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Kombi-Bahn ist nicht zu stoppen

Technik. - Man stelle sich eine Straßenbahn vor, die auch da fahren kann, wo keine Oberleitung gespannt ist. Die Vorteile wären bestechend: Eisenbahnunternehmen bräuchten nur ein Fahrzeug mit zwei Energieversorgungssystemen - einem Stromabnehmer und einem Dieselmotor mit Generator, statt zweier ganz verschiedener Fahrzeuge. Die Betriebskosten könnten niedriger liegen, weil nur ein Fahrzeugtyp gewartet und repariert werden müsste, die Fahrgäste könnten ohne Umzusteigen selbst von sehr dörflichen Strecken ohne Oberleitung bis in die Innenstädte fahren. 125 Jahre dauerte es, bis diese Vision in Nordhausen in die Tat umgesetzt wurde.

Von Sönke Gäthke | 13.04.2004
    Die Zeit des Dieseltriebwagens geht zu Ende. Hybrid-Triebwagen, die neben einem Stromabnehmer auch einen Dieselmotor eingebaut haben, werden für mehr Komfort und niedrigere Kosten im Nahverkehr sorgen. Kommt zum Beispiel ein Straßenbahn ans Ende einer elektrifizierten Strecke, lässt der Fahrer einfach einen Dieselmotor an und zieht den Stromabnehmer ein. Jetzt versorgt der Motor über einen Generator die Bahn mit Strom; diese kann dadurch auch auf der nicht elektrifizierten Strecke weiterfahren; die Fahrgäste bleiben einfach sitzen. Der Clou dabei: Der Dieselmotor der Straßenbahn treibt normalerweise die Autos einer Nobelmarke an. Für Bahnverhältnisse ist er billig und leicht, so leicht, dass er ohne Probleme zusätzlich in die Bahn eingebaut werden kann. Doch so bestechend einfach diese Idee klingt: Bis vor kurzem hatte noch kein Hersteller einen Hybridantrieb für Schienenfahrzeuge in die Praxis umgesetzt, so Sven Gebhart vom Institut für Maschinen, Antriebe und elektronische Gerätetechnik in Nordhausen, der diese Hybrid-Bahn entwickelt hat.

    Es scheiterte schlicht daran, dass die vorhandene Technik dazu nicht da war.

    Denn das Problem bei der elektrischen Straßenbahn ist das Gasgeben, wenn der Strom nicht mehr aus der Oberleitung, sondern aus dem Generator kommt. Im Auto ist das kein Problem: Will der Fahrer schneller fahren, drückt er aufs Gaspedal, der Motor dreht schneller, und damit fährt das Auto schneller. Bei Fahrzeugen mit elektrischen Motoren - wie etwa dieselelektrischen Lokomotiven - geht das nicht: Die Fahrmotoren benötigen immer die gleiche Spannung. Würde da ein Dieselmotor einfach schneller drehen, wenn der Lokführer schneller fahren will, entstünde nicht nur mehr Strom, sondern auch eine höhere Spannung. Die können die Elektromotoren aber nicht vertragen. Daher konstruierten Techniker die Dieselmotoren der heutigen Lokomotiven so, dass sie bei gleicher Drehzahl mehr Kraft erzeugen, um mehr Strom zu produzieren. Das geht nur, indem der Druck in den Zylindern größer wird. Dem müssen die Motoren natürlich standhalten, und dadurch werden sie deutlich schwerer als PKW-Dieselmotoren.

    Wir haben 1995 einen Grundlagenversuch gefahren mit einem Standard-Notstromaggregat, das wir in eine Straßenbahn eingebracht haben, um einfach mal zu testen, ob das funktioniert. Und dieses Notstromaggregat war so groß, dass wir die halbe Bahn ausbauen mussten, das heißt also, die Sitzplätze der Bahn mussten wir alle rausnehmen, um es dort einzubringen. Das wog ungefähr 1,5 Tonnen und war eben entsprechend groß.

    Kein Wunder, dass es bis jetzt keine Hybrid-Systeme für die Bahn gab. Sven Gebhardt setzt daher auf die wesentlich kleineren Dieselmotoren der Automobilhersteller. Diese erzeugen mehr Leistung, indem sie schneller drehen. Damit die Straßenbahn trotzdem immer die gleiche Spannung erhält, musste der Ingenieur zusätzlich eine spezielle Leistungselektronik entwickeln.

    Und diese unterschiedliche Spannung muss die Leistungselektronik ausgleichen auf einen konstanten Spannungswert, äquivalent der Oberleitungsspannung, so dass das Fahrzeug eigentlich gar nicht merkt, durch welche Energiequelle es eigentlich versorgt wird.

    Außerdem ermittelt diese Elektronik, wie viel Leistung die Straßenbahn gerade benötigt, und steuert den Motor entsprechend. Das ganze Paket, inklusive Kühlung und Dieseltank, wiegt knapp eine Tonne und ist so flach, dass es zur Not aufs Dach unter die Stromleitung passt. Seit drei Jahren testet die Stadt Nordhausen eine umgebaute Versuchs-Straßenbahn. In diesem Frühjahr sollen die ersten Serienfahrzeuge ausgeliefert werden und vom Straßenbahnnetz der Harz-Stadt auf das Schienennetz der Harzquerbahn fahren. Sollte sich dieses System im Alltagsbetrieb bewähren und die Betriebskosten entsprechend niedrig liegen, könnte damit der reine Dieseltriebwagen der Vergangenheit angehören.