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Körperintensiv bespielte Schaumbadewanne

Wütend erregte Fragen an unsere Marktwirtschaft und ihre Möglichkeiten von Moral und Arbeit stellt Oliver Kluck in seinem Stück "Die Froschfotzenlederfabrik". Regisseurin Anna Bergmann macht daraus am Wiener Burgtheater eine wilde, schrille und überdrehte Vorführung - in deren Mittelpunkt eine Pornodarstellerin steht.

Von Hartmut Krug | 22.12.2011
    Originalität kann man Oliver Kluck nicht absprechen, zumindest bei der Wahl seiner Stücktitel. Im vergangenen Monat wurde am Volkstheater Rostock sein Stück "Über die Möglichkeiten der Punkbewegung zur Gestaltung des regionalen Stadtraumes" uraufgeführt, und auch der Titel "Froschfotzenlederfabrik" seines gestern im Kasino des Wiener Burgtheaters uraufgeführten neuen Stückes macht mit seiner auftrumpfenden Mehrdeutigkeit neugierig.

    "Froschfotzenleder" ist ein minderwertiges Ledermaterial oder einfach ein Lederersatz, der oft von Reinigungskräften für ein Putztuch gebraucht wird. Oliver Kluck nutzt es als Allegorie auf verunglücktes Leben. Ein Fabrikant, der seine Lohnnebenkosten mit seinen Angestellten "solidarisiert", also reduziert, der die Produktion ins Ausland verlagert und, um sich einen festen Kundenstamm zu sichern, aus diesem Material Kleidung für Neonazis herstellt, steht für die Unmoral unserer ökonomisch bestimmten Gesellschaftsordnung.

    Seine Frau verliert sich im Alkohol und seine Töchter haben unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs in der Jugend jeden Halt verloren. Allerdings sind all diese Figuren von Kluck allenfalls undeutlich umrissen, sie wirken mehr wie hingeworfene Fragen oder Meinungen des Autors. Eingerahmt durch zwei fiktive Briefe, die sich mit dem Problem eines bedingungslosen Grundeinkommens beschäftigen, entfaltet sich wie immer bei diesem Autor keine klare Fabel mit deutlich charakterisierten Figuren, sondern es wird ein Flickenteppich von Situationen ausgebreitet.

    Bei der Lektüre des Stückes wirkt die Szenenfolge, als sei sie absichtlich in einer gewissen Unfertigkeit gelassen worden. Und auch die leichte Klischeehaftigkeit der Figuren ist dem Autor nicht unterlaufen. Sie ist Stilmethode des Autors, der seine Figuren mehr ausstellt und befragt, als beschreibt oder gar genau charakterisiert. Immerhin steckt Oliver Klucks Stück voller Erregung, die, vom Autor ausgehend, die Figuren überwältigt.

    Eine szenische Darbietungsmöglichkeit für diese Art von nichtdramatischem Text muss das Theater selbst erfinden. Die junge Regisseurin Anna Bergmann ist Klucks Text nicht immer gefolgt. Sie hat nicht nur die das Stück rahmenden Briefe weggelassen, in denen das bedingungslose Grundeinkommen durchaus skeptisch besprochen wird, sondern auch etliche Szenen und Texte umformuliert und neu montiert. Vor allem aber hat sie das Stück zu einer Art überdrehter Revue gestaltet. Da der Autor 1980 auf Rügen, also in der DDR geboren wurde, schüttet sie einen Sound aus DDR-Werbung und Schlagern über den Text aus und bebildert ihre Inszenierung mit zeithistorischen Videobildern. Auf einer Freitreppe, die zu einem von mächtigen Säulen unterteiltem roten Theatervorhang hinaufführt, toben zu Beginn eine Schwester und zwei Ärzte im choreografierten Durcheinander um eine der Töchter, halbseiden sexy im Fetzenfellmantel überm Leopardenkleidchen, die mit finanziellen und körperlichen Mitteln die Ärzte bedrängt, dass ihre Mutter im Krankenhaus aufgenommen wird.

    Wild, schrill und überdreht geht es auch die folgenden anderthalb Spielstunden zu. Anna Bergmann schüttet ein Füllhorn bunter Regieeinfälle über das Stück und hat mit Jana Schulz als Fabrikantentochter, die dem entfremdeten Arbeitsethos ihres Vaters ihr ebenso falsches einer Pornodarstellerin zur Seite stellt, eine kraftvoll virtuose Hauptdarstellerin, die sich zudem unbedenklich unentwegt exhibitionistisch betätigt.

    Während der Autor sich vor allem mit einer ethisch verrotteten Marktwirtschaft auseinandersetzt und dabei die allgemeine Kaputtheit und Hilflosigkeit der Menschen ausstellt, konzentriert sich die Regisseurin stark auf die Tochter als Pornodarstellerin. Es ist durchaus unterhaltsam, wie hier die komplizierte Annäherung zwischen der Pornodarstellerin und einem der ausgepowerten Ärzte vorgeführt wird. Dazu begeben sich die Darsteller mitten unter das an Tischchen sitzende Publikum: Es wird auf dem Tisch gesungen oder an einer Nachtclubstange getanzt, es werden auf Sofas Familiensituationen oder sexuelle Annäherungen gezeigt und dem Publikum Stücke eines Hochzeitskuchens oder ein Pornofotobuch angeboten. Auf den Bühnenstufen werden Dekorationen hinein und hinausgefahren, eine Schaumbadewanne wird körperintensiv bespielt. Und der Fabrikant, von Míchael König mit komödiantischem Furor gespielt, den er auch noch in seine Rollen als Fabrikantenehefrau und Onkel legt, erklärt mehrfach allein mit ökonomischen Argumenten in Jauchs Talkshow, warum er die Produktion ausgelagert hat und für Neonazis produziert.

    Am Schluss hat die Pornospiel-Tochter die Familienvilla verwüstet und die ehemaligen Näherinnen ihres Vaters als multiethnischen Chor dort einquartiert. Dessen Mitglieder dürfen Biographisches erzählen, dann ist Disco und schließlich verendet alles im Wiener Walzer.

    Beachtlich, wieviel Einsatz das große Burgtheater sich für dieses kleine Stück leistet. Heraus kommt ein überdrehter, manchmal an seinen vielen Regie-Einfällen fast erstickender, nicht immer spannender Abend. Eine Moral oder Botschaft besitzt er nicht, aber, jedenfalls beim Autor, skeptische und wütend erregte Fragen an unsere Marktwirtschaft und ihre Möglichkeiten von Moral und Arbeit.