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Kommentar: Balsam für die deutschen Fußballerinnen

Zwei gehaltene Elfmeter, ein Abseitstor für Norwegen, alles egal – denn am Ende zählt das Ergebnis und das heißt 1:0 für Deutschland. Und es ist Balsam für die deutschen Fußballfrauen. Auch wenn dieses Mal eine gehörige Portion Glück dabei war, haben sich die Spielerinnen von Bundestrainerin Silvia Neid den achten EM-Titel der deutschen Frauenfußballgeschichte redlich verdient.

Von Olivia Fritz | 28.07.2013
    Nach holprigem Start in der Vorrunde noch arg gescholten, hat sich das verjüngte und neu formierte Team, das einige Ausfälle verkraften musste, in das Turnier gekämpft und dieses Mal die Nerven behalten. Dabei konnte man zu Beginn der Europameisterschaft nicht unbedingt automatisch mit dem Titelgewinn rechnen, auch wenn es in Deutschland immer so gesehen wird: Der Rekordmeister als Dauerabonennt auf den Titel. Das Turnier in Schweden hat bewiesen, dass es knapp war und in Zukunft immer schwerer wird. Die anderen Nationen haben aufgeholt, es fallen nicht mehr so viele Tore, auch die Torhüterinnen sind besser ausgebildet als noch vor wenigen Jahren. Und es gibt Überraschungen. Die Däninnen zum Beispiel kickten Frankreich raus und hätten es beinahe gegen Norwegen ins Finale geschafft.

    Natürlich gibt es auch nach diesem Turnier viele Dinge, die besprochen werden müssen. Der Losentscheid zugunsten Dänemarks etwa. Die Däninnen waren nach der Vorrunde punktgleich mit den Russinnen gewesen. Nur das Los entschied, dass sie als eine der besten Gruppen-Dritten ins Viertelfinale einziehen durften. Dieses Verfahren wird es zukünftig nicht mehr geben. Außerdem sind beim nächsten Mal mehr Mannschaften dabei.

    Die EM in Schweden hat auch gezeigt, dass Deutschland immer noch begeisterungsfähig ist für den Frauenfußball. Nach müdem Beginn gab es Traumquoten für das ZDF beim Halbfinale gegen Gastgeber Schweden: Dieses Spiel wollten mehr Fußballfans sehen als den Uli-Hoeneß-Cup zwischen dem FC Bayern München und dem FC Barcelona. Den Männermannschaften, wohl gemerkt.
    In Deutschland ist der Applaus also wieder groß. Bei der Siegesfeier am Frankfurter Römer werden sich die Spielerinnen feiern lassen. "Wir sind Europameisterin", titelte die BILD-Zeitung, auch Bundespräsident Joachim Gauck gratulierte und forderte zum Feiern auf, und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der zu allen K.o.-Spielen angereist war, sprach von einer "Bestätigung für den Frauenfußball in Deutschland".

    Doch nicht immer hat sich der Deutsche Fußball-Bund mit dem Frauenfußball geschmückt, bis 1970 war er offiziell verboten. Zitat: "Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut. Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand." Das war einmal, könnte man denken. Aber noch heute verschwindet der Frauenfußball ganz schnell wieder in der Schublade, sobald ein großes Turnier zu Ende gespielt ist.

    Vor allem, wenn Erfolge ausbleiben. Beispiel WM in Deutschland: Nach dem frühen Viertelfinal-Aus bei der Heim-WM vor zwei Jahren war der Jammer groß. Und mit ausbleibendem Erfolg fehlt auch die Bühne, um sich zu präsentieren: Die deutschen Fußballfrauen verspielten die Olympiateilnahme, zeigten sich ihren Fans nur bei wenigen Länderspielen. Das mediale Interesse ging wieder zurück, so schnell, wie es vor der WM über die unerfahrenen Spielerinnen hereingebrochen war. Selbst die älteren im Team hatten mit einem solch großen öffentlichen Interesse nicht gerechnet, auch nicht mit dem Druck, den das Ereignis mit sich brachte.

    Zwei Jahre später ist der Druck weg und viele Wunden sind geheilt. Einige Leistungsträgerinnen gaben ihr Karriereende bekannt – unter anderem die dreifache Weltfußballerin Birgit Prinz oder die mehrfache Torschützenkönigin Inka Grings. Ein Umbruch hat stattgefunden. Neue Talente sind ins Team gerückt. Einigen kam der Umbruch jedoch zu kurz. Die Kritik an Bundestrainerin Silvia Neid ging nach der WM teilweise unter die Gürtellinie, und sie flammte auch bei der EM in Schweden auf, nach der Vorrunde. Auch und vor allem aus den Reihen der Bundesliga. So schwächt sich der Frauenfußball selbst.

    Dabei hat sich der Frauenfußball in Deutschland weiter professionalisiert. Über eine Millionen Frauen und Mädchen sind in den deutschen Fußballvereinen registriert. Seit 1997 gibt es eine eingleisige Bundesliga und auch der Nachwuchsbereich hat sich entwickelt: Von klein auf werden die Spielerinnen ausgebildet, Nationalmannschaften gibt es ähnlich wie bei den Männer bereits im Juniorinnenbereich. Zudem profitieren viele Frauenmannschaften mittlerweile von den professionellen Strukturen eingesessener Männervereine. So sorgte in diesem Jahr etwa die Frauen-Abteilung des VfL Wolfsburg für Aufsehen, als sie das Triple aus Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League gewann.

    Viele Spielerinnen, die im Finale dabei waren, haben schon die Nachwuchs-Nationalteams durchlaufen. Nur weil es mittlerweile so viele junge fußballbegeisterte Frauen und Mädchen gibt, hat Bundestrainerin Silvia Neid eine schlagkräftige Mannschaft nach Schweden schicken können. Sechs Stammspielerinnen fehlten schließlich verletzt. International können sich viele Länder ein Beispiel nehmen an der Situation des Frauenfußballs in Deutschland, das schon immer Spitze gewesen ist in Europa und weltweit. Nun ist der achte Titel dazugekommen. Und Titel bringen immer Aufmerksamkeit und einen kleinen Boom. Das alles haben sich die deutschen Fußballerinnen auch redlich verdient.