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''Köstliche Reste''

Noltze: Petra Maisak, Sie sind Museumsleiteriin dort: Andenken, Souvenirs, Erinnerungsstücke: ist das nicht sozusagen ein bißchen unter Ihrer Würde?

Petra Maisak, Leiterin des Museums, im Gespräch |
    Maisak: Keineswegs, denn anhand dieser Stücke kann man konkrete Lebenswirklichkeit fassbar machen. Sie liefern ein sehr lebendiges Bild der Zeit. Man muss natürlich einen gewissen Hintergrund kennen, um das richtig einzuordnen. Wenn man nur ein Schühchen als Schühchen betrachtet, ist das noch ohne größere Aussage. Wenn man weiß, dass das der Schuh von Gunda von Savigny war und man den Brentano-Zusammenhang kennt, dann erschließen sich gleich ganz andere Dimensionen.

    Noltze: Das Kleine scheint eine Rolle zu spielen. Sie sprechen schon von den Kinderschühchen. Dann lese ich etwas vom Zahnstocherdöschen. Ich lese etwas von Hausjäckchen und von Brentanos Kinderfrack. Warum gibt es da so viele Kleinigkeiten?

    Maisak: Das liegt an der Sammlung. Das sind Dinge, die sich im Laufe von vielen Jahren, genau gesprochen seit 1863 bei uns eingefunden haben. Auf diese Dinge greifen wir nun zurück und das ist in der Tat viel Kleines dabei, vielleicht weil diese niedlichen Dinge besonders begehrenswert waren und in den Familien auch sehr gut weiter gegeben werden konnten. Die Hauptreliquie ist das Fragment von Goethes Puppentheater. Das hat dann schon eine stattlichere Größe und ist im Goethe-Haus selber zu sehen. Das erinnert an seine frühe Inspiration.

    Noltze: Woher haben Sie diese Dinge?

    Maisak: Die sind großen Teil aus dem Familienbesitz an uns gegangen.

    Noltze: Es stammt also aus der Goethe-Familie.

    Maisak: Nein, es stammt von Freunden. Die Goethe-Familie hat ihre Sachen ja in Weimar gelassen. Wir haben sehr wenige Dinge von den Mitgliedern der Weimarer Goethe-Familie, von Christiane leider gar nichts. Wir haben sehr viele Dingen aus dem Freundeskreis von Goethe, natürlich auch von der Freundin Marianne von Willemer. Von Lotte Buff ist ein ganz großer Nachlass zu uns gekommen. Und Lili von Türckheim, geborene von Schönemann, aus dem nächsten Kreis um Goethe hat auch dazu beigetragen.

    Noltze: Woher wissen Sie, dass die Dinge echt sind?

    Maisak: Sie sind großenteils ähnlich wie sakrale Reliquien mit Zertifikaten ausgestattet. Dann haben wir streng nachgeprüft, was in die Zeit passt. Wir konnten Falsifikate ausmachen, was ganz spannend ist. Da wurden Legenden erfunden und so belegt, als würde es sich um wirkliche Stücke handeln. Auch da sieht man eine ganz gute Parallele zum religiösen Reliquienkult.

    Noltze: Also, ich stelle mir das so vor: Ich habe ein Döschen, um bei den kleinen Dingen zu bleiben, und da liegt ein Zettelchen, was den Gegenstand, der das aufbewahrt wird, beglaubigt.

    Maisak: So ist es. Das von Ihnen angesprochenen Zahnstocherdöschen wurde bereits 1792 von einem Vetter der Frau Rat Goethe beglaubigt. Diese Beglaubigung besagt, das ist das Zahnstocherdöschen von Frau Catharina Elisabeth Goethe. In dieser frühen Zeit hat man die Personen und ihre Dinge schon so wert gehalten, weil Goethe da als Berühmtheit entsprechend angesehen wurde.

    Noltze: Sie haben von der rekonstruierbaren Lebenswirklichkeit gesprochen. Wo liegt, wenn man vielleicht darüber hinaus geht, der Erkenntniswert so einer Sammlung?

    Maisak: Das ist natürlich mit einem Wort sehr schlecht zu sagen. Es sind Dinge, die der Rezeptionshaltung einer Zeit ansprechen. Die Frage ist, warum wurde ein Dichter in dieser Zeit so verehrt, wie wir uns das heute gar nicht mehr vorstellen können. Warum wurden Andenken geradezu mit einer sakralen Aura umgeben? Warum fanden literarische Wallfahrten zu den Geburtsstätten und Gräbern statt? Man kann eine Geisteshaltung festmachen. Sie spricht von einem völlig anderen Umgang mit Dichtung und Dichtern.

    Noltze: Ist Ihnen das Gefühl des Auratischen oder des Reliquienhaften, wenn Sie da mit diesen Dingen, zum Beispiel Schillers Locke, umgehen, so ganz und gar fern?

    Maisak: Ja, ich sehe das eher nüchtern. Ich erfreue mich aber teilweise ungeheuer an ästhetischen Dingen und es gibt Kuriositäten, die sind einfach köstlich. Das muss man sich vorstellen. Ich habe einen völlig unscheinbaren Gegenstand, der als zu einem kleinen Knäuel zusammengewickelt war, der sich als Goethes Nachtmütze herausstellte. Diese lag mir sogar mit Zertifikat vor. Sie hatte einen eingestrickten Lorbeerkranz. Das heißt, der Olymp hat sich selbst im Schlaf noch mit diesen Lorbeeren geschmückt. Das ist auch ein bisschen Mentalitätsgeschichte, was man da auch betreibt.

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