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Kommentar
Die Nerds basteln am Starkult

Die statistische Fixierung auf die Leistung und den Wert einzelner Fußballspieler wird immer röntgenhafter. Die Resultate grenzen ans Absurde. Aber sie füttern Stammtischgespräche und den Wettmarkt.

Von Jürgen Kalwa | 10.07.2014
    Nigel de Jong und Lionel Messi
    Fußball ist mittlerweise auch ein Spiel der Zahlen. (AFP PHOTO/Adrian Dennis)
    Es hat mal eine Zeit gegeben, da wurden die Leistungen von Fußballern noch nicht unters Elektronenmikroskop gelegt. Das war, ehe diese besondere Sorte Sportfanatiker mitzumischen begann, wie es sie in den USA schon lange gibt. Nerds, wie man auf Englisch sagt. Was netter klingt als alle deutschen Übersetzungen: Wörter wie Computerfreak oder Fachidiot.
    Aber diese Vokabeln treffen das schon, was diese Nicht-Holisten mit ihrem Röntgenblick an den Tag fördern: Eine ziemlich schädliche Strahlung aus lauter Zahlen, die nur eines bewerkstelligen: Sie füttern den Starkult, die Hollywood-Dimension des Fußballs. Ein Aspekt, der viel mit Vermarktung, aber rein gar nichts mit dem Spiel an sich zu tun hat.
    Abgestützt wird das Ganze durch solche Tabellen wie der von einer Motoröl-Firma gesponserte Spieler-Index der FIFA. Wie bizarr ist der? Da stand in dieser Woche noch tagelang der Franzose Benzema als der angeblich bislang beste Spieler im Turnier auf Platz eins der Rangliste. Was daran so lächerlich ist, muss man nicht lange erklären. Frankreich ist seit einer Woche nicht mehr dabei. Nun steht Toni Kroos ganz oben. Aber Benzemas Leistungen wirken nach. Er rangiert knapp hinter dem deutschen Mittelfeldregisseur und vor Arjen Robben. Wie sagt man so schön? Finde den Fehler.
    Die amerikanischen Statistikspezialisten der Webseite FiveThirtyEight, die beim Sportfernsehsender ESPN angedockt ist, rechnen natürlich auch. Sie widmeten sich den Zahlen der letzten Jahre und holten aus denen die phänomenale Erkenntnis heraus, dass Lionel Messi der absolut Beste ist. Besser jedenfalls als Cristiano Ronaldo. Eine Erklärung, warum dieser ach, so gute Ronaldo bei dieser WM nicht mehr dabei ist und warum der Drittbeste – Zlatan Ibrahimovic – nie nach Brasilien fuhr vertreten ist, und warum unter den ersten 20 kein einziger deutscher Nationalspieler auftaucht, lieferten die Rechenkünstler nicht. Man hat mehr als 8000 Spieler in der Datenbank. Und das kommt dabei heraus: Nicht mehr als Stoff für Stammtischgespräche und für leidenschaftliche Zocker.
    Fivethirtyeight hat sich einen Namen gemacht, weil es mit der Prognosen bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen Erfolg hatte. Sicher eine besondere Kunst. Mit den Vorhersagen in Sachen WM sieht es da schon anders aus. Das frühe Aus von Spanien, Italien und England hatte man nicht auf dem Zettel. Hollands Erfolge waren auch nicht vorgesehen. Brasilien war angeblich auch gegen Deutschland eindeutiger Favorit.
    Einen Zweck allerdings erfüllen die Vorabkalkulationen. Wer alle Spielprognosen genommen hätte, um Geld auf den Ausgang von allen Spielen zu wetten, der hätte zwar hier und da verloren, aber unterm Strich tatsächlich Plus gemacht. Für Zocker rechnet sich das Spiel mit den Zahlen.