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''König Ohneschuh''

"So oft habe ich mich schon gefragt, warum das Meerwasser salzig ist, während das Wasser der Flüsse, die sich ins Meer ergießen, nicht salzig ist - und selbst der Regen, der vom Himmel fällt, ist ohne Salz." Mit einer ganz archaischen Frage beginnt der Roman "König Ohneschuh" von Luigi Malerba.

Henning Klüver |
    Der Held Odysseus kehrt nach einer langen Irrfahrt zu seiner Heimatinsel Ithaka als Bettler verkleidet zurück. Seine Frau Penelope muß sich einer Schar von Freiern erwehren, die den Platz von Odysseus einnehmen wollen. Penelope erkennt ihren Ehemann in den Lumpenkleidern nicht. Aber des Königs alter Hund Argos und einige Diener wissen bald, wen sie da vor sich haben. Seinen Sohn Telemach zieht Odysseus ins Vertrauen. Mit dessen Hilfe richtet er unter den Freiern ein Blutbad an und nimmt an der Seite von Penelope wieder Platz auf dem Königsthron von Ithaca. Ende gut, alles gut. So erzählt es Homer. "Ich wollte Homer nicht neu schreiben," sagt Luigi Malerba, den wir in Rom besucht haben," aber ich wollte Penelope von einem schlechten Ruf befreien. Homer hat da etwas unterschlagen von dieser Figur. Bereits als ich die Odyssee als Schüler las, spürte ich da ein Unbehagen an der Stelle, wo Penelope Odysseus nicht wiedererkennt, obwohl sogar der Hund spürt, daß der in Lumpen gekleidete Ankömmling sein alter Herr ist. Dieser Teil der Rückkehr von Odysseus mußte also umgeschrieben werden. Und so entsteht eine neue Geschichte mit einer Penelope, die aktiv ist, energisch und die ihn ganz schön ins Schwitzen bringt."

    In dieser Interpretation weiß Penelope also, daß ihr Mann zurückgekehrt ist, hält das aber vor ihm geheim, so wie Odysseus seine Identität vor ihr versteckt halten wollte. Die mythische Handlung nimmt ihren Lauf, die Freier werden getötet, - aber Penelope zurückzugewinnen, scheint dagegen tausendmal schwieriger. Davon erzählt Luigi Malerba in seinem psychologisch fein gesponnenen Roman um die Themen Geschlechterkampf und Identität. Auf diese Weise macht er aus den Helden der Mythologie ein Ehepaar der Moderne.

    Mit dem Roman "König Ohneschuh", der in der eleganten Übersetzung von Iris Schnebel-Kaschnitz im Wagenbach Verlag erschienen ist, kann Malerba seine achtzehnte deutsche Übersetzung feiern. Und gehört damit zu den meistgelesenen italienischen Autoren im deutschen Sprachraum. Romane wie "Die nackten Masken", "Das griechische Feuer" oder "Die fliegenden Steine" sind wegen der überraschenden Handlungsfolgen ebenso beliebt, wie man die bissig-ironische, teilweise sogar virtuose Erzählweise schätzt.

    Es fällt auf, wie oft der Autor historische Stoffe bearbeitet. Der alter Streit, ob ein Buch so mehr über die Geschichte oder die Gegenwart aussagt, läßt sich am Beispiel Malerba trefflich führen. Der Autor sagt dazu: "Es gibt Augenblicke in der Geschichte, die sinnbildlich für die Gegenwart stehen. Aber ich suche sie nicht danach aus. Wenn ich jedoch unbewußt eine Persönlichkeit wähle, eine Epoche, eine Geschichte, dann stelle ich hinterher eine starke Beziehung zum Heute fest, und die Kritiker sagen dann: Malerba wollte nur über die Gegenwart reden. Nein, wenn ich wie in den "nackten Masken" ein Buch über Rom im 16. Jahrhundert schreibe, dann gehe ich beim Schreiben ganz in dieser Zeit auf. Wenn ich wie im "Griechischen Feuer" ein Buch über Byzanz schreibe, dann lebe ich ein Jahr lang gleichsam am Hof von Byzanz, ohne ans Heute zu denken. Am Ende endeckt man, daß Byzanz um die erste Jahrtausendwende voller Korruption und Dekadenz in Bürokratie und staatlicher Arroganz erstarrt. Also ist es ein Buch über die Gegenwart."

    Eigentlich wollte Luigi Malerba, der 1927 in einem kleinen Ort bei Parma geboren wurde, Architekt werden. Aber es kam immer etwas dazwischen. Um das väterliche Erbe gut verwalten zu können, studierte er erst einmal Jura bis zur Anwaltsprüfung. Dann leitete er eine Werbeagentur. Und als er schließlich ernsthaft ans Häuserbauen dachte, entstand das erste Buch "Die Entdeckung des Alphabets", eine Sammlung von Kurzgeschichten über die Bauern seiner emilianischen Heimat. Die Suche nach neuen sprachlichen Formen ließ ihn Anfang der sechziger Jahre zusammen mit anderen die "Gruppe 63" nach deutschem Vorbild der "Gruppe 47" gründen.Malerba hat gelegentlich auch für den Film gearbeitet oder Einakter fürs Radio produziert. Im vergangenen Jahr wurde auf mehreren deutschen Bühnen sein Theaterstück "Die Hunde von Jerusalem" aufgeführt, das er zusammen mit Fabio Carpi geschrieben hat. Vielen ist er als Autor der "Nachdenklichen Hühner" bekannt. Das sind kleinste Geschichten von vier, fünf Zeilen über das menschliche Treiben auf dem Hühnerhof, in der Spannweite zwischen Kalauer und Aphorismus. So wie jenes Huhn, das unbedingt Mitglied der Mafia werden wollte. Aber zu welchem Mafioso es auch ging, zum Mafia-Minister, zum Mafia-Richter, zum Mafia-Bürgermeister, es hörte nur die immergleiche Antwort, daß es keine Mafia gebe. "So kehrte das Huhn in den Hühnerhof zurück, und auf die Fragen seiner Mithühner antwortete es, die Mafia existiere nicht. Da dachten alle Hühner, es sei ein Mitglied der Mafia geworden und fürchteten sich vor ihm."

    Luigi Malerba, der jetzt siebzig Jahre alt wird, lebt in Rom und in einem von ihm selbst restaurierten Landhaus, das sich ein Renaissance-Bischof vis-à-vis von Orvieto hatte bauen lassen. Hier produziert der Autor nach eigener Aussage "Wein, Öl und Literatur".

    Mit dem Odysseus-Roman "König Ohneschuh" wagt er sich auf ein weiteres Feld - auf das des Sprachforschers. Und so lüftet er im Verlauf der Handlung das Geheimnis über die Entstehung der Homer'schen Epen auf ganz eigene Weise: "Tatsache bleibt, daß Odysseus der erste Zeuge dieser Abenteuer ist", sagt Luigi Malerba. "Diese antiken Geschichten der Odyssee, der Abenteuer von Odysseus wurden in der Antike mündlich weitererzählt von Generation zu Generation, bis Homer sie aufgeschrieben hat. Aber sie haben ein Hintergrund, einen realen Hintergrund. Also wer besser als der direkte Zeuge konnte das erste Mal diese Dinge erzählen? Es gibt übrigens ein Dokument aus dem 4. Jahrhundert vor Christus, das den Schluß nahelegt, ein Neffe von Odysseus könnte der erste Erzähler gewesen sein. Ich habe in meinem Buch Odysseus selbst dazu gemacht. Das schien mir wahrscheinlich. Nur ist das keine philologisch-kritische Wahrscheinlichkeit, sondern die Wahrscheinlichkeit eines Romans."

    Am Ende des Buches verbrennt Odysseus seine Wanderschuhe und verspricht für immer auf Ithaka und bei seiner Penelope zu bleiben. Doch die Arbeit als Dichter ist mühsam. Die Helden vor Troja sind nach der Meinung des Königs Ohneschuh "fade Männer, ihnen fehlt das Salz, während mein Gedicht so salzig sein muß wie das Wasser des Meeres. ich hoffe, daß es so sein wird wie bei den Flüssen, die selbst kein Salz enthalten, aber das Meer salzig machen."