Kommentar
Bevölkerungsrückgang in Ostdeutschland: Bitte jetzt gegensteuern!

Während im Westen Deutschlands die Bevölkerung wächst, schrumpft sie in den östlichen Bundesländern. Hauptgrund ist die alternde Gesellschaft. Höchste Zeit für Gegenmaßnahmen, meint Anne Lena Mösken.

13.04.2024
Eine Landstraße, die durch ein Dorf führt. Rechts und links sind alte Häuser zu sehen - Beispiele für historische Dorfarchitektur mit denkmalgeschützte Fassaden.
Oft leer: Dorfstraße in Brandenburg. (picture alliance / Zoonar / Maurice Tricatelle)
Zuerst die gute Nachricht: Vor 20 Jahren sagten die Demografen schon einmal einen verheerenden Bevölkerungsrückgang für Ostdeutschland voraus. Sachsen, hieß es damals zum Beispiel, werde bis zum Jahr 2020 weit mehr als eine halbe Million Einwohner verlieren. Die Demografen orientierten sich damals an den Nachwende-Jahren. Millionen Menschen verließen Ostdeutschland gen Westen. Es gingen die Jungen, die gut Ausgebildeten, und vor allem: die Frauen.
Doch so schlimm, wie es die Demografen voraussagten, kam es nicht. Heute leben immer noch gut vier Millionen Menschen in Sachsen. Es besteht also Hoffnung, dass pessimistische Vorhersagen am Ende doch nicht eintreffen.

Boomende Großstädte, überalterte Provinz

Vor allem hatten die Demografen die Strahlkraft der Großstädte unterschätzt. Leipzig boomt. Es ist die Stadt in Deutschland, die bis 2040 das größte Bevölkerungswachstum verzeichnen wird. So lautet eine neue Prognose, die Forscher der Bertelsmann-Stiftung diese Woche veröffentlichten.
Doch insgesamt fällt die Vorhersage für Ostdeutschland wieder düster aus. Während im Westen die Bevölkerung wächst, schrumpft sie in den östlichen Bundesländern, um zwölf Prozent und mehr. Der Hauptgrund: die alternde Gesellschaft. Die geburtenstarken Jahrgänge kommen ins Rentenalter, die Geburten gehen zurück.
Die Bertelsmann-Stiftung empfiehlt: Es brauche jetzt Strategien, um eine gute Infrastruktur für die älteren Generationen aufzubauen, am besten mit Förderprogrammen. Man könnte jetzt sagen: Das ist Pragmatismus. Doch es klingt eher nach Kapitulation. Soll man Ostdeutschland etwa einfach aufgeben?
Es ist sicher richtig, dass Kommunen sich darauf einstellen müssen, dass ihre Bewohner immer älter werden. Aber vieles, was es dafür braucht, gute Pflegeheime zum Beispiel, liegt in den Händen der Privatwirtschaft. Und die wird es dahin ziehen, wo es einen Markt gibt.

Chemnitz: Labor für Age Tech

Man konnte das in den letzten Jahren zum Beispiel in Chemnitz beobachten. Die Stadt ist im Gegensatz zu Leipzig keine "Boomtown", sie ist eine der ältesten in Europa. An der Technischen Universität erforschen Wissenschaftler, wie man das Altern mit Technologie leichter machen kann: Sie haben einen Anzug entwickelt, der simuliert, wie sich ein alter Mensch fühlt. Damit wollen sie herausfinden, was Senioren brauchen.
Start-ups entwickeln hier Apps für Alte. Age Tech nennt man das, und Chemnitz ist  das perfekte Labor dafür. Gefördert wird das Ganze übrigens schon längst, mit Geldern vom Freistaat Sachsen. Und das ist auch richtig, aber aus einem anderen Grund: Mit den Start-ups ziehen junge Menschen in die Region. Junge Menschen, die hier arbeiten und leben.

Die Jungen zurück aufs Land bringen

Und das ist der Punkt: Was können Kommunen tun, damit sie für junge Menschen attraktiver werden? Es ist Zeit für eine Offensive. Die Politik sollte jetzt alles daran setzen, um junge Menschen zurück in die Regionen zu bringen, aus denen sie im Moment fliehen. Dafür braucht es Fördergelder.
Denn wie lange sind Großstädte noch wirklich attraktiv für die Jüngeren? Mit dem Boom steigen die Mieten. Leipzig ist noch nicht Berlin, aber es geht in die Richtung. Niemand muss heute mehr in der Großstadt wohnen, um dort zu arbeiten. Immer mehr Unternehmen ermöglichen ihren Angestellten das Homeoffice. Dafür braucht es nicht viel mehr als schnelles Internet zu Hause.

Infrastruktur in den Kommunen stärken

Günstige Mieten, das Häuschen im Grünen – das ist das, was die Provinz jetzt schon zu bieten hat. Warum also nicht die Kitagebühren erlassen? Familien mit Begrüßungsgeld locken? Dafür sorgen, dass es hier hervorragende Schulen gibt, guten öffentlichen Nahverkehr und dazu ein paar kleine, aber feine Theater, Kinos, Konzertorte.
Die wenigen, die heute noch da sind, verschwinden, wenn man jetzt alles auf die alternde Gesellschaft setzt. Umgekehrt ist es aber so: Was eine Gegend lebenswert für Familien macht, kommt auch den Älteren zugute. Darauf sollten die ostdeutschen Kommunen jetzt setzen. Und dann schauen wir mal, ob die Demografen 2040 Recht behalten haben.