Archiv


Kolumne: Baronin Catherine Ashton

Ab heute müssen die designierten neuen EU-Kommissare den Abgeordneten im Europaparlament Rede und Antwort stehen. Und den Anfang macht die erste EU-Außenministerin und designierten Vize-Präsidentin Lady Catherine Ashton. Viele Abgeordnete blicken kritisch auf die blaublütige Britin - und in ihrer Heimat ist sie schlichtweg nicht bekannt.

Von Thomas Kielinger, London |
    In dem Musical "Chicago", bekannt aus Film und Bühne, gibt es eine richtig traurige Figur - den Ehemann von Roxy Hart, der Hauptdarstellerin. Mr. Hart ist ein total unscheinbarer Mensch, lieb bis zu Selbstverleugnung, aber niemand nimmt irgendwie von ihm Notiz. In einer ergreifend anrührend gesungenen Nummer nennt er sich daher "Mr. Cellophane", Mister Zellophan - man sieht förmlich durch mich hindurch, klagt er, als gebe es mich nicht, man geht achtlos an mir vorbei wie an einem Phantom.

    Dieses Bild fällt mir ein, wenn ich an Cathy Ashton denke, pardon, an Baronin Ashton of Upholland, die neue Hohe Repräsentantin der EU-Außen- und Sicherheitspolitik und gleichzeitig Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Fragt man die Briten, ob sie schon von der Lady - und sie war eine echte, mit Sitz im Oberhaus - gehört hätten, wird man in 99 von 100 Fällen zur Antwort bekommen: Wie bitte - Cathy who? Nie gehört. Muss wohl so eine Art Mrs. Tesafilm sein, die sich durch die Menge bewegt, ohne dass irgendjemand von ihr Notiz nimmt. Die soll heute im Brüsseler Parlament drei Stunden lang vernommen werden? Bitte schön. Brüssel liegt sowieso auf einem anderen Stern, weit weg von den mentalen Gestaden der Briten. Zellophan eben - man blickt wie durch ein Nichts.

    Was wie Fiktion klingt, wie eine traurige Nummer aus einem Musical, ist leider traurige Wirklichkeit. Die Ernennung von Lady Ashton zur zweithöchsten Position im Stellengebot der EU hat niemandem in England vom Stuhl gerissen. Der institutionelle Aufbau der EU spielt auf der Insel ohnehin eine viel zu unbedeutende Rolle, als dass man ins Schwärmen käme über eine britische Besetzung an so hoher Stelle. Wer unter den Briten dennoch etwas von Brüssel versteht, weiß zudem, dass Catherine Ashton eine der undankbarsten Rollen überhaupt zugeschustert bekommen hat: 27 EU-Mitglieder, das sind 27 nationale Egos, davon überzeugen zu müssen, dass es so etwas wie eine gemeinsamen europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die es geben sollte, auch wirklich gibt. Das klingt wie die Quadratur des Kreises, das klingt nicht nach Aussicht auf Erfolg.

    Da hat Frankreich besser abgeschnitten, als es nach dem letzten EU-Gipfel um den Ämterschacher in Brüssel ging. Während sich London mit der Zarina der Außenpolitik abspeisen ließ, mit der prominenten aber machtlosen Baronin Ashton, hat Paris sich einen wirklich einflussreichen Posten gesichert, den des neuen EU-Kommissars für Wettbewerbsfragen. Michel Barnier wird sich kraft seines Amtes demnächst Ärgernis erregend in den Finanzplatz London einmischen dürfen. Das klingt nach kommendem Streit zwischen London und der Brüsseler EU-Zentrale, und schon dämmert es der britischen Politik, dass man sich mehr um die Kommission als um die beiden neuen ungetesteten Spitzenpositionen in Europa hätte kümmern müssen.

    Gordon Brown, der lange mit Tony Blair als erhofften EU-Präsidenten hausieren ging, hat sich im europäischen Postenschacher glatt über den Tisch ziehen lassen. Die Briten bekommen damit die Rechnung serviert für ihr habituelles Desinteresse an der Brüsseler Politik. Sie sind nur wenig involviert, kennen sich schlecht aus in den Fäden, die in der EU gezogen werden, und leben gegenüber Brüssel in einer Art "splendid isolation". Herauskommt dabei eine Catherine Ashton, Lady Zellophan, hoch belehnt aber machtlos und in der Heimat völlig unbekannt. Sie wird England keinen Millimeter näher an die EU bringen.