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Kohle verstromen ohne Bergbau

Die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt lassen die deutsche Kohle wieder attraktiver werden. Insbesondere für die Energiegewinnung erscheint sie vielen Politikern unverzichtbar. Aber gerade bei der Stromerzeugung wird sehr viel Kohlendioxid freigesetzt. Forscher der RWTH Aachen haben ein altes Verfahren wieder aufgegriffen, das die Kohleverstromung ohne CO2-Ausstoß ermöglichen soll.

Von Ingo Wagner | 24.10.2008
    Nun geht es mehr als 1000 Meter unter die Erde. Für die Kumpel von der Zeche Prosper-Haniel bei Bottrop ist das der tägliche Weg zur Arbeit. Deutschlands Stromerzeugung hängt zu mehr als 50 Prozent an der Kohle. Für Wirtschaft und Verbraucher ist sie daher unverzichtbar. Durch den Klimawandel und die Diskussion um das Treibhausgas Kohlendioxid sind aber die Kohlekraftwerke in den vergangenen Jahren in die Kritik geraten - sie gelten als wahre Kohlendioxidschleudern.

    Forscher der RWTH Aachen wollen die deutschen Kohlevorkommen umweltfreundlicher nutzen: Sie wollen die Energie direkt aus der Kohle im Berg gewinnen, ohne dass dabei Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt. Dabei nutzen sie ein Verfahren, das auf weit über hundert Jahre alte Pläne zurückgeht, erklärt Thomas Kempka vom Lehrstuhl für Ingenieurgeologie und Hydrogeologie:

    "Das Projekt basiert im Grunde auf einer sehr alten Idee, die schon in den 1860er Jahren entstanden ist. Damals wurde untersucht, inwiefern man die spontanen Kohlebrände unter Kontrolle kriegen kann oder sogar energetisch nutzen."

    Diese spontanen Kohlebrände machten damals dem Bergbau schwer zu schaffen: Denn durch den Kontakt mit Luft kann sich Kohle leicht entzünden. Die Idee, diese Brände zur Energiegewinnung zu nutzen, hatte ursprünglich der Ingenieur und Erfinder Sir William Siemens, ein Bruder von Werner von Siemens. Auch der russische Chemiker Dimitri Mendelejew, der Vater der russischen Ölindustrie, entwickelte ein Konzept. Aber für den damaligen Stand der Technik war das Verfahren viel zu aufwendig. Und das galt bis in die jüngste Vergangenheit, so der Ingenieur Thomas Kempka:

    "Allerdings war diese Technologie, als sie damals in den 80er Jahren untersucht wurde, noch nicht wirtschaftlich und konnte damals noch nicht mit der Steinkohle und der Kernenergie konkurrieren, was mittlerweile der Fall ist, wie unsere neusten Berechnungen ergeben haben. "

    Wirtschaftlich geworden ist das Verfahren durch große Fortschritte bei der Erschließung. Bohrungen in großen Tiefen sind heute viel weniger kostspielig als noch vor einigen Jahren. Das Verfahren, an dem die Forscher im Auftrag des Bundesforschungsministeriums und der Deutschen Forschungsgemeinschaft arbeiten, ist im Grunde ganz einfach: Ähnlich wie bei Ölbohrungen werden die Kohlevorkommen direkt von der Erdoberfläche aus angebohrt: Durch die Zuführung von Sauerstoff und Wasserstoff wird die Kohle entzündet. Dabei entsteht Gas, das an die Oberfläche geleitet wird und dort Turbinen antreibt. Die Gasturbinen erzeugen dann Strom. Durch diese Form der Energiegewinnung kann man auf Stollen und Schächte wie beim klassischen Bergbau verzichten. Auch Kohlekraftwerke würden dann überflüssig.

    Allerdings gibt es immer noch ein Problem: Auch bei der Vergasung der Kohle unter Tage entsteht Kohlendioxid. Aber für die Entsorgung des Treibhausgases haben sich die Forscher etwas einfallen lassen, so der Ingenieur Tomas Ferndez-Steeger:

    "Das neue an dem Projekt ist, dass wir das Kohlendioxid, das bei diesem Prozess entsteht, nicht mehr in die Atmosphäre entlassen wollen, sondern wieder in die zuvor vergasten Kohleflöze einführen wollen und dort dauerhaft speichern wollen. "

    Aber Umweltschützer bezweifeln, dass es überhaupt möglich ist, Kohlendioxid dauerhaft unter Tage zu speichern. Das Treibhausgas müsste schließlich für tausende von Jahren dort sicher gelagert werden. Selbst bei kleinsten Lecks, so Experten vom BUND, wäre alles vergebens und der Aufwand nicht mehr zu rechtfertigen. Dem halten die Aachener Forscher entgegen, dass schließlich auch natürliche Gasvorkommen für unendlich lange Zeit unter Tage lagern, ohne dass Gas austreten würde. Die Sicherheit der Kohlendioxidspeicherung unter Tage soll jetzt genau untersucht werden:

    "Wir müssen also die Techniken noch mal erproben, denn hier erwartet auch jeder zu Recht von uns eine hohe Sicherheit. Man möchte nicht das Versuchskaninchen sein, sondern wenn so etwas umgesetzt wird, muss auch eine entsprechende Sicherheit gewährleistet sein. "

    Und das bedeutet, dass es noch mehrere Jahre dauern wird, bis die erste Anlage den Betrieb aufnehmen kann. Das wirtschaftliche Potential dieser Technologie ist jedenfalls enorm. Denn damit könnte man auch Kohlevorkommen für die Stromerzeugung nutzen, die für den herkömmlichen Bergbau viel zu weit unter der Erde liegen. Noch in 4000 Meter Tiefe können Kohlevorkommen mit dieser Technik angebohrt werden, so Thomas Kempka:

    "Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft könnten wir damit unsere Energieversorgung für die nächsten vier- bis fünfhundert Jahre sichern. "

    Bevor diese Technologie aber zum Einsatz kommen kann, muss bewiesen werden, dass die Endlagerung des Kohlendioxids unter Tage wirklich funktioniert. Daran arbeiten die Aachener Wissenschaftler zur Zeit. In rund zwei Jahren wollen sie ihre Ergebnisse dem Bundesforschungsministerium und der Deutschen Forschungsgemeinschaft präsentieren.