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Kochrezept gegen AIDS?

Jede Stunde infizieren sich 600 Menschen neu. Vor allem in den armen Ländern. Schlechte Aussichten auch für fünftausend Thailänder. Sie hängen alle an der Nadel und haben bei der weltweit größten Impfstudie gegen AIDS mitgemacht. Es wird ihnen nichts nützen, befürchtet Prof. Reinhard Kurth, Präsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin. In der letzten, der dritte Phase einer jeden Studie, wird die Wirksamkeit des Impfstoffes getestet, also in diesem speziellen Fall, wie zuverlässig der Schutz vor Ansteckung ist:

William Vorsatz |
    Die thailändische Studie ist in Phase drei und wird Ende des Jahres entschlüsselt werden, und wir werden dann sehen, ob sie wirksam ist, ich bin sehr skeptisch, ich glaube, dass dieser Impfstoff nicht die Lösung bringt, auf der anderen Seite ist dieser Versuch durchaus wertvoll gewesen, denn er hat gezeigt, dass es logistisch möglich ist, mit mehreren Tausend Freiwilligen über Jahre hinweg zu arbeiten, sie zu impfen, sie weiter zu kontrollieren, zu sehen, ob sie HIV-infiziert werden oder nicht, so dass wir da sehr viel gelernt haben für weitere klinische Studien in den nächsten Jahren.

    In Thailand haben die Forscher einen Protein-Impfstoff verwendet. Dabei entnehmen sie Eiweißbestandteile aus der Hülle des HIV-Virus. Die Proteine provozieren das körpereigene Immunsystem und forcieren so die Produktion von Antikörpern. In Tierversuchen hat das für einen sicheren Schutz vor HIV-Attacken gereicht. Beim Menschen nun also scheinbar nicht. Zahlreiche AIDS-Experten hatten schon im Vorfeld vermutet, dass der Impfstoff bestenfalls vor zwei Stämmen des HIV-Typs B schützt. Proteine setzen Ärzte auch bei anderen Impfstoffen ein, da helfen sie normalerweise.

    Bei Studien in Kenya, Uganda und Großbritannien gehen die Forscher neue Wege. Koordiniert und gefördert werden diese Untersuchungen von der IAVI, der Internationale AIDS Impfstoff Initiative, eine gemeinnützige Organisation. IAVI-Forscherin Dr. Sabine Schmidt:

    Wir verfolgen ein ganz anderes Prinzip. Und zwar die genetische Impfung. Wir verwenden Gene, das genetische Material, das man sich aussuchen kann von HIV. Man nimmt etwas, wovon man sich erwartet, dass es zu einer Immun-antwort führt, und wenn man das einschleust, entweder in einem Bakterium oder einem Virus als Träger, dann kann man den Körper mehr oder weniger austricksen und es kommt zu einer natürlichen Infektion und das Gen in dem Virus-träger wird dann genauso wie das eigene Gen des Virus verarbeitet, und es entstehen die Proteine im Körper selbst.

    Als Gentaxi werden beispielsweise abgeschwächte Adeno-Viren genutzt, die normalerweise Schnupfen und Atemwegsinfektionen auslösen. Ob die Genimpfungen nun all die wandlungsfähigen HIV-Stamme überlisten? Niemand weiß es, momentan wird es einfach probiert. IAVA setzt sich vor allem für die Schwellenländer ein: dass auch diese an einen bezahlbaren Impfstoff kommen. So fördert die Organisation beispielsweise eine Schluckimpfung gegen AIDS, billig herstellbar, ohne Kühlung transportabel, lagerfähig und sehr einfach zu verabreichen. Demnächst sollen dazu klinische Tests in Ostafrika beginnen. Neue klinische Studien sind aber auch im Südafrika, in Großbritannien China und Indien geplant. Und noch in diesem Jahr will IAVI in Deutschland starten. Mit klinischen Versuchen zu Impfstoffen, bei denen eine einmalige Immunisierung fürs ganze Leben reicht. Prof. Kurth:

    Nach so vielen Niederlagen in der Impfstoff-Forschung bei AIDS müssen wir jeden auch nur halbwegs Erfolg ver-sprechenden Weg weiter gehen. Es kann ja gut sein, dass wir Wissenschaftler uns irren und glauben, der eine Impfstoff wirkt sicherlich besser als der andere und wenn wir das nicht ausprobiert haben, können wir das nicht entscheiden.

    Auch das Robert-Koch-Institut in Berlin entwickelt Impfstoffvarianten. Dabei beschäftigen sich die Berliner Wissenschaftler vor allem mit ganz bestimmten Bausteinen, die das Virus unbedingt braucht, um sich zu vervielfältigen

    Wir haben uns auf konservierte Bereiche der AIDS-Viren konzentriert, Bereiche, die bei allen HIV-Stämmen, egal, ob sie in Afrika, Asien, Europa oder sonst wo vorkommen, gleichgeblieben sind, um einen Impfstoff zu entwickeln, der möglichst auf der ganzen Welt hilft. Auf der anderen Seite sehe ich es nicht als ein großes Problem an, sich auf die verschiedenen Impfstoffe weltweit einzustellen, wir machen das bei der Influenza-Impfung ja praktisch genauso, und mit dem gleichen Kochrezept jetzt die unterschiedlichen Antivirus-Gene herzustellen, das ist für die pharmazeutische Industrie kein besonderes Problem.

    Aber mit Prognosen ist Kurth sehr vorsichtig. Wie die anderen Forscher auch. Zu schwer waren die Enttäuschungen in den letzten 20 Jahren. Und noch immer verstehen die Forscher vieles einfach nicht. Warum versagen alle Konzepte, die gegen anderer Viren so erfolgreich sind? Auch Franz van den Boom, European Director des IAVI, hat darauf keine Antwort. Und trotzdem Hoffnung:

    Was wir sagen können, ist, dass wir nun eine Serie von Impfstoffkandidaten im Serienversuch haben, und wenn einer dieser Kandidaten erfolgreich ist, dann gibt es einen Impfstoff, der produziert werden kann rund 2008/ 2009.

    Wenn es nicht klappt und auch kein anderer Zufallstreffer hilft? Wie es dann weitergeht, kann derzeit kein Experte sagen.