Dass die "Wiener Festwochen" die Tür weit aufmachen für neue, politische Spielweisen und für das außereuropäische Theater, gehört sicher zu den Stärken des Festivals. Man nimmt dabei allerdings in Kauf, dass - im Sinne einer Materialsammlung - die unterschiedlichsten Theaterformen einfach aufeinanderprallen. Mit dem flotten Gebrauchs-Theater etwa der kolumbianischen Gruppe "La Maldita Vanidad" wird sich der westliche Theatergänger viel problemloser anfreunden können als mit Dieudonné Niangounas "Le socle des Vertiges" ("Das Fundament des Taumels") aus dem Kongo, das die Zuschauer mit einem Marathon-Ritual auf eine harte Probe stellte.
Niangouna und sein Ensemble "Les Bruits de la Rue" ("Straßenlärm") kommen aus Brazzaville, und ihre Vorstellung im Wiener Schauspielhaus in der Porzellangasse, gleich neben dem Freud-Haus, glich einer Art Teufelsaustreibung. Die fröhliche afrikanische Musik täuscht: hier findet eine Generalabrechnung mit dem Kolonialismus statt, und hier wird – mithilfe der in den frankofonen Ländern verbreiteten pathetischen Polit-Lyrik – emphatische Trauerarbeit geleistet, die phasenweise in große Beschimpfungs-Tiraden mündet.
Als notdürftige Handlung dient die Geschichte zweier Brüder, die dieselbe Frau lieben und sich auf die Suche nach der eigenen Vergangenheit machen, die natürlich auch die von Gewalt, Korruption, Folter und Misswirtschaft geprägte Vergangenheit des Kongo ist. In einem kaum erträglichen Schlachthaus-Video wird uns klargemacht, dass wir es hier mit einem ausblutenden Land zu tun haben. Im Grunde ist die Vorstellung selber ein großer Taumel, ein Voodoo-Ritual, aggressiv und laut, körperlich und verzweifelt; eine Predigt, ein authentisches Ereignis, das den Zuschauer stundenlang festbindet, weil man so viel zu sagen hat und alles gleich, sofort, hier, jetzt sagen muss.
Solcherart gestählt, kann den Festivalbesucher nun nichts mehr schrecken – obgleich die Gruppe "La Maldita Vanidad" aus Bogotá ihre "Familien"-Trilogie mit einem mörderischen Stück beginnt. Gleich am Anfang flackert unheilvoll die Neonröhre in der Küche einer Studenten-WG, die, so wird sich bald herausstellen, gerade ihren Vermieter umgebracht hat. Nun hat man die Leiche am Hals und muss sich zudem einer fürsorglichen Putzfrau erwehren (in Kolumbien scheinen Männer nie zu putzen), die natürlich auch das Bad säubern will – aber da liegt der tote Wohnungsinhaber.
Der Autor und Regisseur Jorge Hugo Marín, der die Gruppe leitet, ist wirklich ein Meister der knappen Dialoge: in diesem nur einstündigen Kurzdrama wird ziemlich präzis von den ganz normalen Verformungen junger Leute berichtet, die in einer von der Drogen-Mafia kontrollierten Großstadt aufgewachsen sind und nun selber, zeitweise gehindert von einem moralischen Rest-Gewissen, zu Messer und anderen Waffen greifen. In einer Dramaturgie der geschlossenen Türen wird das Stück bis zu einem blutigen Höhepunkt hochgedreht- das ist Psychorealismus vom Feinsten.
In den beiden darauf folgenden Teilen der Trilogie stellt sich dann freilich heraus, dass die Gruppe ein zwar politisches, vor allem aber sehr unterhaltsames High-Speed-Dialogtheater betreibt, wie es bei uns von Film und Fernsehspiel abgedeckt wird. Im zweiten Teil sitzen wir vor einer Wohnzimmer-Fensterfront und lauschen dem Disput zweier Brüder, die sich über die Pflege der altersschwachen Mutter nicht einigen können. Die Ehefrauen der beiden führen unterschiedlichste Argumente an, warum man die alte Dame vom Hals haben will – und die löst das Problem im Nebenzimmer auf ihre Art: sie erhängt sich.
Solche bösartigen Volten sind im letzten Stück, das die Vorbereitungen eines Mafia-Familienfests sarkastisch ausmalt, dann nicht mehr zu erwarten. Aber wir erfahren viel über die Denkweisen dieses Milieus, wir sehen virtuose Schauspieler – und wissen am Ende, dass das kritische kolumbianische Unterhaltungs-Theater von der europäischen Fernsehsoap gar nicht so weit entfernt ist.
Niangouna und sein Ensemble "Les Bruits de la Rue" ("Straßenlärm") kommen aus Brazzaville, und ihre Vorstellung im Wiener Schauspielhaus in der Porzellangasse, gleich neben dem Freud-Haus, glich einer Art Teufelsaustreibung. Die fröhliche afrikanische Musik täuscht: hier findet eine Generalabrechnung mit dem Kolonialismus statt, und hier wird – mithilfe der in den frankofonen Ländern verbreiteten pathetischen Polit-Lyrik – emphatische Trauerarbeit geleistet, die phasenweise in große Beschimpfungs-Tiraden mündet.
Als notdürftige Handlung dient die Geschichte zweier Brüder, die dieselbe Frau lieben und sich auf die Suche nach der eigenen Vergangenheit machen, die natürlich auch die von Gewalt, Korruption, Folter und Misswirtschaft geprägte Vergangenheit des Kongo ist. In einem kaum erträglichen Schlachthaus-Video wird uns klargemacht, dass wir es hier mit einem ausblutenden Land zu tun haben. Im Grunde ist die Vorstellung selber ein großer Taumel, ein Voodoo-Ritual, aggressiv und laut, körperlich und verzweifelt; eine Predigt, ein authentisches Ereignis, das den Zuschauer stundenlang festbindet, weil man so viel zu sagen hat und alles gleich, sofort, hier, jetzt sagen muss.
Solcherart gestählt, kann den Festivalbesucher nun nichts mehr schrecken – obgleich die Gruppe "La Maldita Vanidad" aus Bogotá ihre "Familien"-Trilogie mit einem mörderischen Stück beginnt. Gleich am Anfang flackert unheilvoll die Neonröhre in der Küche einer Studenten-WG, die, so wird sich bald herausstellen, gerade ihren Vermieter umgebracht hat. Nun hat man die Leiche am Hals und muss sich zudem einer fürsorglichen Putzfrau erwehren (in Kolumbien scheinen Männer nie zu putzen), die natürlich auch das Bad säubern will – aber da liegt der tote Wohnungsinhaber.
Der Autor und Regisseur Jorge Hugo Marín, der die Gruppe leitet, ist wirklich ein Meister der knappen Dialoge: in diesem nur einstündigen Kurzdrama wird ziemlich präzis von den ganz normalen Verformungen junger Leute berichtet, die in einer von der Drogen-Mafia kontrollierten Großstadt aufgewachsen sind und nun selber, zeitweise gehindert von einem moralischen Rest-Gewissen, zu Messer und anderen Waffen greifen. In einer Dramaturgie der geschlossenen Türen wird das Stück bis zu einem blutigen Höhepunkt hochgedreht- das ist Psychorealismus vom Feinsten.
In den beiden darauf folgenden Teilen der Trilogie stellt sich dann freilich heraus, dass die Gruppe ein zwar politisches, vor allem aber sehr unterhaltsames High-Speed-Dialogtheater betreibt, wie es bei uns von Film und Fernsehspiel abgedeckt wird. Im zweiten Teil sitzen wir vor einer Wohnzimmer-Fensterfront und lauschen dem Disput zweier Brüder, die sich über die Pflege der altersschwachen Mutter nicht einigen können. Die Ehefrauen der beiden führen unterschiedlichste Argumente an, warum man die alte Dame vom Hals haben will – und die löst das Problem im Nebenzimmer auf ihre Art: sie erhängt sich.
Solche bösartigen Volten sind im letzten Stück, das die Vorbereitungen eines Mafia-Familienfests sarkastisch ausmalt, dann nicht mehr zu erwarten. Aber wir erfahren viel über die Denkweisen dieses Milieus, wir sehen virtuose Schauspieler – und wissen am Ende, dass das kritische kolumbianische Unterhaltungs-Theater von der europäischen Fernsehsoap gar nicht so weit entfernt ist.