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Köthener Bachfesttage 2020
Durch Bachs Musik Nähe herstellen

Trotz Corona-Pandemie konnten die Köthener Bachfesttage stattfinden. Die Veranstalter haben dafür Konzepte für sichere Konzert-Aufführungen entwickelt, die großes Potenzial für die Zukunft haben – und trotz Abstandsregeln viel Nähe herstellen.

Von Claus Fischer | 07.09.2020
    Eine Frau mit kurzen, blonden Haaren hält eine Geige in der linken Hand und steht in einem Schlosssaal vor einem Cembalo. Um sie herum verteilt sitzen Menschen mit viel Abstand und applaudieren.
    Johann Sebastian Bach war sechs Jahre Hofkapellmeister in Köthen - auch in diesem Jahr erinnerten die Bachfesttage an sein Wirken. (Deutschlandradio / Claus Fischer)
    Hektik herrschte vor Beginn des Festivals im Prinzenhaus in Köthen. In das Gebäude aus der Zeit Johann Sebastian Bachs zogen nämlich rund 20 historische Tasteninstrumente ein, Cembali, Hammerflügel und sogar eine Orgel. Während der Bachfesttage wurden sie dem Publikum vorgeführt – in Kurzkonzerten von etwa 20 Minuten Dauer.
    Kostbare historische Instrumente
    "Hier gibt es so viele Salons, dass in jedem Salon zwei Besucherinnen und Besucher sitzen dürfen, mit der nötigen Distanz natürlich"
    Erzählt Festivalintendant Folkert Uhde.
    "Aber das ist ein Erlebnis was man sonst nirgendwo haben kann, nirgendwo auf der Welt!"
    Zusammengetragen hat die wertvollen Unikate der Instrumentenbauer und Restaurator Georg Ott. Das wohl wertvollste Stück ist optisch das Unscheinbarste, ein schlichter Holzkasten, der an einen Klapptisch erinnert.
    "Aus dem sächsisch-thüringischen Raum, das ist das "Clavecin Royale", es gibt praktisch nur eine Handvoll weltweit, die erhalten sind. Das ist so ein ganz spezielles Instrument, wo man eigentlich davon ausgehen kann, dass Bach sowas in der Art schon kannte."
    Vom Prinzenhaus auf die Bühne: das Clavevecin Royale
    Die 20 historischen Tasteninstrumente im Köthener Prinzenhaus konnten aber nicht nur bewundert und im intimen Rahmen gehört werden, sondern sie spielten auch auf der Bühne des Festivals eine Rolle. Einige der Gastinterpreten konnten sich aus dem Fundus von Goerg Ott ein passendes Instrument für ihren Auftritt auswählen. Zum Beispiel die Cembalistin Christine Schornsheim.
    "Normalerweise muss ich froh sein, wenn ich ein "Einigermassen-Cembalo" irgendwo vorfinde oder einen "Einigermaßen-Hammerflügel". Und dass ich hier auswählen kann, das ist natürlich geradezu Luxus."

    Christine Schornsheim trat in Köthen gemeinsam mit dem Lautenisten Joachim Held auf. Auf ihrem Programm standen Werke von Johann Sebastian Bach und dem Dresdner Hoflautenisten Silvius Leopold Weiss, die sich gekannt und geschätzt haben. Christine Schornsheim entschied sich für das "Clavecin Royale".
    "Das hat es uns sofort angetan! Für dieses Duo, was wir spielen, was ursprünglich von Weiß ist, und wo Bach eine wunderbare zusätzliche Stimme oder zwei Stimmen dazu komponiert hat. Wir haben uns geradezu verliebt in diesen Klang, weil der Klang der beiden Instrumente so zusammengeschmolzen ist."
    In der Tat konnten die Zuhörer stellenweise nicht unterscheiden, welche Töne von der Laute und welche vom "Clavecin Royale" kamen.
    Ragna Schirmer spielt fünf Mal die Goldbergvariationen
    Auch die renommierte Pianistin Ragna Schirmer war vor Beginn der Bachfesttage im Instrumentenfundus von Georg Ott zugange. Sie entschied sich für einen Flügel des Wiener Meisters Conrad Graf.
    "Conrad Graf war sozusagen der "Steinway der Beethovenzeit", erzählt Georg Ott.
    "Beethoven hatte auch einen Conrad-Graf-Flügel. Ragna Schirmer kennt den Flügel schon, ich war auch schon mal mit ihr in Eisenstadt damit unterwegs."
    Zur Eröffnung der Bachfesttage spielte Ragna Schirmer Bachs Goldbergvariationen - und zwar insgesamt fünfmal! Nicht aus sportlichem Ehrgeiz, sondern um insgesamt rund 250 Zuhörer zu erreichen.
    "Ich hab überhaupt kein Problem damit, so ein Konzert fünf Mal zu spielen, denn ich arbeite lieber, als nichts zu tun! Ich hab mir einfach vorgestellt: ich spiele eine große Oper in fünf Akten! Ich hab den ganzen Marathon als ein Werk betrachtet, und nicht "Ich spiele fünfmal das Gleiche." Es ist immer wieder neu und ich bin jetzt an einer Stelle eines größeren Weges – und so hat das funktioniert!"
    Spannendes Experiment mit den Sitzplätzen
    Rund 50 Konzerte bot das Programm der Köthener Bachfesttage insgesamt, an acht Spielorten. Jedes dauert etwa eine Dreiviertelstunde und wurde mindestens dreimal gegeben. 50 Besucher waren jedes Mal erlaubt, erzählt Folkert Uhde. Und die kamen auch und konnten trotz Abstandsgebot akustisch auf Tuchfühlung mit den Musikern gehen.
    "Ich glaube, das ist ein sehr besonderes Erlebnis, weil mir ist es unheimlich wichtig, dass trotz dieser Leere sozusagen ein intensives Konzerterlebnis zustande kommt. Und das kommt sicherlich eher zustande, indem man sich auch gegenseitig beim Zuhören beobachten kann."
    Musikerin mit Instrumenten in einem Saal des Schlosses in Köthen.
    Jedes Konzert dauerte etwa eine Dreiviertelstunde und wurde mindestens dreimal gegeben (Deutschlandradio / Claus Fischer)
    Im historischen Spiegelsaal des Köthener Schlosses, in dem Bach einst mit seiner Hofkapelle musizierte, wagte Folkert Uhde ein spannendes Experiment. Es gab nur einzelne Sitzplätze im Abstand von drei Metern, auch Ehepaare durften nicht zusammen sitzen. Das Ergebnis war frappierend, denn die letzten zwei Minuten vor Konzertbeginn herrschte eine Stille, die man sonst so gut wie nie erlebt. Als die großartige Geigerin Isabelle Faust die ersten Töne spielte, wurde eindrücklich klar: Musik wird aus der Stille geboren.
    Neben Isabelle Faust begeisterte die tschechische Sopranistin Hana Blažíková das Publikum der Bachfesttage. Im modernen Johann-Sebastian-Bach-Saal mit seiner exzellenten Akustik sang sie Bachs Solokantate "Mein Herze schwimmt im Blut", begleitet vom festivaleigenen Barockorchester, dem wunderbar transparent und inspiriert spielenden "Bach Collectiv".
    Das Aufführungskonzept - ein Modell für andere Festivals
    Für Hana Blažíková war der Auftritt in Köthen der erste außerhalb Tschechiens nach dem Lockdown und schon deshalb ein besonderer.
    "Und dann kommt noch dazu: Es ist immer speziell, ein Werk dort aufzuführen, wo der Komponist gelebt und gearbeitet hat, wo die Musik entstanden ist. Hier gehört diese Musik hin!"

    Im Programm des Festivals fanden sich auch zwei italienische Kantaten von August Stricker, dem Vorgänger Bachs im Amt des Köthener Hofkapellmeisters, aufgeführt vom rumänisch-deutschen Countertenor Valer Sabadus.
    "Und dann haben wir auch noch von dem Konzertmeister der Köthener Hofkapelle Joseph Spieß ein Konzert gefunden."
    Erzählt Folkert Uhde.
    "Ein Violinkonzert! Das hat der Leipziger Musikwissenschaftler und Bachforscher Michael Maul entdeckt und uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Und dieser Joseph Spieß ist wahrscheinlich derjenige gewesen, der die Bachschen Violinkonzerte hier in Köthen uraufgeführt hat."
    Das Violinkonzert von Joseph Spieß hat wenig von der Genialität Bachs. Dennoch war die Aufführung ein großartiges Erlebnis - dank des "Bach Collectivs" und dessen brillanter Konzertmeisterin Midori Seiler.
    "Es gibt sozusagen nichts von der Stange, sondern eigentlich nur Dinge, die hier entstehen."

    So bringt Intendant Folkert Uhde sein dramaturgisches Konzept auf den Punkt – und das ging absolut auf. Es wurde deutlich, dass Ideen, die aus der Not geboren wurden, auch Potenzial für die Zukunft haben. Konzerte von etwa 45 Minuten Dauer mit rund 50 Zuhörern, die mehrfach wiederholt werden, sind in jedem Fall ein Modell auch für andere Festivals. Vorausgesetzt aber, dass die Intendanz und die Künstler ein Einvernehmen finden über die adäquate Bezahlung, wie es in Köthen wohl der Fall war. Die Pianistin Ragna Schirmer stellte nach ihren fünf Auftritten mit Bachs Goldbergvariationen fest:
    Zuhörer in einem historischen Saal des Köthner Schlosses bei einem Konzert der Bachfesttage.
    Nähe trotz Sicherheitsabstand: nur einzelne Sitzplätze, hochkonzentrierte Zuhörer (Deutschlandradio / Claus Fischer)
    "Dass wir trotz dieser schwierigen Situation mit Abstandsregeln durch Musik eine Nähe herstellen."