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Kolosseum als Biotop

Biologie. – Das römische Kolosseum gehört zu den eindrucksvollsten Hinterlassenschaften des Römischen Reiches. Doch es ist auch ein überraschend vielfältiges Biotop mitten in der lärmenden Metropole. Eine Biologin der Universität "La Sapienza" fordert jetzt sogar, das Bauwerk mit insgesamt 242 Tier- und Pflanzenarten als Naturschutzgebiet einzustufen.

    Von Thomas Migge

    Seit Jahrhunderten wird dieses Gebäude von Botanikern untersucht. Ich jedenfalls kenne kein anderes Bauwerk, das solange Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist. Kein anderer archäologischer Ort, weder in Italien noch im restlichen Europa, ist so lange auf seine Flora hin erforscht worden, die hier auf antiken römischen Ruinen wächst,

    erklärt Giulia Kahneva und hat den Direktor für die antiken Altertümer Roms, den Bürgermeister Walter Veltroni und den WWF-Italia aufgefordert, das Kolosseum zu einem schützenswerten Biotop zu erklären. Die an der römischen Universität "La Sapienza" lehrende Biologin setzt sich mit ganzer Kraft dafür ein, dass das berühmteste antike Theater des römischen Reiches zu einer Art Mini-Naturschutzgebiet wird. Eine ungewöhnliche Forderung und Giulia Caneva wurde deshalb anfangs belächelt. Doch in der Altertümerbehörde, im Rathaus auf dem Kapitolshügel sowie beim WWF legte sie ihre Studien vor. Tausende von Seiten, die in einer komprimierten Ausgabe in den nächsten Monaten als Fachbuch erscheinen. Caneva:

    Es ist sehr interessant, die Flora vergangener Jahrhunderte mit der heutigen Pflanzenwelt in diesem riesigen Bauwerk zu vergleichen. Nicht nur um herauszufinden, wie sich die Zusammensetzung der Pflanzen im Laufe der Zeit veränderte. Es geht mir auch darum, dieser Untersuchung einen ökologischen Sinn zu geben.

    Und das heißt: gesetzlicher Schutz des Biotops Kolosseum und absolutes Verbot des Herausrupfens und sonstigen Abschneidens von Pflanzen und Blüten. Das im ersten nachchristlichen Jahrhundert unter den Flavierkaisern erbaute Kolosseum war bis ins sechste Jahrhundert hinein Schauplatz von zum Teil aufwändigen "Spielen" mit Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen und Massenhinrichtungen. Während des Mittelalters verfiel es. Immer wieder diente es wie viele andere antike Bauten der Stadt als Festung in den Auseinandersetzungen rivalisierender Clans der römischen Oberschicht. Man lebte und arbeitete in dem verfallenden Bau, dessen ausgedehntes Gangsystem zudem Räuber und Dieben als Unterschlupf nutzten. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Kolosseum allmählich als Denkmal begriffen. Giulia Caneva:

    Mit dem Verfall in der Folge des Zusammenbruchs des römischen Reiches eroberten sich immer mehr Pflanzen die gigantische Ruine. Der Naturforscher Domenico Panaroli war der erste, der im Jahr 1643 eine Übersicht über die in dem Bauwerk vorhandenen Pflanzen erstellte. Panarolis Übersicht blieb nicht die einzige Arbeit ihrer Art, allein im 19. Jahrhundert wurden drei weitere Übersichten über die Pflanzenwelt des Kolosseums veröffentlicht.

    Giulia Caneva studierte sämtliche bislang erstellten Pflanzenlisten und verglich den dort aufgeführten Bestand mit den heute noch im Kolosseum anzutreffenden Arten. Das Ergebnis überrascht: die Vielfalt der Arten hat seit dem 19. Jahrhundert ständig abgenommen. 1855 wurden 420 Arten gezählt. Heute leben in dem Bauwerk nur noch 242. In früheren Jahrhunderten lebten im Kolosseum bis zu 684 Arten. Rund 400 sind also verschwunden. Die Biologin beließ es aber nicht nur bei diesen Zahlen. Das Auf- und Ab der pflanzlichen Artenbestände führte sie zu Rückschlüssen. So kann sie unter anderem nachweisen, dass sich im Laufe der Zeit immer mehr wärmeliebende Arten ansiedelten, denn die Temperaturen in der ewigen Stadt stiegen mit den Jahrhunderten an. Giulia Ceneva führt dies zum Teil auf die urbanistische Ausdehnung Roms und die seit 1870 ständig wachsende Einwohnerzahl zurück::

    Dieser Klimawechsel ist sehr interessant. Eine Vielzahl von Pflanzen, die schon in der Antike nachgewiesen wurden, sind heute nicht mehr anzutreffen. Es gibt in ganz Rom keinen anderen Ort, an dem die Geschichte der Flora dieser Stadt so ausgiebig erforscht werden kann, wie im Kolosseum

    Biologin Caneva vermutete aber nicht nur in der Evolution Roms den einzigen Grund für die Ausbreitung wärmeliebender Arten innerhalb des Gladiatorentheaters. Eine ganz Mittelitalien betreffende Klimarecherche bestätigt ihre These: im 17. Jahrhundert war das Klima in Latium und den Marken, in Umbrien und der Toskana wesentlich kälter und feuchter als heute. Die Biologin ist davon überzeugt, dass das Kolosseum auch in Zukunft wichtige Informationen über die Auswirkungen von Klimaveränderungen auf Pflanzen haben kann. Das kann es aber nur, wenn die Flora in dem großen Gebäude besser als bisher vor Touristen geschützt wird. Eine Argumentation, die auf offene Ohren stößt. Im Umweltministerium wird bereits erwogen, das Kolosseum ganz offiziell zum einem von Naturschutzgesetz geschätzten Biotop zu erklären.