"Hier gibt es nichts zu sehen! Verlassen sie den Saal!"
Mit der Vertreibung aus der Gegenwart beginnt Romeo Castelluccis Hölderlin-Paraphrase. Da war nur kurz ein Mann zu sehen, wie er seine schicke, moderne aber auch etwas düstere Neubauwohnung verließ; man hörte seinen Wagen davonfahren und dann weitere Straßengeräusche in der unbelebten Wohnung. Dann aber brach ein hochbewaffnetes Sonderkommando der Polizei ein, durchsuchte alles und demolierte anschließend mit ohrenbetäubendem Lärm die gesamte Wohnungseinrichtung. Und dann drangen diese Polizisten in den Zuschauerraum vor und vertrieben das Publikum. "Hier gibt es nichts zu sehen"!
Ein emblematischer Spruch für das Theater des Italieners, der sich seit Jahren mit dem Sehen, Schauen, dem Voyeurismus im Theater beschäftigt. Natürlich mag da ein moderner Nachfahre des revolutionären Hyperion in Abwesenheit Opfer eines Durchsuchungsbefehls geworden sein. Aber Castellucci meint mit seinem Eingangbild noch mehr: Er will alle Gegenwart ausräumen um die Abstraktion der Kunst als letzter Zuflucht aufzurufen. Deshalb setzt sich die Aufführung nach der Umbaupause in einem ringsum weiß verhängten Karree fort, einem Elysium für Menschen, die den Hölderlinschen Läuterungsprozess schon hinter sich haben, schöne, teilweise auch weiß-getüncht nackte, engelsgleiche Wesen, die kleine Fragmente aus Hölderlins Hyperion sprechen.
"Dich will ich ehren, o Sonnenlicht! An dir mich stillen, schöner Aether, der die Sterne beseelt, und hier auch diese Bäume umatmet und hier im Innern der Brust uns berührt!"
Angela Winkler salbungsvoll beschwörend . Aber die hart an der Pathosgrenze entlangschrammende Aufführung verwurzelt die hochfliegende Sprache immer wieder in einer physischen Wirklichkeit: Die Brutalos vom Anfang, nunmehr wie eine Desinfektionseinheit verkleidet, kärchern eine verdreckte Folie und legen ein duftiges Wolkenprospekt frei. Hölderlins Traum vom befreiten Menschen bleibt bei Castellucci eine Ort von Ordnungshüters Gnaden. Sie wachen über mögliche Kontaminationen des Publikums durch Poesie und entrückende Kunst.
Wo Castellucci noch einmal den schönen Traum von der absoluten Radikalität der Sprache zelebriert und den Ausstieg aus der Gegenwart als ultimativen Akt der Befreiung, lässt die griechische Gruppe Blitz allenfalls müde alte Kämpfer für ein besseres Leben in einem Tanzsalon zusammenkommen. Man vernimmt Zitate als alten linken Pamphleten, Arien aus rotchinesischen Pekingopern, man sieht, wie sich ewige Freiheitskämpfer um den Kickertisch versammeln und auf der Fläche, um die man das Publikum gruppiert hat, kleine Tänzchen wagen. An diesem melancholischen Abend ist jede kleine Ablenkung im Hier und Jetzt wichtiger als der Kampf für das bessere Morgen. Irgendwie passt das zu der Bemerkung des Blitz-Aktivisten Christos Passalis in einer im Rahmen von F.I.N.D veranstalteten Diskussion über Theaterverhältnisse in Krisenländern.
"Angst ist das vorherrschende Gefühl nach der Eurokrise und eine wachsende Konfusion, die für die künstlerische Arbeit ein Problem darstellt."
Vom gesellschaftlichen Grundgefühl der Angst vor dem Verlust des Wenigen, das man noch hat, sprach auch der Ungar Kornél Mundruczó und beklagte eine rechte Kulturpolitik, die seine Theaterarbeit aus Ungarn vertreibt und vollends von internationalen Festivals abhängig macht. Der Katalane Álex Rigola sieht allerdings trotz lähmender Angst in Spanien auch eine wachsende Gewalt als Reaktion auf korrupte Politiker von Brüssels Gnaden.
Der aus Argentinien stammende Rodrigo Garcia schrieb mit "Notizen aus der Küche" nach wütenden Abrechnungen mit der abendländischen Zivilisation und ihren Bildwelten ein kleines Drei-Personen-Amuse-Gueule, in dem von Lucy Wirth sehr schön gesungen und von Niels Bormann und Urs Jucker sehr schön gekocht wird. Außerdem quasseln die drei in irrem Tempo lustige und ziemlich unverbundene Geschichtchen, begehren sich, verpassen sich.
"Servier mich! Probier mich! Beiss mich! Verzehr mich! Schmeck mich! Vernasch mich! Lutsch mich! Kau mich! Nag an mir! Verdau mich! Spuck mich aus! Gib mich auf! Versteck mich! Degustier mich!"
Am Ende fallen erotisches et gastronomisches Begehren in eins. Nach dem
Start des 13. F.I.N.D. nach Hölderlin-, Revolutions-, Küchen- und anderen Notizen wartet das Publikum weiterhin auf ein erhellendes Stück über Wege aus der Denkkrise.
Mit der Vertreibung aus der Gegenwart beginnt Romeo Castelluccis Hölderlin-Paraphrase. Da war nur kurz ein Mann zu sehen, wie er seine schicke, moderne aber auch etwas düstere Neubauwohnung verließ; man hörte seinen Wagen davonfahren und dann weitere Straßengeräusche in der unbelebten Wohnung. Dann aber brach ein hochbewaffnetes Sonderkommando der Polizei ein, durchsuchte alles und demolierte anschließend mit ohrenbetäubendem Lärm die gesamte Wohnungseinrichtung. Und dann drangen diese Polizisten in den Zuschauerraum vor und vertrieben das Publikum. "Hier gibt es nichts zu sehen"!
Ein emblematischer Spruch für das Theater des Italieners, der sich seit Jahren mit dem Sehen, Schauen, dem Voyeurismus im Theater beschäftigt. Natürlich mag da ein moderner Nachfahre des revolutionären Hyperion in Abwesenheit Opfer eines Durchsuchungsbefehls geworden sein. Aber Castellucci meint mit seinem Eingangbild noch mehr: Er will alle Gegenwart ausräumen um die Abstraktion der Kunst als letzter Zuflucht aufzurufen. Deshalb setzt sich die Aufführung nach der Umbaupause in einem ringsum weiß verhängten Karree fort, einem Elysium für Menschen, die den Hölderlinschen Läuterungsprozess schon hinter sich haben, schöne, teilweise auch weiß-getüncht nackte, engelsgleiche Wesen, die kleine Fragmente aus Hölderlins Hyperion sprechen.
"Dich will ich ehren, o Sonnenlicht! An dir mich stillen, schöner Aether, der die Sterne beseelt, und hier auch diese Bäume umatmet und hier im Innern der Brust uns berührt!"
Angela Winkler salbungsvoll beschwörend . Aber die hart an der Pathosgrenze entlangschrammende Aufführung verwurzelt die hochfliegende Sprache immer wieder in einer physischen Wirklichkeit: Die Brutalos vom Anfang, nunmehr wie eine Desinfektionseinheit verkleidet, kärchern eine verdreckte Folie und legen ein duftiges Wolkenprospekt frei. Hölderlins Traum vom befreiten Menschen bleibt bei Castellucci eine Ort von Ordnungshüters Gnaden. Sie wachen über mögliche Kontaminationen des Publikums durch Poesie und entrückende Kunst.
Wo Castellucci noch einmal den schönen Traum von der absoluten Radikalität der Sprache zelebriert und den Ausstieg aus der Gegenwart als ultimativen Akt der Befreiung, lässt die griechische Gruppe Blitz allenfalls müde alte Kämpfer für ein besseres Leben in einem Tanzsalon zusammenkommen. Man vernimmt Zitate als alten linken Pamphleten, Arien aus rotchinesischen Pekingopern, man sieht, wie sich ewige Freiheitskämpfer um den Kickertisch versammeln und auf der Fläche, um die man das Publikum gruppiert hat, kleine Tänzchen wagen. An diesem melancholischen Abend ist jede kleine Ablenkung im Hier und Jetzt wichtiger als der Kampf für das bessere Morgen. Irgendwie passt das zu der Bemerkung des Blitz-Aktivisten Christos Passalis in einer im Rahmen von F.I.N.D veranstalteten Diskussion über Theaterverhältnisse in Krisenländern.
"Angst ist das vorherrschende Gefühl nach der Eurokrise und eine wachsende Konfusion, die für die künstlerische Arbeit ein Problem darstellt."
Vom gesellschaftlichen Grundgefühl der Angst vor dem Verlust des Wenigen, das man noch hat, sprach auch der Ungar Kornél Mundruczó und beklagte eine rechte Kulturpolitik, die seine Theaterarbeit aus Ungarn vertreibt und vollends von internationalen Festivals abhängig macht. Der Katalane Álex Rigola sieht allerdings trotz lähmender Angst in Spanien auch eine wachsende Gewalt als Reaktion auf korrupte Politiker von Brüssels Gnaden.
Der aus Argentinien stammende Rodrigo Garcia schrieb mit "Notizen aus der Küche" nach wütenden Abrechnungen mit der abendländischen Zivilisation und ihren Bildwelten ein kleines Drei-Personen-Amuse-Gueule, in dem von Lucy Wirth sehr schön gesungen und von Niels Bormann und Urs Jucker sehr schön gekocht wird. Außerdem quasseln die drei in irrem Tempo lustige und ziemlich unverbundene Geschichtchen, begehren sich, verpassen sich.
"Servier mich! Probier mich! Beiss mich! Verzehr mich! Schmeck mich! Vernasch mich! Lutsch mich! Kau mich! Nag an mir! Verdau mich! Spuck mich aus! Gib mich auf! Versteck mich! Degustier mich!"
Am Ende fallen erotisches et gastronomisches Begehren in eins. Nach dem
Start des 13. F.I.N.D. nach Hölderlin-, Revolutions-, Küchen- und anderen Notizen wartet das Publikum weiterhin auf ein erhellendes Stück über Wege aus der Denkkrise.