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Kommunalpolitiker unter Druck

Große Städte prägen die Entwicklung unserer Gesellschaft. Aber wer ist daran wie beteiligt? Wie empfinden Bewohner und Lokalpolitiker ihre Stadt? Auf einer Soziologentagung in Halle wurde diese "subjektive Seite der Stadt" näher betrachtet.

Von Christian Forberg | 17.11.2011
    Wofür steht Halle an der Saale? Für Händel, den Barockmusiker. Salz, das die Stadt reich machte. Noch was? Ach ja, Chemie, Schmutz, das größte Neubaugebiet im Osten, die Parallelstadt "HaNeu" – Halle-Neustadt. Kurzum: Halle war gestern und ist nicht eben doll. Mit diesem trüben Bild begann die Tagung, genauer: begann Franz Sahner, zu Beginn der 1990er-Jahre Gründungsprofessor der Soziologie an der hiesigen Universität, inzwischen emeritiert. Er hat das wirklich trübe Bild der Stadt noch erlebt:

    "Der Fluss, der schäumte. Ein Kollege sagte mir: Wenn man mit einem hellen Anzug am Saalestrand spazieren geht und ein Wind bewegt den Schaum, dann habe ich Teerflecken auf meinem Anzug. Wäsche konnte man überhaupt nicht raushängen, es flog viel Dreck in der Luft. Es gab also wenig Anlass, Freude an seiner Stadt zu haben."

    Doch die wuchs in dem Maße, wie sie sauberer, attraktiver wurde. Nicht nur er, auch die Hallenser, die eher nicht zu den besonders optimistischen Menschen Deutschlands zählen, bewerteten das so. Franz Sahner und Kollegen führen seit 1993 Bürgerumfragen durch.

    "Wir haben unter anderem nach der Wohnungszufriedenheit gefragt und hatten einen Durchschnittswert von 23 Prozent, die mit ihrer Wohnung zufrieden oder sehr zufrieden waren. Bei unserer letzten Umfrage waren es 70 Prozent. Flankierend muss man sagen, dass 60 Prozent der Hallenser Bürger seit der Wende umgezogen sind. Das wird von keiner westdeutschen Stadt erreicht, diese hohe Quote."

    Und doch kommt Halle bei sogenannten Ratings in der Regel schlecht weg. Ein Grund: Fakten, besonders die zur Umweltsituation, wurden schlicht ignoriert, Geschichte als Vorurteil dagegen etabliert.

    Der Wettbewerb der Städte gehe mit ihrer oberflächlichen Ästhetisierung, Emotionalisierung und Zähmung einher, sagt Frank Eckardt, Professor für sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar. Stadtzentren werden äußerlich attraktiver, aber austauschbar in ihrer Angeboten. Was allerdings ein Vorteil für die "modernen Nomaden" ist: Sie finden ähnliche Verhältnisse wie an ihrem Herkunftsort vor und fühlen sich heute in den Städten sicherer als noch vor zwei Jahrzehnten. Die "Domestication by Capuccino" (Sharon Zukin) hat gewirkt. Eigentlich eine komfortable Situation für alle Migranten:

    "Im Grunde spiegelt sie das Problem wider, wie wir insgesamt mit der mobilen Bevölkerung umgehen. Wir haben in Deutschland eine Million Menschen, die an einem Ort wohnen und am andern Ort ihre Familie oder ihre Arbeit haben. Das heißt, es ist eine hohe Migration innerhalb von Deutschland, zwischen den Städten, zwischen den einzelnen Metropolen vorhanden. Und die Frage, wie man damit umgeht, ist politisch überhaupt nicht auf der Agenda."

    Womit sich auch die Frage stellt, für wen Stadtplanung vor allem betrieben wird: für Menschen, die man für kurz oder lang anlocken, oder die Bewohner, die man halten will? Im Grunde noch immer für die Bewohner, sagt Frank Eckardt. Was auch notwendig sei: An die Stelle eines diffusen Unbehagens über diese oder jene Entwicklung sei der konkrete Bürgerprotest getreten, sei sogar der "Wutbürger" entstanden. Dass dennoch der Stadtbewohner die Hauptrolle für die Kommunalpolitik spielt, bestätigte auch Lars Holtkamp. Der Professor für Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen hat die "Spielräume kommunalen Handelns" untersucht.

    "Ich denke, bis auf einige Ausnahmen hat man immer noch die starke Verwurzelung der Entscheidungsträger im traditionellen Bürgertum, insbesondere im Einzelhandel. Man sieht ja diese Konflikte, die entstehen, beispielsweise die Abwertung der Innenstädte. Aber da ist trotzdem noch ein Gegenpendel insbesondere in den Stadträten vorhanden, die versuchen, die lokale Geschäftswelt dort noch zu halten."

    Kopfzerbrechen bereiteten Kommunalpolitkern vor allem die Zwänge, die durch mangelndes Geld für wachsende Aufgaben entstünden. Inklusive einer "griechischen Intransparenz", wie Lars Holtkamp die Darstellung der mancher Orts beklemmenden Haushaltssituation bezeichnete.

    Kein Wunder, konstatiert Katrin Harm von der Uni Halle, dass bei so manchem Kommunalpolitiker auch das Empfinden einer Überforderung wachse.

    "Die kommunalen Finanzen und Überregulierung – es wurde bezeichnet als 'Verrechtlichung', Regelungswut – das sind die beiden Hauptgründe, dass so eine Aufgabenzunahme empfunden wird, die dann wiederum zum Überforderungsempfinden führt."

    Womit nicht gesagt werden soll, dass Kommunalpolitik nur Frust bereite, wie auch in einer Studie der Uni Münster festgestellt wurde. Die machte drei unterschiedliche Typen von Kommunalpolitikern aus: jene, die als ein Parteimitglied im Lokalen ihre "Ochsentour" beginnen wollen; jene Engagierten, die später ihren Weg auf Parteiebene fortsetzen; und jene, die ohne Absicht auf Karriere Spaß am Ehrenamt haben. Der Spaß sinke jedoch in dem Maße, stellte Katrin Harm fest, in dem sich die Gestaltungsräume verengten. So waren diese zum Beispiel im relativ reichen Saalekreis um Halle herum größer als in der Stadt selbst, und die drei in Sachsen-Anhalt untersuchten Institutionen schienen nicht so unter Druck zu stehen, wie die drei in Nordrhein-Westfalen, darunter auch Köln.

    "Es fielen Worte wie: 'Es ist katastrophal, wir wissen nicht mehr, wir können nichts entscheiden'. Also ich denke, dass es definitiv der wichtigste Faktor ist: Die Situation der kommunalen Haushalte ist gerade in Nordrhein-Westfalen katastrophal, und das wirkt sich dort direkt auf das Empfinden von Handlungsunfähigkeit seitens der lokalen Eliten aus."

    Mit dem Anwachsen der Notlagen werde auch der fordernde Bürger als Störfaktor wahrgenommen; wenngleich – das ergab eine Untersuchung an der Uni Koblenz-Landau, Bürgerbeteiligung und Bürgereinbindung an sich einen recht hohen Stellenwert haben. Besonders bei den Freien Wählern.
    Wie aber kommen Städte aus den Notlagen heraus? In dem sie Kern oder Teil einer Metropolenregion würden, lautet eine Antwort aus der Politik. Tobias Federwisch hat das in seiner gerade verteidigten Dissertation untersucht. Prinzipiell stimme das:

    "In den 80er-Jahren hat man erkannt, dass es der Ort ist, wo die Wertschöpfung stattfindet. Dort sind die großen Unternehmen, die großen Universitäten, die dann wieder den geistigen Input für die Unternehmen geben. Dort sind die politischen Institutionen. Insofern erfuhr die Metropole eine Aufwertung, eine imaginierte Aufwertung."

    Elf derartiger "Kraftzentren" wurden in Deutschland formiert – erfolgreich, wie die Politik behauptet. Was Tobias Federwisch einschränkt: Zuviel sei noch im Fluss. So habe die "Metropolregion Mitteldeutschland", also der Großteil Sachsens plus Ränder von Thüringen und Sachsen-Anhalt, "reloaded" werden müssen. Der Politik war über lange Jahre die Puste ausgegangen.