Donnerstag, 25. April 2024

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Koloniale Raubkunst zurück in Benin
"Die Seele des Landes kehrt zurück"

Statuen, Thronsitze, Palasttore und religiöse Gegenstände – Frankreich hat erstmals Koloniale-Raubkunst an das Herkunftsland Benin zurückgegeben. Die Rückkehr der Artefakte sei wie eine Wiedergeburt, sagte die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy im Dlf. Es sei ein erster Schritt zu "Kulturerbe-Gerechtigkeit".

Bénédicte Savoy im Gespräch mit Susanne Luerweg | 11.11.2021
Ein Lastwagen mit den Artefakten wird von Soldaten in Benin bewacht
Ein Lastwagen mit zurückgegebenen Artefakten kommt am Präsidentenpalast in Cotonou an (YANICK FOLLY / AFP)
Mit einer feierlichen Zeremonie und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurden die 26 zurückgegebenen Kunstgegenstände in Benin in Empfang genommen. Die Artefakte trafen per Flugzeug in der Hauptstadt Cotonou ein und wurden in drei Lkws, begleitet von einer Pferde-Eskorte, in den Präsidentenpalast gebracht. Auf den Straßen drängten sich hunderte Menschen, die aus dem ganzen Land angereist waren, um einen Blick auf die teilweise als heilig geltenden Kulturgüter zu erhaschen.
Der Ausschnitt aus einer Reproduktion des "Katalanischen Atlas" von 1375 zeigt den König von Mali, Mansa Musa, auf einem Thron sitzend
Afrikas Geschichte - Karawanen, Macht und Gold
Afrikanische Geschichte – dabei denken wir an die Wiege des Homo sapiens, an Pharaonen, an die Kolonialzeit. In den Jahrhunderten dazwischen herrschten in Afrika mächtige Könige. Dass wir von ihnen nichts wissen, liegt am kolonialen Geschichtsverständnis.
Bei den 26 Objekten handelt es sich um hölzerne Statuen, mit Schnitzereien verzierte Thronsitze, Palasttore mit Reliefs und religiöse Gegenstände, die französische Kolonialsoldaten Ende des 19. Jahrhundert bei der Eroberung des Königreichs Dahomey gestohlen hatten. Mit der Restitution hat Frankreich eingelöst, was Präsident Emmanuel Macron 2017 versprochen hatte: binnen fünf Jahren erste afrikanische Kulturgüter zurückzugeben.
Dies sollte auch dabei helfen, die Beziehungen zu afrikanischen Ländern auf eine neue Grundlage zu stellen. In französischen Museen befinden sich etwa 90.000 Kunstgegenstände aus afrikanischen Ländern. Viele von ihnen wurden während der Kolonialzeit entwendet. Nach Schätzungen von Experten befinden sich bis zu 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes außerhalb des Kontinents. Sechs afrikanische Länder haben seit 2019 Rückgabeforderungen an Frankreich gestellt.
Hunderte Menschen stehen am Straßenrand und bejubeln den Transport der Kulturgüter
Hunderte Menschen jubelten dem Transport der Kulturgüter zu (IMAGO / Xinhua)
Die Rückgabe der ersten 26 Kunstgegenstände sei "ein erster Schritt in eine andere Art der Kulturerbe-Gerechtigkeit", sagte die in Berlin lehrende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy im Dlf. Das Benin anläßlich der ersten Restitution weitere zentrale Objekte zurückfordere, sei keine bissige Bemerkung gewesen, sondern "die Bestätigung, dass dieser erste Schritt einen Modellcharakter hat". Sie sei sich sicher, dass die Rückgaben geordnet und in der bisherigen Eintracht weitergehen werden.
Große königliche Statuen des Königreichs Dahomey aus den Jahren 1890-1892 im Quai Branly Museum-Jacques Chirac im Jahr 2018. Dahomey war ein westafrikanisches Königreich, aus dem die heutige Republik Benin hervorgegangen ist. Kein Geschenk, sondern Beutekunst behauptete die beninische Regierung schon damals.
Rückgabe von Raubkunst - "Entscheidung von großer Bedeutung"Frankreich hat die Rückgabe von Raubkunst beschlossen. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy begrüßte diesen Schritt. Die nationalistische Geschichte europäischer Museen ist für sie aber noch lange nicht aufgearbeitet.
Die Kunsthistorikerin Savoy hatte 2018 gemeinsam mit dem Senegalesen Felwine Sarr einen Bericht veröffentlicht, der die Grundlage für die Rückgaben schuf. 2020 verabschiedete die französische Nationalversammlung ein Gesetz, um den gesetzlichen Rahmen zu schaffen.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Susanne Luerweg: Wie genau lief die Ankunft der Kunstwerke in Cotonou ab?
Bénédicte Savoy: Das war überwältigend. Das war ein Empfang draußen, unter dem Himmel Cotonous, also in der Republik Benin, das ist das kleine Land zwischen Nigeria und Togo, und die Objekte kamen per Flugzeug aus Paris. Sie wurden begleitet vom Flughafen zum Präsidialpalast durch Pferde, durch traditionelle Reiter. Ein Objekt - das sind sehr großformatige königliche Statuen, zwei Meter hoch, 200 Kilogramm pro Stück - ein Thron wurde aus dem einen Lkw in seiner Kiste rausgebracht, und um diese Kiste herum fanden traditionelle Tänze statt aus verschiedenen Gegenden von Benin. Kinder haben gesungen.
Benin feiert die Ankunft der von Frankreich zurückgegebenen Kunstwerke, die während der Kolonialzeit im 19. Jahrhundert geraubt worden waren
Feierliche Zeremonie zur Ankunft der von Frankreich zurückgegebenen Kunstwerke (imago/Xinhua/Seraphin Zounyekpe)
Es war überwältigend, eine starke Emotion. Das Ganze war deswegen in Kisten, weil diese Objekte nach 130 Jahren Pariser Luft sich reaklimatisieren müssen. Das Holz, aus dem sie gemacht sind, darf noch nicht direkt mit den klimatischen Bedingungen hier wieder in Kontakt gebracht werden. Sie werden für zwei Monate in einer Kammer bleiben, in einem Raum bleiben in ihren Kisten, wo sie sich reaklimatisieren. Und im Januar wird dann eine riesige Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst zusammen gezeigt.

"Wie eine Wiedergeburt"

Luerweg: Genau, sie müssen sich akklimatisieren, ist deutlich wärmer da, wo sie jetzt wohnen werden, und Sie erzählen das gerade so, diese Rückkehr, die war auch emotional sehr aufgeladen. Können wir uns in Europa überhaupt vorstellen, was die Rückkehr dieser Arbeiten für die Menschen vor Ort in Benin bedeutet?
Savoy: Wir sind begabt mit Vorstellungskraft, und ich glaube, wir können uns das vorstellen, wenn wir darüber sprechen und darüber berichten. Es ist erstaunlich, wie wenig in den deutschen Medien von diesem Weltereignis in den letzten Tagen berichtet wurde. Die Statuen, die zurückkommen, sind, wie manche das hier formuliert haben, die Seele des Landes, die Seele kehrt zurück. Das ist auf jeden Fall das kulturelle Erbe eines Königreichs, das durch die französische Armee 1892 vernichtet wurde, geplündert wurde. Seitdem gab es keinen Kontakt der Menschen in der Republik Benin zu diesem materiellen Erbe. Das ist etwas, wie wenn, was weiß ich, wie die Krone von Karl dem Großen seit 130 Jahren oder länger noch in Asien wäre oder in Frankreich, das ist unvorstellbar.
Raubkunst-Bronzen aus dem Land Benin in Westafrika sind im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) in einer Vitrine ausgestellt
Kulturstaatsministerin Grütters: "Maximal offen für Rückgaben"
Ab 2022 sollen deutsche Museen die geraubten Benin-Bronzen wieder an das Herkunftsland Nigeria zurückgeben. "Es sind schwierige und hochpolitische Fragen", sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Dlf.
Und diese Verbindung mit diesen Objekten, die war am laufen gestern. Es begann, es war sehr rührend, und es wird weitergehen. Es ist nicht nur eine spirituelle Wiederaneignung, sondern auch eine wissenschaftliche. Ich bin gerade rausgegangen aus einer Tagung, wo Wissenschaftler sich Fragen der wissenschaftlichen Wiederaneignung dieses Erbes stellen. Sie werden museal wieder inszeniert. Es sah aus, aus meiner Perspektive gestern, wie eine Wiedergeburt von großen Gegenständen, die ein neues Leben haben oder durch diese 130 Jahre in Paris auch etwas anders geworden sind, als sie waren. Sie kommen verändert zurück, aber das sind immer noch die eigenen Kinder. Und wenn die eigenen Kinder, was weiß ich, 20 Jahre zum Beispiel in den USA waren und verwandelt zurückkommen, bleiben das die eigenen Kinder, und das hat man richtig gespürt hier.
Luerweg: Das heißt, man erkennt sie, um im Bild zu bleiben, immer noch wieder, die eigenen Kinder, denen ja im Falle dieser Kunstwerke – also es gibt den Thron von König Ghezo beispielsweise, Zepter, tragbare Altäre, da sind ja eben auch sakrale Arbeiten dabei, denen werden ja magische Kräfte zugewiesen. Die sind jetzt nicht abgenutzt durch die 130 Jahre in Gefangenschaft, in Anführungsstrichen, in Frankreich.
Savoy: Es ist interessant zu sehen, dass es nicht nur um diese eine Lesart dieser Objekte ging gestern, und das ist vielleicht das, was wir erzählen und immer wieder erzählen müssen. Diese Objekte kommen mit vielen Möglichkeiten zurück. Manche sehen tatsächlich die magischen Kräfte oder die königliche Potenz dieser Objekte wieder, dieser großen, großformatigen, spektakulären Tiermenschen-Statuen. Aber andere sagen, nein, hauptsächlich wegen ihrer Form, wegen ihrem Design sind das sehr interessante Objekte für uns heute et cetera, et cetera. Es gibt eine Vielfalt von Bedeutungen, nicht nur diese eine spirituelle Lesart, und das macht das Thema so unglaublich offen und auch als großes Potenzial für eine neue Zukunft.

"Erster Schritt in eine andere Art der Kulturerbe-Gerechtigkeit"

Luerweg: Sie haben ja in einem Interview gesagt, die Rückgabe wird die Welt verändern, es wird ein Vorher und ein Nachher geben, also Sie haben es mit dem Fall der Berliner Mauer verglichen. Ist dieses Gefühl tatsächlich so gewesen gestern und auch heute vermutlich noch?
Savoy: Das ist absolut so, und wir merken an allen Diskussionen, zahlreichen Diskussionen, die wir in den letzten Tagen geführt haben, dass die Fragen von vorgestern gar nicht mehr funktionieren jetzt. Allein die Art und Weise, wie wir über Restitutionen sprechen, ist von gestern, und was absolut neu geworden ist, ist, dass eben die juristischen Schranken, die das verhindert haben 130 Jahre, weg sind. Das heißt, die Menschen haben sich ein neues Recht gegeben, in Frankreich jetzt zunächst, um solche Rückgaben möglich zu machen, und das ist ein erster Schritt in eine andere Art der Kulturerbe-Gerechtigkeit, wenn man so will, auf globaler Ebene. Es wird weitergehen, und es wird in Frieden weitergehen, und das ist extrem wichtig.
Plakat in Benins Hauptstadt Cotonou kündigt die Ankunft der von Frankreich zurückgegebenen Kunstwerke an, die während der Kolonialzeit im 19. Jahrhundert geraubt worden waren
Die Ankunft der Kunstgegenstände war auf großen Plakaten angekündigt worden (imago/Xinhua/Seraphin Zounyekpe)
Normalerweise in der Geschichte finden Restitutionen mit Waffen statt, also man holt sich seine Kunst oder sein Kulturerbe zurück mit Gewalt. Hier ist alles in großem Frieden, Eintracht und auch mit großer Intelligenz und Liebe auf beiden Seiten zugegangen, und das merkt man jetzt die ganze Zeit. Juristisch, ideologisch, politisch sind alle Schranken auch psychologisch offen jetzt für solche Rückgaben, und wenn man sieht, wie viele es schon bewegt heute und seit gestern hier in Benin, in Cotonou, dann kann man sich nur freuen und noch mehr hoffen, dass solche Ereignisse passieren werden hier in diesem sehr kleinen afrikanischen Land, das alles seit mehreren Jahren darauf organisiert, dass es gut läuft.
Es werden Kuratorinnen und Kuratoren ausgebildet, so etwas dauert seine Zeit, aber die jungen Leute sind da, wir haben sie getroffen. Die Museen sind entstanden, das Know-how ist da, also es ist einfach überwältigend und ein Augenblick der geteilten Freude.

Erster Schritt mit Modellcharakter

Luerweg: Das heißt, die Werke werden gut aufgehoben wieder in ihrer Heimat ausgestellt werden können irgendwann. Das klingt alles sehr freudig, gab es gar keine frostigen Untertöne, also den Hinweis darauf, dass das ja nun mal erst der Anfang ist?
Savoy: Es war freudig, es war aber auch ernst, vor allem sehr harmonisch. Das hat mich sehr überwältig, das hat mich nicht überrascht oder überrascht insofern, als wir in Europa immer wieder sagen, ja, es wird jetzt Spannungen geben, jetzt kommt die nächste Katastrophe et cetera. Da war nichts davon zu spüren. Natürlich sagt die Republik Benin, das ist nicht alles, was wir wollen, es gibt noch weitere zentrale Objekte, die wir haben wollen, darunter eine große eiserne Statue, die im Musée du Louvre sich befindet. Die ist dem Gott Gu, dem Gott des Krieges gewidmet, ein Gott, der hier heute in der Region nicht nur in Benin, auch in Nigeria und in Togo eine große Rolle spielt.
Auch das hätte die beninische Republik gerne, aber die Gespräche laufen jetzt, und alle juristischen Schranken sind aufgehoben. Deshalb war das keine bissige Bemerkung, sondern nur die Bestätigung, dass dieser erste Schritt einen Modellcharakter hat, und das wird geordnet und in dieser Eintracht ganz sicher weitergehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.