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Kollektiver Enthusiasmus

Jubelchöre, Massenandrang, Begeisterung - der Besuch des Papstes in Bayern hat eine ganze Region fasziniert. Für den Philosophen und Kulturwissenschaftler Rüdiger Safranski steckt in diesem Enthusiasmus die Sehnsucht nach vorbildhaften Helden, nach Außer-Alltäglichkeit und Erhabenheit. Der Papst verkörpere für ihn eine Verbindung zwischen Spiritualität und Rationalität.

Moderation: Stefan Koldehoff | 13.09.2006
    Stefan Koldehoff: Der offizielle Teil des Papstbesuches in Deutschland ist beendet. Den heutigen Tag verbringt der private Josef Ratzinger mit seinem Bruder in Regensburg. Morgen Mittag dann fliegt Benedikt XVI. von München aus wieder nach Rom und in den Vatikan. Als er zum ersten Mal in Deutschland war, zum Weltjugendtreffen in Köln, da war man überrascht über die Begeisterung, die diesem Papst in seiner Heimat entgegengebracht wurde. Erklärt hat man sie damals unter anderem mit der gerade erst stattgefundenen Wahl und dem Umstand, dass dieser Pontifex ein Deutscher ist, mit dem Wir-sind-Papst-Gefühl also. An der Euphorie allerdings hat sich seither nicht viel geändert. Jubelchöre auch beim aktuellen Besuch allüberall. Frage an de Philosophen und Kulturwissenschaftler Rüdiger Safranski: Erstaunt Sie das?

    Rüdiger Safranski: Nein, eigentlich nicht. Die gesellschaftliche Erregung - man hat ja trainiert in der Fußball-WM - und es ist so eine Bereitschaft der Erregung und auch der Euphorie, die jetzt auch diese Gelegenheit sucht, um sich selber zu vitalisieren.

    Koldehoff: Das würde im Umkehrschluss bedeuten, wer da steht und wem man da zujubelt, ist eigentlich egal. Das kann Klinsmann sein, das kann der Papst sein.

    Safranski: Nein, so würde ich das dann doch nicht sagen. Also diese Begeisterung für den Papst, das ist wirklich eine Angelegenheit, wo so viele Elemente mit drin stecken. Was ich jetzt eben genannt habe ist ein ganz profanes Element. Religion ist ja auch - in der Vergangenheit war sie so stark, weil sie der Gesellschaft das Gefühl gab, an einem identischen Punkt erregt und mitgerissen zu sein. Wenn die Religion insgesamt jetzt nachlässt, so sucht sich diese Form, dass die Gesellschaft sich als ganze als etwas fühlt, sucht sich andere Anknüpfungspunkte. Und so ist es ein Wille zum kollektiven Enthusiasmus, der sich darin ausdrückt.

    Und darin wiederum steckt schon auch eine Sehnsucht nach, ja, ich würde schon sagen, nach Erhabenheit, nach Außer-Alltäglichkeit. Also alles Aspekte, die im strengen Sinne wir eigentlich nicht unter Religion verbuchen würden. Aber diese Gefühle spielen hier eine Rolle. Also die Sehnsucht nach Helden, nach Helden, die jetzt nicht martialisch sind, sondern vorbildhaft, die etwas verkörpern, in denen sich Sehnsüchte auch widerspiegeln können. Ein gelungener Mensch, eine Verbindung von Geistigkeit und Höflichkeit und Bescheidenheit sogar, ja, also was wir auch Charisma nennen. Das alles, die Sehnsucht danach, spielt eine Rolle.

    Koldehoff: Es ist ja durchaus mit Erstaunen aufgenommen worden, dass der Papst bei diesem Deutschlandbesuch den Schwerpunkt auf dem spirituellen Erleben sieht. Nicht etwa auf intellektuellen Erkenntnissen, die mit Religion in Zusammenhang stehen könnten, sondern eben auch auf dem spirituellen Gemeinschaftserlebnis. Ist das etwas Anti-Aufklärerisches, dem sich da die Massen hingeben, oder ist man einfach gefangen, wie Sie gerade gesagt haben, vom Charisma, mit dem das vermittelt wird?

    Safranski: Die Aufklärung und die Rationalität erfasst ja doch nur ein sehr, sehr schmales Segment unserer Existenz. Wir sind, in der Hauptsache sind wir natürlich nicht-rationale Wesen, das muss man ja sagen. Und es kommt nun alles darauf an, wie diese nicht-rationale Seite, aus der wir bestehen, wie sie gebündelt wird, wie sie sich ausdrückt, wie sie sich verwirklicht. Und die Gefahr, die es da gibt, eines gefährlichen Irrationalismus, die kennen wir ja aus einer blutigen Geschichte.

    Und wir müssen natürlich froh sein, wenn diese ganzen nicht-rationalen Bereiche des Menschen in einer Weise widergespiegelt und konzentriert werden, die selber etwas Gemeinschaftsdienliches, etwas Erhebendes, etwas, im positiven Sinne Zivilisierendes hat. Und so ein Papst wie der gegenwärtige, der ja selber ein ausgebuffter Theologe ist und auf der Ebene der Religion ein großer Rationalist zugleich, der verkörpert eine Verbindung zwischen Spiritualität und Rationalität würde ich sagen. Das ist eine ganz interessante Verbindung.

    Koldehoff: Ihr Kollege Spähmann hat einen weiteren Aspekt noch mit in die Diskussion geworfen. Er hat gesagt, je stärker die tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung durch den Islam und Islamismus zu sein scheint, desto stärker rückt das Christentum dann auch zusammen. Stimmt das?

    Safranski: Ja, da ist sicher schon etwas dabei. Also man versucht sich seiner eigenen religiösen Traditionen zu vergewissern, die ja auch nicht ganz ohne waren. Das Christentum hat ja auch eine sehr brachiale und martialische Vergangenheit zum Teil. Aber auf dem Boden des Christentums hat es auch selbst dies gegeben, die Zivilisierung der Religion, das muss man schon sagen, die Zivilisierung der Religion, die dadurch mehr ihre fruchtbaren Seiten entfalten kann und nicht ihre barbarischen. Religionen können ja auch gemeingefährlich sein und man hat ja - beim Islamismus wird einem das ja vorexerziert, zu welchen brutalen Versionen eine pervertierte Religiosität auch in der Lage ist.

    Koldehoff: Welche Rolle spielen bei dieser kollektiven Selbstvergewisserung, wenn wir das einmal so nennen wollen, Riten, Rituale, Zeichen? Der Papst hat aufgerufen: Betet morgens und abends wieder mit euren Kindern, geht wieder in den Gottesdienst. Wie wichtig ist so etwas?

    Safranski: Na ja, mit anthropologischem Blick gesprochen ist es ja so, dass der Mensch ein Wesen ist, das sich überhaupt nur halten kann in rituellen Formen. Wir sind ja - unser Leben ist voller ritueller Formen. Und die katholische Kirche - im Unterschied zur protestantischen, in der ich groß geworden bin - die katholische Kirche hat mit ihrem Elefantengedächtnis der 2000-jährigen Tradition auch sehr viele anthropologische Klugheiten gesammelt.

    Und sie hat begriffen, dass das Ritual, dass die Versinnlichung des Spirituellen, die Vergegenständlichung des Spirituellen, eine ganz große Bedeutung hat. Die Protestanten mit ihrer Bibelfrömmigkeit - das Wort ist nicht abendfüllend, auch religiös nicht. Also rein diese Wortbezogenheit, rein über die Predigt, rein über die Moral - das alles deckt nur einen ganz kleinen Teil der religiösen Sehnsucht ab.

    Koldehoff: Wir erreichen Sie im Moment in München. Der Papst war ganz bei Ihnen in der Nähe. Sind Sie hingegangen, haben Sie sich das angekuckt?

    Safranski: Hier in der Nähe zog er ja vorbei. Und ich bin an die Straße gegangen, es waren nicht so viele da wie bei der Fußballweltmeisterschaft, aber es waren an diesem sonnigen Tag auch viele Leute da und die warteten. Ich wollte mir doch eigentlich mehr die Leute ankucken, in ihrer Erwartung, und das war dann schon interessant. Diese Leute, die man in Schwabing auch trifft, mit Nasenring und Tätowierung und so weiter und recht wild, auch die standen da und warteten auf den Heiligen Vater. Heiligs' Blechle, sagen die Schwaben dann, habe ich mir dabei gedacht.

    Koldehoff: Ein Schwabe in Bayern über den Bayern in Rom. Der Philosoph Rüdiger Safranski war das, über den Papstbesuch in Deutschland.