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Kolumbien
Zeitgenössische Kunst zu Gast in Bochum

Kunst aus Kolumbien ist oft keine leichte Kost: In den zeitgenössischen Werken, die im Kunstmuseum Bochum zu sehen sind, geht es um Kinder im Bürgerkrieg, um Drogen, um Missbrauch. Georg Imdahl hat die Ausstellung für den Deutschlandfunk besucht.

Von Georg Imdahl |
    Auf dem Fußboden liegt ein Kindersarg. Nicht aus Holz ist er gebaut, sondern aus Legosteinen in den Farben Rot, Gelb und Blau, den Landesfarben Kolumbiens. Eine lange weiße Linie zieht sich über den Sargdeckel, und in Kolumbien weiß jeder, was diese Linie bedeutet: Sie spielt auf den Konsum von Kokain an.
    Mit einfachen Mitteln kleidet der in Bogotá und London lebende Fernando Arias die Probleme seines Heimatlandes in metaphorische Form. Der Spielzeugsarg verweist nicht nur auf die Drogen, er bezeugt auch den Krieg, der permanent um sie geführt wird und das Schicksal der zahllosen Kinder, die in diesen Krieg geschickt werden und darin als Halbwüchsige sterben.
    Wer ihn überlebt, ist zwangsläufig traumatisiert. Davon handelt ein beeindruckendes Projekt von Juan Manuel Echavarría. Der 1947 geborene Künstler hat ehemalige Soldaten zu Workshops eingeladen und sie ermutigt, ihre Traumata zu malen. Die jungen Veteranen stammen aus unterschiedlichen paramilitärischen Gruppierungen, aber auch dem kolumbianischen Militär. Viele waren einst desertiert oder schwer verletzt worden. Was sie in expressiven Farben darstellen, kommt einem Katalog des alltäglichen Horrors gleich.
    Die Bilder schildern ein Massaker im Marihuana-Anbau, künden von Lynchjustiz, Vergeltung, Vergewaltigung. „Mein Beginn im Krieg“ lautet der Titel einer dieser gemalten Erinnerungen: Ein junger Mann mit Maschinengewehr hat sein Gegenüber durchlöchert. So verstörend die Themen, so bemerkenswert sind die Bilder, in denen die künstlerischen Laien sie beschwören.
    Ein kriegsversehrter Soldat mit einem amputierten Unterschenkel taucht wiederum in einer Fotoserie von Miguel Ángel Rojas auf. Der Künstler lässt den schönen jungen Mann in der Gebärde von Michelangelos „David“ auf einem Sockel posieren.
    Auf einer ganz anderen gesellschaftlichen Ebene spiegelt Liliana Vélez Jaramillo die Krise, nämlich aus der Warte der Frau. Denkbar leicht bekleidet und in lasziver Haltung auf allen Vieren kriechend, leckt die 1980 geborene Künstlerin in einem Video den Boden ab. Sie spielt damit auf die Situation vieler Dienstmädchen in wohlhabenden kolumbianischen Haushalten an. Deren Job erschöpft sich nicht darin, zu putzen. Sie stehen den Hausherren zur Verfügung. Wie sie sich dabei fühlen, bringt die Künstlerin in einem anderen Video drastisch zum Ausdruck: Barbusig erbricht sie sich vor der Kamera.
    Die lohnenswerte Ausstellung im Kunstmuseum Bochum macht Werke von Künstlern bekannt, auf die man hierzulande noch nicht gestoßen ist. Sie ist künstlerisch anregend und bringt einem die Gegenwart des Landes und seiner vielen Krisenherde nahe. Gibt es eine eigene Identität kolumbianischer Gegenwartskunst?
    "Ich denke schon, auf jeden Fall gibt es eine Identität kolumbianischer Kunst innerhalb der Sammlung Daros Lateinamerika, die sich manifestiert in einem direkten Interesse an den politischen, sozialen Lebensumständen des Landes. Ich denke, das ist ziemlich normal, dass in einem Land, das seit Jahrzehnten von Bürgerkrieg geprägt und auch verwüstet wurde, ein Künstler natürlich eine Haltung einnimmt, die sich mit dieser Situation auseinandersetzt."
    Sagt Hans-Michael Herzog, seit zwölf Jahren und damit von Anfang an Leiter und Kurator der Sammlung. Ihm stehen jedes Jahr rund 400.000 Euro für Neuankäufe zur Verfügung. Anfangs war es noch relativ einfach für ihn, in Südamerika interessante Kunst an Land zu ziehen: Niemand hatte sie wirklich im Blickfeld. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Die Globalisierung macht sich bemerkbar.
    Längst gibt es auch in Kolumbien Kunstmessen und eine bescheidene Infrastruktur mit Galerien und Sammlern, auch wenn diese noch nicht im großen Stil kaufen. Ziel der Daros Latinamerica Collection war es von Anfang an gewesen, die Sammlung in einem geeigneten Haus in Südamerika der Öffentlichkeit zu zeigen. Seit kurzem ist sie jetzt in Rio de Janeiro in einem ehemaligen Waisenhaus zu sehen.
    Die bekannteste Künstlerin der Bochumer Auswahl ist die 1958 in Bogotá geborene Doris Salcedo. Seit ihrer Ausstellung in der Tate Modern in London vor einigen Jahren ist sie eine der gefragtesten Künstlerinnen ihrer Generation. Salcedo demonstriert Sozialkritik in leiseren, subtilen Tonlagen. Einen alten Kleiderschrank verfremdet die Bildhauerin, indem sie ihn mit Beton verputzt und regelrecht versiegelt. Eine Metapher für Schweigen und Verdrängung.