Mittwoch, 15. Mai 2024

Kommentar zum DFB-Team
Wie der Adler aus der Asche?

Die jüngsten Niederlagen gegen die Türkei und in Österreich lassen ein grauenvolles Länderspieljahr der deutschen Männer-Nationalmannschaft zu Ende gehen. Sieben Monate vor der Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land macht wenig Hoffnung – und das ist die einzige Chance, kommentiert Dlf-Sportredakteur Matthias Friebe.

Von Matthias Friebe | 25.11.2023
DFB-Trainer Julian Nagelsmann blickt am Rande des DFB-Spiels gegen Österreich in Wien auf das Spielfeld.
Sieben Monate vor der Heim-EM blickt Deutschlands Nationaltrainer Julian Nagelsmann vor allem auf eines: ein hartes Stück Arbeit. (IMAGO / Laci Perenyi / IMAGO / Laci Perenyi)
Das Finale ist das Ziel. Geht es nach DFB-Präsident Bernd Neuendorf, dann soll die deutsche Nationalmannschaft dabei sein, wenn am 14. Juli 2024 im Berliner Olympiastadion der neue Europameister ausgespielt wird. Genau zehn Jahre und einen Tag nach dem Weltmeistertitel in Brasilien 2014.
Die zehn Jahre seitdem stehen vor allem für einen rasanten Absturz aus der Weltspitze in die zweite internationale Reihe. Zwar wurde 2017 noch ein Titel gewonnen. Der Sieg beim Confed-Cup in Russland hat aber nicht mal den Wert, um auf dem DFB-Briefkopf Erwähnung zu finden.
Damals tritt eine bessere B-Mannschaft an und fährt überraschend und ungeplant als Turniersieger nach Hause. Das Nach-Hause-Fahren hat der DFB seitdem perfektioniert – ohne Medaillen oder Pokale im Gepäck, dafür mit Koffern voller Häme und Spott.

Sehr durchwachsene Bilanz seit deutschem WM-Titel

Die DFB-Elf hat gerade einmal gut die Hälfte der 116 Länderspiele seit dem WM-Titel 2014 gewonnen. Lieblingsgegner? Gegen Nordirland gab es gleich fünf Siege in dieser Zeit. Gegen Topteams sieht das ganz anders aus. 32-mal ging es gegen Weltklasse-Mannschaften aus den Top-Zehn der Weltrangliste. Die Bilanz: sieben Siege, vier davon in Freundschaftsspielen. Die jüngsten Niederlagen gegen Österreich und die Türkei, die in der Weltrangliste auf Platz 25 und 38 stehen, zeigen: Die anstehende Heim-EM hat vor allem das Potenzial, zum nächsten sportlichen Desaster zu werden.
In der Mannschaft stimmt nicht viel, technisch, taktisch, auch mit Blick auf die Einstellung. Dass nach all den Nackenschlägen dieses Jahres inklusive Trainerwechsel immer noch als Analyse herhalten muss, es würde Leidenschaft fehlen, zeigt deutlich: Bis in die letzte Faser ist noch nicht durchgedrungen, wie ernst die Lage ist.

Die DFB-Defensive als wackeliges Fundament

Noch immer findet die Mannschaft keinen Weg, die Abwehr zu stabilisieren. Seit dem historischen WM-Aus von Russland 2018 sieht man in schöner Regelmäßigkeit Gegentore, bei denen ein langer gegnerischer Ball reicht, um die deutsche Defensive zu filetieren.
Verteidigungsmonster? Nein, sagt der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann, dazu werde man im nächsten Halbjahr nicht mehr. Das ist so richtig wie ernüchternd. Tatsache ist: Den Kader in großen Teilen austauschen ist nicht drin. Dazu fehlt es an Personal, die Mannschaft ist vor allem in der Breite international nicht auf höchstem Level.
Es geht eher darum, die richtige Balance zwischen Arbeitern und Künstlern zu finden. Vor allem aber fehlt es an Zeit. Zwei Länderspiele im März und eines direkt vor Turnierbeginn, wenn der Kader schon feststeht. Mehr Chancen gibt es nicht mehr, um das Team EM-fit zu machen. Die so oft beschworenen Automatismen einzustudieren, erscheint in dieser Zeit kaum möglich.

Viele Hoffnungen lasten auf der Heim-EM

Die Heim-EM ist jedenfalls ein Turnier, mit dem auch abseits des Sportlichen viele Hoffnungen verknüpft sind. Der klamme DFB hofft auf Erfolgsprämien. Und für Turnierdirektor Philipp Lahm soll die EM nicht weniger als eine gesellschaftliche Zeitenwende werden, ein Neustart für Europa in Kriegs- und Krisenzeiten.
Demutsgiganten waren sie noch nie beim DFB, eher schon Weltrekordler in der Disziplin Hybris – siehe die Final-Träume und -Ziele des Präsidenten.

Durch Außenseiter-Rolle könnte Momentum entstehen

Diese EM hat das Potenzial für das nächste Desaster und das ist die einzige Chance. Wie der Phoenix, oder besser gesagt, der Adler aus der Asche – als Außenseiter, der sich seine Fans durch gute Spiele zurückholt, kann ein Momentum entstehen, dass die Mannschaft durch die vier Turnierwochen trägt.
Dazu braucht es auch eine lösbare Auslosung, ein bisschen Spielglück, das die DFB-Elf zugegeben zuletzt auch selten hatte und den absoluten Willen, allen zu zeigen, dass man doch besser ist, als die letzten zehn Jahre vermuten lassen.
Das ist die einzige Hoffnung, die aktuell bleibt. Damit die anstehende Heim-EM, zehn Jahre nach dem letzten WM-Sieg, nicht so endet wie 1984 oder 2000, jeweils zehn Jahre nach den vorherigen Weltmeistertiteln – in der Vorrunde.