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Komasaufen bei Kieler Woche

Es hat schon fast Tradition: Seit Jahren werden während der Kieler Woche rund 20 Jugendliche mit einer lebensgefährlichen Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gebracht. Im vergangenen Jahr waren es sogar 25. Die Entwicklung folgt einem bundesweiten Trend: Die Zahl stationär behandelter Jugendlicher nach Alkoholmissbrauch ist in Deutschland innerhalb von neun Jahren von 9500 auf fast 26.000 angestiegen.

Von Matthias Günther |
    "Es gibt eine neues Phänomen bei den Jugendlichen, die sogenanntes 'binge drinking' betreiben, das heißt, dass die Jugendlichen innerhalb sehr kurzer Zeit eine große Menge Alkohol konsumieren, dass die Warnsymptome des Körpers wie zum Beispiel Übelkeit, Erbrechen gar nicht mehr auftreten, weil der Alkoholspiegel so rasch im Blut ansteigt, dass die Jugendlichen besinnungslos werden."

    Sagt die Kinderärztin und Doktorandin an der Universitätskinderklinik Kiel Anja Jakobs. Sie ist Autorin einer Studie über Jugendliche in Schleswig-Holstein, die nach einem 'binge drinking' – also Komasaufen – mit einer Alkoholvergiftung in ein Krankenhaus eingeliefert wurden. Sie hat 114 dieser Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren befragt. Drei Viertel von ihnen gaben an, wiederholt betrunken gewesen zu sein, 15 Prozent waren schon mehrmals mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden, nachdem sie in lebensbedrohlichem Zustand aufgefunden worden waren. Über die Gefahren des Alkoholkonsums sind die Jugendlichen nicht ausreichend aufgeklärt, sagt Anja Jakobs. Sie warnt vor Langzeitschäden:

    "Langzeitschäden sind bei regelmäßigem Alkoholkonsum bei Jugendlichen zu erwarten. Das Gehirn ist in der Pubertät noch nicht ausgereift im Gegensatz zum Erwachsenen, und hier kann es dann zu Störungen kommen."

    Außerdem ist bei Jugendlichen die Gefahr größer, abhängig zu werden:

    "Es ist erwiesen, dass Jugendliche, die früh mit Alkoholkonsum beginnen, ein erhöhtes Risiko haben, eine Alkoholsucht zu entwickeln. Der Großteil – muss man sagen –, da spielt sich das dann im Erwachsenenalter auf einen normalen Konsum ein, aber es ist dennoch erwiesen, dass bei regelmäßigem Alkoholkonsum unter 15 Jahren ein erhöhtes Suchtpotenzial besteht."

    Seit drei Jahren wird Jugendlichen, die während der Kieler Woche mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus kommen, noch in der Klinik eine Suchtberatung angeboten – gemeinsam mit ihren Eltern, wenn diese sie abholen. Die Beratungen sind freiwillig. Etwa ein Viertel der Jugendlichen lehnt ein Gespräch ab, berichtet Kinderarzt Markus Klein von der Universitätskinderklinik Kiel:

    "Die, die sich verweigern, kommen teilweise ohne Erziehungsberechtigten, wo die Eltern, wie leider recht häufig, zeitnah überhaupt nicht telefonisch zu erreichen sind. Und manche, muss man sagen, sind so abgestumpft, dass sie sagen, ja, ob ich ein Gespräch führe oder es bleiben lasse, ich mache genau so weiter wie vorher."

    Doch die Mehrheit nimmt die Beratung an. Die meisten Jugendlichen sind sehr beeindruckt, zeigen sich betroffen, sagt der Arzt:

    "Gerade dieser Faktor: Morgens entkleidet mit einer Windel im Krankenhaus aufzuwachen, wo fremde Menschen, die Pflegepersonal und Ärzte nun mal darstellen, sich befinden, hat einen so großen – in Anführungszeichen – Peinlichkeitsfaktor, dass dies für die Patienten ein sehr prägendes Erlebnis ist. Und die, die man erreichen kann zusätzlich dann noch im Rahmen dieser Gespräche, sich doch sehr genau Gedanken darüber machen, wie das Verhalten nächstes Mal aussehen könnte, dass sie hier so nicht wieder bleiben möchten."

    Die jugendlichen Komasäufer, die die Kinderärztin Anja Jakobs in ihrer Studie erfasst hat, waren übrigens nicht nur durch die Alkoholvergiftung in Gefahr:

    "Nicht zu unterschätzen ist die Gefahr der Unterkühlung, die häufig auftritt, und es kommt auch zunehmend zu Unfällen bei alkoholintoxikierten Jugendlichen. Wir haben eine Studie gemacht in Schleswig-Holstein, da hatten 33 Prozent der Jugendlichen Begleitverletzungen. Und immerhin die Hälfte hatte auch Elektrolyt-Verschiebungen – Verschiebungen der Blutsalze, was dann mit Infusionen ausgeglichen werden kann."

    Wer rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht wird, hat dank der Infusionen eine gute Chance, gerettet zu werden. Die Zahl derjenigen, die nicht mehr aus dem Koma erwachen, ist nach Angaben von Anja Jakobs sehr gering.