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"König Ottokars Glück und Ende"

Mit dem Stück "König Ottokars Glück und Ende" hat Franz Grillparzer, wenn auch ohne diese Absicht, den Österreichern ihr nationales Identifikationsstück geliefert. Bei den Salzburger Festspielen hat nun Martin Kusej Grillparzers Stück neu inszeniert.

Von Sven Ricklefs |
    Für Österreichs Schüler soll dieses Stück, das manchmal daherkommt wie ein zweitklassiges Shakespearedrama, für Österreichs Schüler soll es über Jahrzehnte ein auswendig zu lernender Alptraum gewesen sein. Nun wird Grillparzers Nationaldrama "Königs Ottokars Glück und Ende" bei den Salzburger Festspielen zum Traum und Alptraum der Titelfigur, daran ist von Beginn an kein Zweifel:

    " You will now listen to my voice; my voice will help you and guide you still deeper into Europe."

    Was wie der Background zu einer Hypnosesitzung klingt, wird den lehns- und kaiserkronengierigen Böhmenkönig von nun an verfolgen bis zum Schluss. Und tatsächlich ist es oft so, als bewege sich der Ottokar von Tobias Moretti wie im Schlaf.

    Wenn Hofstaat und Gesandte um ihn in ihren Bewegungen einfrieren, wenn er wie abwesend von anderen immer wieder erfragen muss, wer sie eigentlich sind, oder wenn er, der sonst gern im vollen Brokat ging – nun aus den Höhen seiner Macht gefallen – nackt und lehmverschmiert am Boden sitzt und sich verlachen lassen muss, von denen, die ihm eigentlich nah zu sein schienen.

    Grillparzers Stück, das sich im Konflikt zwischen Rudolf von Habsburg und dem böhmischen König Ottokar mit dem Gründungsmythos des habsburgischen Staates beschäftigt, zeigt den Aufstieg und fürchterlichen Fall Ottokars, der sich berechtigt Hoffnung machte auf die Kaiserkrone des römischen Reiches deutscher Nation:

    "In Böhmen herrsch' ich, bin in Mähren mächtig, zu Österreich hab ich Steier mir erkämpft, es hat die Welt kein Reich noch wie das meinige gesehen. "

    Was ihm zum vollständigen Glück fehlt ist der Erbe, den ihm die Österreicherin Margarethe nicht schenken kann. Doch als er sich von ihr scheiden lässt, um die junge ungarische Königstochter Kunigunde von Massovien zu heiraten, ist dieser Treuebruch der Anfang vom Ende. Die Kaiserkrone geht an Rudolf von Habsburg, der sich von nun an im Glanz der Gottesgnade als der Gerechte geriert und an den Ottokar schließlich auch die Hälfte seines zusammengeklaubten Reiches abtreten muss.

    Habsburg: "Ihr habt euch schlecht benommen, Herr von Böhmen, als Reichsfürst gegen Kaiser und das Reich, doch damit ist’s vorbei, ich hab’s geschworen, geschworen beim großen gnädigen Gott, dass Recht soll herrschen und Gerechtigkeit in deutschen Landen und so soll’s sein und bleiben. "

    Regisseur Martin Kusej glaubt nicht an Grillparzers Schwarz-Weiss-Malerei, jene Parallelführung des gerechten und vor sich hin demütelnden Habsburgers Rudolf mit dem hybriden und grobschlächtigen Ottokar. Zwar spielt Tobias Moretti diesen Böhmenkönig zunächst wie einen leicht perversen Knaben, den die Macht lüstern macht, doch ihm entgegen steht in Michael Maertens ein schmierig jovialer Schleicher, mehr morbider Krämer als menschelnder Kaiser, einer, der sich nicht scheut hier und da auch mal einen abzuknallen, wenn’s sein muss.

    Es ist ein ebenso blutiger wie geschichtsschmutziger Boden, auf dem sich das Habsburger Reich und mit ihm das heutige Österreich da gründet, daran lässt die Salzburger Festspielinszenierung keinen Zweifel.

    Und auch daran nicht, dass hier ein Humus keimt für das blutige und schmutzige Europa des 20. Jahrhunderts:

    " Eine Leninstatue meditiert in östlicher Pose, auf dem großen roten Platz, er schaut mich an, der Weg führt durch die Konzentrationslager, Verhörräume, Leichenberge, die hechelnden Agenten sitzen mir im Nacken, Liebknecht und Luxenburg kommen mir entgegen, Schüsse fallen, ein Gespenst geht durch Europa. "

    Schon gleich zu Beginn laufen wolfshohe Hunde durch den Raum, Kriegsschlachten werden zu Faustkämpfen, zu Jagden und Fluchten, Menschen häufen sich zu nacktblutigen Körperclustern, Königswürde und Dekadenz, Machtgier und Thronsturz spiegeln sich in den immer wieder mit großer Geste in den fast leeren Raum hineininszenierten Bildern. Martin Kusej zeigt im besten Sinne wie opernerfahren er als Regisseur ist, wie grandios er mit Mensch und Raum umzugehen weiß. Dabei stellt er sich als Regisseur in seinem ersten Jahr als Leiter des Schauspiels der Salzburger Festspiele wohl bewusst mit einem so exquisiten Ensemble zur Diskussion. Er wolle dem Schauspiel der Festspiele den Glanz zurück gewinnen, hat er vorab gesagt und zugleich seine Debütsaison unter das Motto gestellt: "Wir die Barbaren - Nachrichten aus der Zivilisation.

    Einen ersten Glanz hat er mit diesen Grillparzers Nachrichten aus der Barbarei Salzburg sicherlich verliehen, auch wenn man bei allem Premierenjubel an einer Wiedererweckung des Autors über Österreich hinaus weiterhin zweifeln darf.