jahr haben Sie relativ klare, deutliche Reformkonzepte beschlossen. Seitdem sind auch da Zerfallserscheinungen zu beobachten. Das gilt für das Steuerkonzept, das in der Kompromisssuche mit der CSU zerpflückt wurde. Und das erleben wir auch in der Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU um die Gesundheitsreform.
Koch: Es gibt eine völlige Übereinstimmung der Union im Arbeitsmarkt. Es gibt entgegen Ihrer Darstellung eine Einigung auf die Grundprinzipien, die der Parteitag im vergangenen Jahr beschlossen hat in der Steuerreform. Wir werden zum Arbeitsmarkt gar nichts Neues mehr vorzulegen haben, das liegt bereits alles im Deutschen Bundestag, das müsste man nur beschließen. Wir werden zum Steuerreformbereich konkrete Eckpunkte relativ zeitnah vor der Bundestagswahl vorlegen, weil man das nicht zwei Jahre vorher machen kann im Zusammenhang mit den finanziellen Auswirkungen, die es jeweils hat. Und wir haben da an diesem Punkt Gesundheitsreform im Augenblick eine ernsthafte Debatte, insbesondere mit unserer Schwesterpartei. Das passiert gelegentlich in der CDU/CSU, und da entschuldigen wir uns auch nicht dafür, da sind wir natürlich auch stolz drauf, dass eine solche Debatte dann auch sichtbar wird. Das ist eine sehr wichtige Debatte aus meiner Sicht, in der ich gemeinsam mit Angela Merkel und anderen sehr dafür kämpfe, dass die Auffassung, die wir auf dem letzten Parteitag zur Grundlage gemacht haben, tatsächlich dann auch von der CDU/CSU getragen wird. Und das ist ein sehr ernsthaftes, oft auch sehr schwieriges, auch sehr detailreiches Ringen mit unserer Schwesterpartei. Und das sehen die Bürger, und wir werden bis zur Wahl - wir werden sehr viel früher, nämlich bis zum Ende dieses Jahres - dort eine gemeinsame Position haben. Und mir ist sehr viel lieber, dass die Bürger das auch sehen, dass man das auch öffentlich kommunizieren kann, vor einer Wahl. und wenn der Wahltag dann vorbei war, man sagt: Das ist unser Programm und jetzt gehen wir mit einer neuen Regierung daran, das umzusetzen und nicht, wie wir das in den letzten Jahren erlebt haben, verwunderte Regierungsmitglieder, die sich fragen: Was machen wir eigentlich mit den übernommenen Ämtern? Genau das soll uns nicht passieren, und da muss man eben vorher diskutieren in fundamentalen Fragen. Und Gesundheitsreform ist eine fundamentale Frage, manchmal auch streitig.
Detjen: Sie haben gerade gesagt, man kann sich zwei Jahre vor einer Bundestagswahl nicht auf ein komplett durchgerechnetes Steuermodell festlegen. War es dann ein Fehler, dass die Union genau diesen Anschein erweckt hat mit ihren Steuerbeschlüssen in Leipzig?
Koch: Genau das hat die Union in Leipzig nicht gemacht. Deshalb haben wir in Leipzig kein Steuerkonzept beschlossen, sondern wir haben zehn Eckpunkte für eine Steuerreform beschlossen. Wir haben genau darauf verzichtet, genaue Sätze festzulegen, genaue Schritte festzulegen, sondern wir haben klar gesagt: Wir können nicht auf einer Reform des bestehenden Einkommensteuerrechts arbeiten, sondern wir müssen ein neues Einkommensteuerrecht schreiben - unstreitig durch CDU und CSU. Wir haben dort klar gesagt, im Gegensatz etwa zu dem Vorschlag von Herrn Kirchhoff, wir werden weiter eine unternehmensnahe Besteuerung und eine Einkommensbesteuerung haben, die man nicht identisch machen kann. Klarer Grundsatz. Wir haben zum dritten beschlossen, dass wir eine Regelung haben wollen, die mit wenigen, in dem Papier genannten Ausnahmen, etwa für die Altersversorgung, etwa für Kinder und sonst für sehr wenig, ein Gesetz haben wollen, das nicht permanent neue Schlupflöcher steckt, aber das damit in dem System niedriger ist. Und wir haben dann offen mit der CSU anschließend besprochen: Machen wir das gleich in einem Stufentarif oder machen wir das erst in einem sogenannten linearprogressiven Tarif, also wie er bisher in dem Steuerrecht steht, und später, wenn wir das Geld dazu haben, in einem Stufentarif? Und diese Fragen werden wir so beantworten, dass die Bürger zum Wahltag nicht nur die Prinzipien kennen, die wir einstimmig beschlossen haben, sondern auch kennen, was das, wenn wir im Deutschen Bundestag im ersten Jahr nach einer Bundestagswahl eine Steuerreform beschließen, für sie in der konkreten Ausprägung bedeutet.
Detjen: Herr Ministerpräsident, die nächsten Landtagswahlen stehen in einer Woche bevor, in Sachsen und in Brandenburg. Der Ausgang, was die großen Parteien angeht, ist ziemlich ungewiss. In Sachsen könnte die Union die absolute Mehrheit verlieren, in Brandenburg hat die PDS eine gute Chance, zum ersten Mal stärkste Fraktion in einem Landtag zu werden. Was allerdings ziemlich gewiss zu sein scheint nach den letzten Meinungsumfragen, ist, dass rechtsextreme Parteien in beiden Ländern sehr gut abschneiden werden, wahrscheinlich in beide Landtage ziemlich deutlich wieder einziehen werden. Was können, was müssen die beiden großen Volksparteien da eigentlich tun?
Koch: Also zunächst einmal wollen wir sie nicht durch Interviews vor einer Wahl auch noch hereinreden. Insofern habe ich immer noch die Hoffnung, dass am Ende auch die Wahlbeteiligung - denn sehr viel wird an der Frage liegen: Wie viele Bürger gehen insgesamt zur Wahl, um diese Frage zu entscheiden? - möglicherweise dazu führt, dass diese Erscheinung nicht eintritt. Wenn sie passiert, das muss man auch sagen, das geschieht gelegentlich in einer Demokratie, wir haben immer wieder auch radikale rechte Parteien auf dem Weg in die Parlamente gehabt, und wir sind mit den großen Volksparteien immer in der Lage gewesen, sie wieder heraus zu drängen, indem wir klar von Anfang an sagen, sie sind für uns keine potentiellen Kooperationspartner. Das hat bei der NPD funktioniert, das hat bei den Republikanern funktioniert. Ich hätte mir aus meiner Sicht des Westens vielleicht manchmal gewünscht, es wäre auch bei der PDS konsequenter gemacht worden. Vielleicht hätten wir dann manche Probleme heute nicht. Aber man darf sich nicht wundern, dass viele sozialdemokratische Wähler, die, wie wir im Saarland gesehen haben, zu der Gruppe gehören, die diese Entwicklung im Augenblick neben den Nichtwählern herbeigeführt hat, das alles für verantwortungslos halten, wenn selbst Leute wie Oskar Lafontane die gleichen Thesen vertreten. Das heißt, wir haben eine Verunsicherung der Bürger, die - durch die wirtschaftliche Lage ausgelöst - ohnehin vorhanden ist, die, wenn dann bestimmte Gruppen von Politikern anfangen, in dieses Horn zu blasen, Leute auch dazu treiben, jenseits der etablierten Parteien in solche radikalen Strömungen zu gehen. Das ist besorgniserregend, das wird nicht zu Zusammenarbeit mit diesen Gruppen führen, aber das kann die Demokratie auch wieder in Ordnung bringen. Das haben wir in den letzten 60 Jahren ziemlich erfolgreich bewiesen.
Detjen: Herr Ministerpräsident, die letzte Frage legt mir die künstlerische Ausgestaltung Ihrer neuen hessische Staatskanzlei in den Mund, in der wir uns hier treffen. In das Fenster, vor dem Sie sitzen, hinter Ihnen, hat ein Künstler eine Frage eingraviert, die lautet: Müssen wir denn alle groß sein? Ist das die neue Bescheidenheit des Roland Koch?
Koch: Ich weiß nicht, ob das neu ist. Ich habe das immer so gesehen und ich finde, das ist eine Frage, die, wenn alle sie sich immer wieder stellen, den Frieden in einem Land fördert.
Detjen: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Koch.