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Kolumbien
Vom Scheitern und Gelingen der Friedensprozesse

Jahrzehnte herrschte in Kolumbien Bürgerkrieg zwischen Guerillas, Armee und Paramilitärs. Nun hat mit den FARC wieder eine Guerilla ihre Waffen abgegeben. Eduardo Pizarro analysiert in seinem Buch "Cambiar el Futuro" den langen Weg zum Frieden und ist sich sicher: die Zeit der Guerilla-Bewegungen ist vorbei.

Von Victoria Eglau | 04.09.2017
    Bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen der FARC und der Regierung gab es Konzerte.
    Bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen der FARC und der Regierung gab es Konzerte. (dpa / Leonardo Munoz)
    "Cambiar el Futuro" – Die Zukunft verändern: Der Titel, den der Politikwissenschaftler Eduardo Pizarro seinem Buch über die wechselvolle Geschichte der Friedensprozesse in Kolumbien gegeben hat, hängt mit der Tragödie seines Landes und seiner eigenen Familie zusammen. Pizarros Bruder Carlos war Chef einer kolumbianischen Guerilla, der M-19. Es war die erste der nach der kubanischen Revolution entstandenen Guerilla-Gruppen in Lateinamerika, die sich zum Frieden entschloss: Im März 1990 gaben die Mitglieder der M-19 ihre Waffen ab und wandelten sich in eine politische Partei um. Carlos Pizarro war ihr Präsidentschaftskandidat.
    "Einen Tag, bevor mein Bruder in einem Flugzeug von Paramilitärs ermordet wurde, die mit staatlichen Agenten unter einer Decke steckten, sagte Carlos zu mir: Die Vergangenheit, und mit ihr all das Leid, das die Gewalt in unserem Land angerichtet hatte, könne man nicht mehr ändern. Aber durch seine Unterschrift unter den Friedensvertrag wolle er dazu beitragen, die Zukunft zu verändern, und ein friedlicheres und demokratischeres Kolumbien zu schaffen."
    Trotz der Ermordung ihres Chefs hielt die Guerilla M-19 an ihrem Friedenswillen fest, integrierte sich erfolgreich in die Gesellschaft und in die Politik.
    Spätes Friedensabkommen
    Dieser Friedensprozess ist nur einer von vielen der letzten drei Jahrzehnte in Kolumbien, die Politologe Pizarro in seinem Buch analysiert. Viele von ihnen scheiterten - so brauchten Kolumbiens Regierungen und die "Revolutionären Streitkräfte", FARC, zahlreiche Anläufe, bis sie schließlich im vergangenen September einen Friedensvertrag unterzeichneten. Pizarro erklärt, warum 2012 ein Dialog und vier Jahre später ein Abkommen zustande kam:
    "Die Schwächung der FARC war immer offensichtlicher geworden, von etwa 18.000 Kämpfern war ihre Zahl auf weniger als 8.000 geschrumpft. Ihre Strategie, als Kriegspartei anerkannt zu werden, hatte nicht funktioniert. Die Öffentlichkeit stand dem Versuch, ein Friedensabkommen zu erzielen, positiv gegenüber. Und sowohl der Staat als auch die FARC waren sich bewusst, dass sie den anderen nicht besiegen konnten. Beide Seiten hatten daher den klaren politischen Willen, einen Ausweg zu finden."
    Kolumbiens Besonderheiten
    In Kolumbien entstanden so viele Guerillas wie sonst nirgendwo in Lateinamerika - einige von ihnen nach Kubas Revolution 1959, andere nach der sandinistischen Revolution in Nicaragua 1979. Gemeinsam war den meisten Gruppen die marxistisch-leninistische Ideologie, aber ihre Orientierung variierte zwischen pro-kubanisch, pro-sowjetisch und maoistisch. Eduardo Pizarro schreibt in "Cambiar el Futuro":
    "Die Guerilla-Gruppen haben es niemals geschafft, eine gemeinsame militärische Führung zu bilden - anders als in Mittelamerika, wo die Guerilla-Gruppen einen starken organisatorischen, politischen und ideologischen Zusammenhalt hatten."
    An dieser Zersplitterung der kolumbianischen Guerilla-Bewegung lag es, dass ein gemeinsamer Friedensschluss unmöglich war - anders als in Guatemala und El Salvador. In diesen beiden Ländern unterzeichneten in den neunziger Jahren alle Guerilla-Gruppen gemeinsam mit der Regierung Friedensverträge. In Kolumbien dagegen hat der Prozess in Etappen stattgefunden. 1991 gelang der Friedensschluss mit der indigenen Guerilla "Quintín Lame" und der kommunistischen EPL. Nun hat mit den FARC die älteste Guerilla Lateinamerikas ihre Waffen abgegeben.
    Widersprüchliche Rolle Deutschlands
    Die letzte noch aktive Gruppe in Kolumbien ist jetzt die ELN, das "Nationale Befreiungsheer". In den neunziger Jahren engagierte sich Deutschland bei den Verhandlungen mit den ELN-Rebellen. Buchautor Pizarro wirft einen kritischen Blick auf diese Bemühungen und auf die Rolle des für den Bundesnachrichtendienst tätigen Privatagenten Werner Mauss:
    "Er und seine Frau hatten für die Firma Mannesmann und das italienische Unternehmen SICIM mit der ELN verhandelt, um die Freilassung von vier entführten Ingenieuren und die Genehmigung für den Bau einer Ölpipeline durch Guerilla-Gebiet zu erreichen. Dafür erhielt die Gruppe viele Millionen Dollar und erwachte zu neuem Leben. Danach vermittelte das Duo aus Mauss und seiner Frau noch mehrfach bei Lösegeldverhandlungen zwischen der ELN und ausländischen Firmen, wodurch die Gruppe ihre Finanzen aufbessern konnte. Das heißt, während sich die deutsche Regierung in Kolumbiens Friedensprozess engagierte, stärkten deutsche Firmen und Geheimdienste mit obskuren Methoden die Guerilla."
    Für Eduardo Pizarro ein fragwürdiger Widerspruch und eine Doppelmoral.
    Demokratie statt Gewalt
    Dass die ELN heute am Verhandlungstisch sitzt - seit Jahresbeginn führt sie Friedensgespräche mit der kolumbianischen Regierung -, und dass die FARC der Gewalt abgeschworen haben, erklärt Pizarro auch damit, dass die Linke in vielen Ländern Lateinamerikas inzwischen auf demokratischem Weg an die Macht gekommen ist. Das habe zu einem Umdenken bei den linken Rebellen geführt:
    "Mit Ausnahme der ELN in Kolumbien und ein paar Überlebenden des 'Leuchtenden Pfads' in Peru, sowie der kleinen Gruppe EPP in Paraguay, ist der historische Zyklus der Guerilla-Bewegung in Lateinamerika zu Ende."
    Und die Zukunft ist ohne Zweifel eine friedlichere. Eduardo Pizarros gründliche, detail- und quellenreiche Untersuchung ist hochinteressant. Das Buch stützt sich nicht zuletzt auf die Erinnerungen der Akteure: ehemalige Guerilla-Chefs, Ex-Präsidenten, die mit den Rebellen verhandelten, und Schlüsselfiguren wie etwa der Unternehmer Henry Acosta, der durch seine jahrelange diskrete Vermittlungsarbeit entscheidend zur Annäherung zwischen den FARC und der Regierung Santos beitrug. Wer glaubt, dass der Friedensprozess mit den FARC der einzige ist, den Kolumbien erlebt hat, wird durch "Cambiar el Futuro" eines Besseren belehrt.
    Eduardo Pizzaro: Cambiar el Futuro. Historia de los procesos de paz en Colombia (1981-2016) – Die Zukunft verändern. Geschichte der Friedensprozesse in Kolumbien
    Verlag Debate, 519 Seiten, 14 Euro.