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Kolonialismus und Postkolonialismus im Mittelmeerraum

Auf dem Plakat zu den diesjährigen Rencontres d'Averroès erkennt man über dem Abdruck eines Armeestiefels im Sand den Schriftzug "Kolonialismus und Post-Kolonialismus im Mittelmeerraum". Der Titel klingt so, als wäre man sich noch nicht ganz klar, ob man im Jahr 2003 und dem anhaltenden Krieg im Irak noch mit den schicken, eleganten und irgendwie abgeklärten post-historischen Begrifflichkeiten der 90er Jahre operieren kann, oder ob man schon wieder in einer dreckigen, diesmal von den USA forcierten Kriegswirklichkeit gelandet ist, die man in Europa einer überwundenen Epoche zugehörig glaubte. Ist dieser neue Kolonialismus ein historischer Ausrutscher, eine vorübergehende Regression oder schon Menetekel einer Zukunft, die noch nach neuen Begriffen sucht? Und taugen nach der amerikanischen Landnahme im Mittleren Osten die alten Beziehungsmodelle im euro-arabischen, euro-mediterranen, euro-amerikanischen Verhältnis noch? Thierry Fabre, der Leiter der Veranstaltungsreihe, ist von einer neuen Herausforderung Europas überzeugt.

Eberhard Spreng |
    Um mit alten griechischen Begriffen zu reden: Der Hybris und dem Unmaß muss man Grenzen setzen. In diesem neuerlichen Irak-Krieg hat Europa die absolute politische Notwendigkeit der eigenen Existenz begriffen. Und verstanden, dass es sich die Mittel verschaffen muss, selbst für die eigene Sicherheit zu sorgen. Denn in der Geschichte hat es nie irgendeine politische Einheit gegeben, die die eigene Sicherheit einer fremden Macht übertragen hätte, ohne dadurch zu deren Vasallen zu werden.

    In dem Umfeld euro-mediterraner Sympathien, für die Thierry Fabre und die Rencontres d'Averroès stehen, ist es nicht erstaunlich, dass eine neue atlantischen Allianz, in der Amerikas Söhne des Mars für Krieg und Hard-Power, und Europas Töchter der Venus für Friedensmanagement und Soft-Power zuständig wären, gar nicht erst als Zukunftsmodell auch nur in Erwägung gezogen wurde. Natürlich möchten die Historiker, Anthropologen und Philosophen aus diversen Mittelmeeranrainerländern eben jenen in Jahrhunderten gereiften Beziehungsreichtum zwischen dem mediterranen Orient und Okzident, die oft geleugneten und doch unübersehbaren kulturellen Fühlungsvorteile zu einem tragfähigen Gegenmodell zum amerikanischen Imperium ausbauen. Aber da tut sich, als ein gewaltiges französisches Problem, die eigene Kolonialgeschichte auf. Wo die anderen drei der vier Debatten, mit vorbildlicher Vitalität und Stringenz geführt wurden, blieb die über Algeriens Dekolonisierungserfahrungen lang in öden Fragen der Methodologie und Quellenkunde hängen und vermied offensichtlich jeden Anlass zu einer Emotionalität, die noch heute dieser traumatischen Erfahrung der algerisch-französischen Hassliebe eigentlich entspräche. Algerien bleibt ein großer Stolperstein auf dem Weg zur Erlangung einer mit neuer Ethik und Glaubwürdigkeit ausgestatteten französischen Stellung in einer neuen Welt der Konflikte. In einer weiteren Debatte ging es um die Frage, welches Bild sich der europäischen Okzident vom orientalischen Anderen macht, angelehnt an den "Orientalismus", wie ihn Edward Said in seinem berühmten Werk beschrieben hat. Es wurde deutlich, wie sehr gerade der französische Kolonialismus im Kolonisierten immer zugleich auch den Bruden sehen wollte, wie im Ägyptenfeldzug Napoleons militärische und wissenschaftliche Interessen einher gingen, Macht also aus Wissen gewonnen werden sollte, aus einer Kenntnis des Anderen. Wo Frankreich, bis heute z.B. vor allem dank solcher detailreicher Kenntnisse, an der Elfenbeinküste durchaus eine Chance hat, friedenssichernd zu wirken, sind die USA in Somalia kläglich gescheitert und drohen nun, sich, den Irak und vielleicht die ganze Region zum Opfer ihrer verblüffenden Ahnungslosigkeit zu machen. Der Mililtär- und Sicherheitsexperte Dominique David:

    Die USA übt ihre Macht entlang eines Dreigespanns aus, das mit Über-Idelogisierung, Über-Militarisierung und Über-Technologisierung in Konflikte geht. Das bedeutet, dass die Bush-Administration auf den 11. September mit der Aufwertung von Ideologie reagiert, die wir in Europa nicht teilen, mit einem Militarismus, dem gegenüber wir sehr skeptisch sind und einer Technikgläubigkeit, die sich dadurch auszeichnet, dass man in der Bush-Regierung glaubt, dass jedes strategische Problem auf technologischer Ebene gelöst werden kann. Wir sehen ja, was im Irak dabei herauskommt, und es ist für uns natürlich leicht, darüber zu lachen.
    Elefant im Porzellanladen filigran vernetzter kultureller Beziehungen. So sieht Kalypso Nicolaidis, Professorin für internationale Beziehungen in Oxford, die amerikanische Politik und plädierte u.a. auch durch die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union, für eine weitere Entwicklungsstufe multikultureller Kompetenzen. Zwischen dem eben gehörten Militär- und der Zivilexpertin internationaler Beziehungen entbrannte in dieser Frage ein lebhafter Streit. Es ist der zwischen der Macht der Komplexität eines zivilen Großeuropa und der Gewalt eines auch militärisch schlagfähigen Kerneuropa. Aber als bei den Rencontres d'Averroès diese Inner-Europäischen-Debatte entbrannte, fühlte sich mancher Teilnehmer vom Südufer des Mittelmeers ein bisschen draußen vor der Tür. Jeweils etwa eintausendfünfhundert Zuhörer folgten den vier Debatten, aufmerksam, engagiert auch in ihren Nachfragen. Die Streitkultur im alten Europa könnte sich dieses Marseille zum Vorbild machen.