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Königshaus-Experte Rolf Seelmann-Eggebert
"Die Queen ist wie der Papst"

Queen Elizabeth ist seit 1953 Königin des Vereinigten Königreichs - und auch weltliches Oberhaupt der anglikanischen Church of England, der Staatskirche Englands. Sie lenke geschickt die Beziehungen zwischen Staat, Thron und Altar, sagte Königshaus-Experte Rolf Seelmann-Eggebert im Dlf.

Rolf Seelmann-Eggebert im Gespräch mit Andreas Main | 12.12.2019
Queen Elizabeth II., aufgenommen am 26.6.2015 vor dem Frankfurter Rathaus während ihres Staatsbesuch in Deutschland
Queen Elizabeth II. vor dem Frankfurter Rathaus beim Staatsbesuch im Juni 2015 (picture-alliance / dpa / Patrick van Katwijk)
Andreas Main: Rolf Seelmann-Eggebert hat im Herbst ein Buch veröffentlicht, das er gemeinsam mit seiner Tochter Adele Seelmann-Eggebert geschrieben hat. "In Hütten und Palästen: Ein Reporterleben". Mit diesem Buch sind die beiden durch die Lande gereist. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten. Es ist eine Autobiographie eines Prominenten, der von vielen verehrt wird, nicht nur wegen seiner Eleganz, seiner Tweed-Jackets und seiner Höflichkeit gegenüber allen und jeder. Über diese Autobiographie werden wir hier und jetzt nicht Eins zu Eins reden. Sondern wir reden - salopp formuliert - über die Queen als Kirchenoberhaupt, als Chefin der anglikanischen Kirche. Das ist ein Wagnis, über das wir schon seit längerem nachdenken. Ein Wagnis deshalb, weil Rolf Seelmann-Eggebert kein Theologe oder Kirchenexperte ist. 1937 geboren, also 82 Jahre alt, hat er Soziologie, Völkerrecht und Ethnologie studiert. Er war erst Korrespondent in Afrika, dann in Großbritannien, dann NDR-Programmdirektor in Hamburg. Seine legendären Live-Kommentare bei Großereignissen der Königshäuser haben ihm selbst bei einem Lästermaul wie Harald Schmidt höchste Bewunderung eingebracht. Rolf Seelmann-Eggebert, was bewundern Sie an der Queen, diesem 93 Jahre alten Staats- und Kirchenoberhaupt, am meisten?
Rolf Seelmann-Eggebert: Also, ich denke, ihre Disziplin und ihren Arbeitseinsatz, und zwar Arbeitseinsatz auf allen Ebenen. Zu diesen Ebenen gehört eben auch die Kirche.
Main: Sie haben dieser bekanntesten Frau der Welt oft die Hand geschüttelt. Wenn Sie ihr gegenüberstanden, haben Sie da jeweils daran gedacht, dass diese Frau nicht nur Staatsoberhaupt ist, sondern auch weltliches Oberhaupt dieser Kirche, der Church of England?
Seelmann-Eggebert: Wobei mir nie klar gewesen ist, wenn ich daran gedacht habe, ob das Staatsoberhaupt in England nicht gewissermaßen automatisch genannt wird, auch als religiöses Oberhaupt. Denn es gibt ja auch unter religiösen Gesichtspunkten in der Hierarchie des Staates niemanden, der über ihr steht. Also, sie ist diejenige, die sozusagen der halbe liebe Gott ist. Also, sie ist mindestens der Papst.
Main: Sie ernennt auch den Erzbischof von Canterbury, den Primas von England.
Seelmann-Eggebert: Ja, und dabei ist sehr englisch wiederum, dass sie es eben nicht alleine tut, sondern auf Vorschlag des Premierministers. Das heißt, die Politik ist auch bei kirchlichen Fragen immer irgendwie dabei und umgekehrt auch.
Rolf Seelmann-Eggebert trifft Elisabeth II. - Vorstellung beim Staatsbesuch der Queen in Berlin 2015
Rolf Seelmann-Eggebert trifft Elisabeth II. - Vorstellung beim Staatsbesuch der Queen in Berlin 2015 (seelmannfilm)
Main: Aber es gibt auch kirchliche Gremien, die vorher mit aussuchen.
Seelmann-Eggebert: Es gibt solche Gremien und es gibt natürlich auch Zusammenkünfte, Kirchenräte, die zusammentreten. Es gibt Saison, wo also so ein Kirchenrat tagt. Und da ist sie dann auch diejenige, die die Veranstaltung eröffnet.
"Natürlich werde ich jetzt Königin"
Main: Strahlt sie denn etwas aus? Sie sind ihr oft genug begegnet. Strahlt sie etwas aus wie eine Päpstin, wie eine Kirchenführerin?
Seelmann-Eggebert: Also, sicher ist bei ihr, dass sie keine Königin im üblichen Sinne ist. Das hängt wohl damit zusammen, dass sie als Kind am Frühstückstisch der Eltern mitbekommen hat, wie kompliziert das alles mit der Kirche ist, wie kompliziert das alles mit dem Staatsgedanken ist, wie kompliziert vor allem auch die eigene Verwandtschaft ist.
Denn schließlich ist sie nur deshalb Königin geworden eines schönen Tages, weil der Onkel eben keine Lust hatte, weil er Mrs. Simpson kennengelernt hatte, sie heiratete und auf die Art und Weise war der eigentliche König abgesägt und es kam ein neuer und dann ein neuer. Und das war dann der Vater von Elisabeth. Und ich denke, das hat sie zu einem sehr ernsten Menschen auch gemacht.
Margaret hat sie mal gefragt: "Sag mal, und jetzt, wie die Dinge stehen, wirst du eines schönen Tages Königin?" Und sie hat ohne jedes Zögern gesagt: "Natürlich werde ich jetzt Königin." Also, sie ist diszipliniert. Sie ist arbeitstüchtig immer gewesen und sie hat diese Aufgabe ernstgenommen. Ich glaube, ernster kann man sie nicht nehmen.
Und ich habe immer gesagt, in der ersten Lebenshälfte von ihr habe ich zwei Gesichter gekannt. Ich habe eines gekannt, das sie aufsetzte, wenn sie Blumen zum Beispiel von Kindern in Empfang nahm. Da war sie fröhlich, lächelte, sprach ein paar Worte mit ihnen. Und sie hatte ein strenges Gesicht, das man zu sehen bekam, wenn man Trooping the Colour, die Parade, sah. Da hatte sie eigentlich nur dieses eine Gesicht. Das war die erste Jahreshälfte oder Lebenshälfte. Die zweite Lebenshälfte sieht ganz anders aus. Heute ist sie für mich eine total entspannte Urgroßmutter.
"Ein ganz anderes Staats- und Nationsempfinden"
Main: Entspannte Urgroßmutter – es ist ja erstaunlich, in allen Kirchen wurde und wird gerungen, welche Rolle Frauen haben sollen. Und halbwegs unbemerkt ist diese Frau Chefin der Church of England, dieser Staatskirche Englands. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen, dass dies nicht so richtig bewusst ist?
Seelmann-Eggebert: Also, in England gehört dazu, dass man weiß, dass die Monarchie ungefähr 600 bis 700 Jahre alt ist. Und natürlich entwickelt sich ein Apparat wie die Kirche, egal welcher Art, innerhalb von 600 oder 700 Jahren weiter. Und deswegen ist vieles, glaube ich, viel selbstverständlicher für die Briten, was für uns immer einen Neubeginn bedeutet hatte. Die zählen ihre Könige in 10er-Reihen, 15er-Reihen und so was. Wir geben uns Mühe, davon nach Möglichkeit nicht zu reden, weil vieles nicht so appetitlich ist. Also, da gibt es ein ganz anderes Staats- und Nationsempfinden.
Rolf Seelmann-Eggebert vor dem Buckingham Palast
Rolf Seelmann-Eggebert vor dem Buckingham Palast (NDR_Erismann)
Main: Aber gehen Sie davon aus, dass die Briten – anders als wir Deutschen – dass denen bewusst ist, dass sie, die Queen, das weltliche Oberhaupt der Church of England ist?
Seelmann-Eggebert: Wenn sie Kirchengeher sind, das heißt, Kontakt zur Kirche haben und am Sonntag da erscheinen, dann ist das so. Andernfalls, wenn sie das nicht tun und keine Bindung an die Kirche haben, werden sie gelegentlich daran erinnert. Also, populäre Feiertage zum Beispiel, Gedenktage, werden gekrönt durch die Anwesenheit der Königin. Und das Publikum, das in den Reihen steht und zuguckt, entweder bei dem Live-Ereignis oder aber die Aufzeichnung am Abend sieht, wird an dem Tage daran erinnert, dass es da eine Verbindung gibt.
"Themen, die in der Öffentlichkeit keine Rolle spielen dürfen"
Main: Aber insgesamt, so, wie die Queen sich immer verhält, hält sie auch den Ball flach in ihrer Rolle als Kirchenoberhaupt. Verstehe ich das richtig?
Seelmann-Eggebert: Das wissen wir nicht so ganz genau, weil es natürlich Themen gibt, die in der Öffentlichkeit keine zu große Rolle spielen dürfen, weil die Königin selber das nicht schätzen würde. Aber es ist im Augenblick ja gerade eine große Fernsehserie im Gange, hier auch in Deutschland, The Crown.
Main: Die Sie auch sehr schätzen, das weiß ich.
Seelmann-Eggebert: Die Fernsehserie schätze ich. Ich habe Dialoge gehört und habe mich, als ich die Dialoge hörte, gefragt: Hast du den geschrieben? Also, habe ich den selber geschrieben? Er schien mir so richtig zu sein. Aber das ist mir auch nur einmal im Leben passiert, nämlich in diesem Zusammenhang. Nur, durch diese Serie erfährt man jetzt Einzelheiten, die man Büchern nicht entnehmen konnte.
Die Serie begann nicht gerade; aber sie hat jetzt gleich zu Beginn gezeigt, wie ein nicht ganz kleines Mädchen am Fußende ihres Bettes kniet und das Abendgebet spricht. Man hat das wahrscheinlich irgendwo schon nachlesen können, aber dass man es mal gesehen hat, und dass das Ganze sozusagen Fleisch und Blut mehr bekommen hat, als es bis dahin hatte, das ist sicher auch Verdienst der Serie.
"Es wird eine Fahne eines Regiments gesegnet"
Main: Rolf Seelmann-Eggebert im Deutschlandfunk, in der Sendung "Tag für Tag – Aus Religion und Gesellschaft". Herr Seelmann-Eggebert, geistliches Oberhaupt der Church of England, wir haben es schon erwähnt, ist traditionell der Erzbischof von Canterbury. Er ist Primas von ganz England und heißt zurzeit Justin Welby. Auch, wenn wir jetzt vielleicht ins Spekulieren kommen: Gehen Sie davon aus, dass dieser Mann und die Queen, dass die sich regelmäßig sehen und besprechen, was die Zukunft und Gegenwart der Church of England betrifft?
Seelmann-Eggebert: Ich weiß, dass es solche Begegnungen regelmäßig gibt, und zwar einmal in der Woche. Da allerdings geht es um Staatsangelegenheiten. Da kommt der Premierminister. Dann gibt es Audienz bei der Königin. Und bei der königlichen Audienz spielen natürlich in erster Linie politische Fragen eine Rolle. Sollte eine Kirchenfrage darunter sein, ist sie sicher bereit, auch darüber zu reden, obwohl da ihr Gesprächspartner natürlich eher einer der Erzbischöfe wäre als der Regierungschef.
Main: Sodass Sie aber auch davon ausgehen, dass es regelmäßige Kontakte gibt?
Seelmann-Eggebert: Es gibt diese regelmäßigen Kontakte, und zwar aus traditionellen Gründen, aus Anhänglichkeitsgründen. Es gibt diese direkten Kontakte auch gelegentlich mit dem Militär aus Verehrungsgründen auf beiden Seiten. Das Militär tritt an, um den königlichen Geburtstag zu feiern. Und die Königin tritt an, wenn irgendein größeres Ereignis im Militär vorfällt, zum Beispiel auch die Segnung der Fahne. Es wird eine Fahne eines Regiments gesegnet, bevor das Regiment in die Schlacht zieht. Das ist ein alter Brauch im Militär. Und in England wird er noch weiterhin durchgeführt, unter anderem deshalb, weil es der Wille der Königin ist.
"Sie ist die Verteidigerin des Glaubens"
Main: Herr Seelmann-Eggebert, das Königshaus legt größten Wert auf Diskretion. Das haben wir unter anderem von Ihnen gelernt in den letzten Jahrzehnten. Gehen Sie dennoch davon aus, auch, wenn wir wieder spekulieren, dass die Queen Einfluss nimmt auf die Church of England?
Seelmann-Eggebert: Ich gehe davon aus, dass der Apparat, der letztlich Entscheidungen trifft, so gute Vorarbeit geleistet hat, dass es eigentlich zu einer offenen Auseinandersetzung vor wenigen Leuten zwischen der Königin und Leuten des Führungsstabes nicht kommen kann. In dem Augenblick, in dem eine Vorlage vorgelegt wird, kann man davon ausgehen, dass sie abgestimmt ist – dass sie abgestimmt ist und dann sozusagen, ohne, dass Änderungen zu beobachten sind, eben eine solche Vorlage auch Staatsgut wird und Papier des Staates wird.
Main: Das heißt auch, dass Sie, der Sie jetzt Jahrzehnte dieses Königshaus beobachten, dass Sie sich nicht daran erinnern können, dass es irgendwann mal zwischen ihr – ihr Titel ist Supreme Governor of the Church of England – und den Erzbischöfen, dass es irgendwann mal gekriselt hat, dass es gekracht hat, dass es geknirscht hat?
Seelmann-Eggebert: Es gibt eine interessante Frage, von der ich selber nicht genau weiß, ob sie schon gelöst ist, oder ob sie nicht gelöst ist. Ich denke, sie ist mindestens dem Charakter nach gelöst. Sie ist ja auch Defender of the Faith. Sie ist die Verteidigerin des Glaubens. Und Charles ist es gewesen, der wohl darauf aufmerksam gemacht hat, dass er eines schönen Tages als König nicht Defender of the Faith sein wird, sondern er wird Defender of Faith sein.
Rolf Seelmann-Eggebert bei der seltenen Gelegenheit, Prinz Charles zu interviewen
Rolf Seelmann-Eggebert bei der seltenen Gelegenheit, Prinz Charles zu interviewen (NDR_Stuhlmacher)
Er sieht nicht ein, dass er sozusagen für die Staatskirche nur strammstehen soll und geradestehen soll, sondern fühlt sich verpflichtet als König in Großbritannien, von Großbritannien, dieses Angebot auch den anderen Kongregationen zu machen, sodass man davon ausgehen kann, dass sich diese Formel – Defender of the Faith – verändern wird in Richtung Defender of Faith. Alles, was Glauben ausübt, steht unter meinem Schutz. Das wäre die Antwort von Charles. Darüber hat es eine lange, offene Debatte gegeben. Ob es das Ende schon gewesen ist, das ich hier zitiert habe, weiß ich nicht.
"In Großbritannien spielt die Kirche eine große Rolle"
Main: Rolf Seelmann-Eggebert im Deutschlandfunk. Herr Seelmann-Eggebert, Sie sind – das ist kein Geheimnis – SPD-naher, evangelischer Christ. Menschen aus diesem Umfeld, zumindest einige, setzen sich oder stehen einer Trennung von Staat und Kirche und Staat und Religion oft positiv gegenüber. Für Sie: Ist dieses britische Modell einer Staatskirche überholt?
Seelmann-Eggebert: Also, ich denke, dass wir mit unseren Kirchen in Deutschland eine Vielfalt haben, die jedem die Möglichkeit gibt, seinem Glauben nachzugehen, in welcher Form und wo auch immer. Und das ist vielleicht eine Reaktion noch auf das, was in den 30er Jahren in Deutschland passiert ist. Kirche bekam einen höheren Stellenwert wieder nach 1945. Man hat in Deutschland auch die Tradition, die Kirche sehr stark im sozialen Umfeld zu sehen. Sonst habe ich nicht den Eindruck, als ob Kirche und unterschiedliche Glaubensrichtungen in Deutschland eine besonders große Rolle spielen.
Main: Aber denken Sie, dass diese Vermischung, Verquickung von Politik und Religion, wie wir sie gerade beschrieben haben, diese Wechselwirkung zwischen Queen, Premierminister und Erzbischof von Canterbury, dass die noch zeitgemäß ist? Oder ist die aus Ihrer Sicht überholt?
Seelmann-Eggebert: Ich habe den Eindruck, wenn ich bei entsprechenden Feierlichkeiten auch zum Beispiel anwesend war als Reporter, gefilmt habe, dass die Mischung, die in Großbritannien herrscht, die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat, gut geregelt sind. Es gibt eine lange Tradition, aus der dieses Gebilde entstanden ist. Und diese Tradition haben wir nicht in gleichem Umfang, weil es immer wieder Brüche gegeben hat in Deutschland. Aber in Großbritannien spielt die Kirche noch eine erstaunlich große Rolle, mindestens für einen kleinen Kreis. Und ich habe den Eindruck, als ob dieser kleine Kreis gut funktioniert.
"Königtum lebt davon, dass es sich erneuert"
Main: Rolf Seelmann-Eggebert über die Rolle von Monarchen in ihren Kirchen. Herr Seelmann-Eggebert, auch die evangelisch-lutherische dänische Volkskirche hat Züge einer Staatskirche, habe ich nachgelesen. Doch dort ist der Monarch nicht mehr weltliches Oberhaupt. Das ist dort vor 170 Jahren abgeschafft worden. Der Monarch oder die Monarchin muss allerdings evangelisch sein. Sie ernennt auch die Bischöfe. Könnte man also sagen, solange es Monarchien gibt, wird es irgendwie so etwas wie ein Bündnis von Thron und Altar geben?
Seelmann-Eggebert: Thron, Altar und natürlich auch Staat. Also, ich denke, dass die Stärke der Monarchien in Europa darauf zurückzuführen ist, dass es ein ausgewogenes System dieser drei Ebenen gibt. Und man hat ja vor Kurzem auch feststellen können, wie selbstkritisch Throne miteinander umgehen und auch sich selbst in der Lage sind zu reformieren. Königtum lebt davon, dass es sich erneuert. Und zu dieser Erneuerung gehört eine nach Möglichkeit offene, ehrliche und insofern erfreuliche Zusammenarbeit zwischen diesen drei Säulen.
"Soziale Verehrung der Könige"
Main: Der Einfluss der Kirchen in Westeuropa geht zurück. Gleichzeitig blicken viele Menschen fasziniert auf Königshäuser. Was halten Sie von der steilen These, dass Monarchinnen wie die Queen – gerade, weil sie so entrückt wirken – vielleicht so was sogar wie Religionsersatz sind?
Seelmann-Eggebert: Also, ich könnte mir vorstellen, dass es eine gewisse soziale Verehrung der Könige/Königinnen gibt. Sie treten ja auch meist sehr überzeugend auf. Sie sind gut auf ihre Aufgaben vorbereitet. Und den Menschen liegt an Pracht und Prachtentfaltung. Sie mögen das gerne.
Und ich sage immer, wir haben es in Deutschland insofern gut, als wir keine eigene Königin und keinen eigenen König haben, aber uns den Glanz der anderen borgen können. Das ist ja tatsächlich der Fall, wenn Sie sehen, wie die Königin empfangen worden ist, die englische Königin in den vielen Staatsbesuchen, die sie gemacht hat in Deutschland. Das war fast unerklärlich.
Aber ein Teil der Erklärung ist sicher der, dass wir auch als Republikaner mit dem Glanz von Königinnen und Königen was anfangen können. Wir können damit gut leben, insbesondere solange wir nicht dafür bezahlen müssen.
"Königshäuser stehen heute ganz stark für die Zukunft"
Main: Also, nicht Religionsersatz, aber Verehrung. Sie zitieren ja in Ihrem Buch auch Königin Margrethe von Dänemark, die Sie irgendwann mal nach dem Erfolg der Königshäuser in Demokratien gefragt haben. Und da antwortet sie wörtlich: "Vielleicht braucht man in einer Zeit wie dieser so etwas wie einen Orientierungspunkt." Vielleicht ist es auch das, die Sehnsucht nach Orientierung.
Seelmann-Eggebert: Das könnte ich mir gut vorstellen. Jedenfalls habe ich ihr damals innerlich Beifall geklatscht, weil es ja gar nicht so leicht ist, die Frage zu beantworten. Wie kommt es im 20. und 21. Jahrhundert dazu, dass einige besonders hübsch gestaltete Menschen meistens diese Funktion übernehmen, König und Königin sind von Gebilden, die Jahrhunderte alt sind und eigentlich überholt sind und trotzdem sind sie so erfolgreich? Also, schwer zu erklären, aber dieses Phänomen ist da – in allen sieben Häusern, die es in Europa gibt.
Main: Wenn die Königshäuser so was wie Orientierungspunkt sein könnten, in welche Richtung geht diese Orientierung?
Seelmann-Eggebert: Also, ich würde heute sagen, sicher eher in Richtung Umweltschutz als in Richtung museale Kräfte, museale Geschichte, museale Aufarbeitung von bestimmten Themen. Dafür standen die Königshäuser ja ganz ohne Frage – eher für die Vergangenheit. Ich glaube, sie stehen heute ganz stark für die Zukunft. Prinzessin Anne ist zum Beispiel zehnmal, vielleicht zwanzigmal in ihrem Leben durch Afrika gereist für ihr Hilfswerk "Save the Children". Also, sie haben alle solche Hilfswerke und sind alle aktiv und sind auf die Art und Weiser alles andere als, sagen wir mal, Leute, die ihren Reichtum genießen und im Übrigen den lieben Gott einen lieben Mann sein lassen.
"Sie kann noch politischer werden"
Main: Die Queen in ihrer ostentativen Gelassenheit oder in ihrer zur Schau gestellten Gelassenheit, diese Ruhe, dieses Denken über Legislaturperioden hinaus bis ins 93. Lebensjahr, das erscheint natürlich auch in unserer Zeit so etwas wie der Gegenpol schlechthin zu unserer schnellen, dynamischen, hysterischen Welt. Ist womöglich die Queen die Anarchistin schlechthin, die uns den Spiegel vorhält?
Seelmann-Eggebert: Ob sie uns den Spiegel vorhält, ist ja sicher sehr strittig, wenn man weiß, dass die Reden, die sie ja hält, eben nicht ihre Reden sind, sondern die Reden einer Regierung und sie ist sozusagen der Lautsprecher, der das Wort der Königin an die große Glocke hängt. Dass sie so denkt, dass sie auch altmodisch ist, dass sie bestimmte Eigenschaften hat, die man einem Königshaus besonders zuordnen würde, also zum Beispiel Etikette und ähnliche Dinge, das will ich damit überhaupt nicht ausschließen.
Und es ist gut möglich, dass jedenfalls wer jung genug ist, das noch erleben wird, dass Reden, die sie gehalten hat oder nicht gehalten hat in der Öffentlichkeit, veröffentlicht werden, obwohl sie nie veröffentlicht worden sind. Also, sie kann noch eine politischere Persönlichkeit werden als sie im Augenblick ist.
"Sie bricht auch da ihr Schweigen nicht"
Main: Nun kenne ich ihre Reden nicht – anders als Sie. Und Sie sagen, die werden ihr letzten Endes geschrieben. Aber spricht sie denn auch in ihrer Rolle als weltliches Oberhaupt der Anglikanischen Kirche in einer Weise, dass man den Eindruck bekommen könnte, sie ist eben auch Kirchenführerin? Oder ist das etwas, wo sie sich in diesen Reden, die Sie ansprechen, zurückhält?
Seelmann-Eggebert: Also, ich könnte mir vorstellen, dass wie sie eine Erklärung abgibt nach Rücksprache mit ihrem Premierminister, sie eine Erklärung auch im kirchlichen Raum abgibt nach Rücksprache mit ihren Erzbischöfen. Das muss alles natürlich harmonisch sein. Das muss abgestimmt sein. Gelegentlich ist es das mal nicht und dann macht es Schlagzeilen. Das ist nie in ihrem Sinne. Sie ist immer eine Frau, die um sich gerne Ruhe, Gelassenheit hat, die lange arbeitet, abends noch spät, wenn der Palast längst schlafen gegangen ist. Sie ist gut vorbereitet.
Adelsexperte Rolf Seelmann-Eggebert 
Immer mit Tweed-Jackett: Rolf Seelmann-Eggebert in seinem Hamburger Büro (picture alliance/dpa/Foto: Christian Charisius)
Main: Sie haben es eben angedeutet: Würden Sie sich öfter mal in unseren sinnbefreiten und entzauberten Zeiten sinnstiftende Reden oder Worte der Königin hören? Oder sollte sie weitermachen wie bisher? Ich gehe davon aus, dass sie schon noch ein paar Pflöcke eingerammt wissen wollen von ihr.
Seelmann-Eggebert: Also, sie gibt ja keine Interviews. Und das habe ich zunächst bedauert. Heute kann ich das gut verstehen, dass sie das nicht tut. Ich selber war einmal jetzt in dieser Zeit versucht zu sagen, wenn man doch bloß mit der Queen mal reden könnte, wenn man sie doch auf etwas aufmerksam machen könnte, wo ein Wort von ihr möglicherweise eine Antwort zugleich wäre für offene Fragen.
Aber man traut sich natürlich nicht, an sie heranzutreten und zu sagen: "Your Majesty, wie wäre es denn?" Für mich wäre die Frage natürlich "Brexit" gewesen. Es scheint mir, der ich nicht sehr lange, aber doch einige Zeit in Großbritannien gelebt habe, widersinnig, was da im Augenblick passiert für unsere Zeit, dass sozusagen ein großes Land aus einer großen Familie austritt. Das kann ich schwer verstehen.
Und nicht nur ich. Auch viele Engländer haben schon gesagt, jetzt hätten wir ihr gerne ein Wörtchen zugeflüstert, um zu sehen: Your Majesty, this shouldn’t be done." Das wäre die Formel gewesen. "Das sollten Sie nicht zulassen." Aber so sieht es aus, sie bricht auch da ihr Schweigen nicht.
"Betrachte die Church of England als lebendige Institution!"
Main: Wenn Sie doch noch in diesem Leben ein Interview mit ihr bekämen und Sie hätten die Chance, auch eine Frage oder einen Wunsch zu äußern mit Blick auf die Church of England, was würden Sie ihr dann sagen?
Seelmann-Eggebert: Ja, betrachte die Church of England nicht als eine alte Institution. Betrachte sie als eine lebendige Institution, die vor allem die Aufgabe hat, auch mit unendlich vielen Menschen dieses ähnlichen Glaubens in der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Das heißt, die Kirche, wie sie in England am ausgeprägtesten praktiziert wird, hat viele, viele Geschwister weltweit. Und deren Einsatz ist mindestens so wichtig wie der Einsatz der eigenen Kirche.
Main: Eindrücke, Erinnerungen, Einschätzungen waren das von Rolf Seelmann-Eggebert, der rund 40 Jahre lang den Deutschen die europäischen Königshäuser erklärt hat. Herr Seelmann-Eggebert, danke für die Zeit, die Sie sich genommen haben. Danke für das Gespräch.
Seelmann-Eggebert: Ich bedanke mich.
Rolf Seelmann-Eggebert: "In Hütten und Palästen – ein Reporterleben". Verlag Kösel, 205 Seiten, 20 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.