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Kommunalwahlen
Fünf Frauen wollen in Erftstadt Bürgermeisterin werden

Keine Männer, nur Frauen: In Erftstadt südlich von Köln bewerben sich gleich fünf Kandidatinnen um das Amt der Bürgermeisterin. Eine Besonderheit, denn wie in vielen Bundesländern liegt auch in NRW der Frauenanteil in den Kommunalparlamenten im Schnitt bei nur 25 bis 30 Prozent.

Von Moritz Küpper | 13.08.2020
Die Kandidatinnen im TV-Studio Hallstein, Bethmann, Molitor, Weitzel und Ewald.
Die Kandidatinnen im TV-Studio: Hallstein, Bethmann, Molitor, Weitzel und Ewald (vl.). (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
Im Hintergrund plätschert ein Brunnen, auf dem Tisch stehen Schälchen mit Gurken und Möhren, Frikadellen und Käsewürfeln.
"Es gibt natürlich immer die gleichen Fragen für jede Kandidatin."
Erklärt Peter Kaulen-Windgassen, der Vorsitzende des Stadtsportverbandes Erftstadt. Es hat etwas von großer TV-Welt, von Kandidatinnen-Zimmer, wie bei Big Brother, "Wetten, dass …" oder einer anderen dieser Unterhaltungsshows – oder zumindest von TV-Duell, dabei sitzen hier, im Hinterhof eines Einfamilienhauses in Erftstadt-Kierdorf, fünf Kandidatinnen für das Bürgermeisterinnen-Amt in der rheinischen Kleinstadt – und warten auf ihren Auftritt im lokalen Sender "muxx.tv".
"Am Anfang werden wir dann noch kurz vorgestellt. Dann werde ich noch ein paar Worte zum Stadtsportverband sagen, weil: Haben wir ja vielleicht auch Leute vor dem Kanal, die gar nichts über den Stadtsportverband wissen, wie das funktioniert."
Erstes weibliches Stadtoberhaupt
Ein Bildschirm im Hintergrund zählt die Minuten und Sekunden runter. Rund 50.000 Einwohner hat die Stadt nahe Köln, ist ländlich geprägt und bekommt in diesem Jahr erstmals ein weibliches Stadtoberhaupt. Denn: Bei der nun anstehenden Kommunalwahl am 13. September treten ausschließlich Frauen als Spitzenkandidatinnen für das Bürgermeisterinnen-Amt an.
"Also, wenn jetzt hier fünf Männer kandidieren in Erftstadt, würde sich kein TV-Sender, kein Radio-Sender überhaupt irgendjemand dafür interessieren, weil es einfach normal ist."
Rebecca Ewald steht ein wenig entfernt vom gemeinsamen Tisch, hat ihren Auftritt im mobilen TV-Studio schon hinter sich. Ewald, Hauptschullehrerin, parteilos, Ratsmitglied, ist mit 39 Jahren die Jüngste in diesem Rennen:
"Ich meine, es wurde ja schon gewitzelt, ob wir nicht eine Männerquote brauchen für den Wahlkampf, aber ich finde, wir sollten jetzt nicht darüber reden, nur, weil wir Frauen sind."
Besondere Konstellation
Das Argument ist so einfach, wie richtig – und dennoch: Die Realität zeigt auch, dass die Fakten mitunter andere sind, dass eine Konstellation wie in Erftstadt besonders ist.
"Ob es jetzt anders ist?"
Ewald denkt über die Frage nach.
"Doch: Es ist insofern anders, dass wir hier nur Frauen sind… Wir sitzen da jetzt – was meinte da eben jemand – wir sitzen am netten Kaffeekränzchen. Auch wenn sich das jetzt wieder diskriminierend anhört für Frauen, aber es eigentlich so relativ harmonisch. Wir sind nett zueinander. Wir beißen und kratzen uns noch nicht, also: Alles gut. Und bei den Männern wäre es wahrscheinlich ein bisschen anders."
Dennoch: Es ist ein Wettbewerb:
"Es bringen alle sehr viel mit und ich kann jetzt auch darauf eingehen, wenn es gewünscht ist."
Sagt Monika Hallstein, parteilose Baudezernentin der Stadt, die von der SPD nominiert wurde:
"Bei Frau Molitor: Sie war, ist Mitglied der FDP, sie war Mitglied des Bundestages, sie hat ein unglaublich hohes Maß an politischer Erfahrung und auch Bekanntheit. Und bringt aus dem Politik-Geschäft, also, ganz, ganz viel mit. Da macht sie uns allen tatsächlich was vor. Frau Weitzel ist eine sehr breit aufgestellte Verwaltungsfachkraft, die als Frauengleichstellungsbeauftragte in der Stadt Erftstadt begonnen hat, das ist eine Querschnittsaufgabe, mit der sie mit Sicherheit auch tiefe Einblicke hat nehmen können in alle Fachsparten der Verwaltung. Ganz großer Vorteil."
Den Weitzel nun für die CDU, die politisch momentan stärkste Kraft im Rat, einbringen möchte.
"Frau Ewald ist genau wie ich unabhängige Kandidatin und bringt von daher das Potential mit, die Gräben, die wir in der Ratsarbeit, in der Politik vorfinden, eben auch zu überbrücken, weil sie neutral ist."
Hallstein macht eine kurze Pause:
"Ja, und dann haben wir noch die Grüne-Kandidatin, Frau Bethmann, die also mit unglaublicher Frische und großer Überzeugungskraft als Neubürgerin in Erftstadt sich jetzt das zutraut und auch sehr überzeugend auftritt und vor allen Dingen in der Region, Braunkohle, mit dem Thema Klimaschutz natürlich auch genau die richtigen Themen platziert. Also, von daher ist das eine gute Konstellationen und die Wähler haben wirklich die Wahl."
Frauen in NRW-Parlamenten unterrepräsentiert
Bei einem Fünfkampf, der auffällig ist. Denn: Allerorts in Deutschland wird – so scheint es – über das Thema diskutiert: Die CDU im Bund redet über eine Quoten-Regelung, so manches Bundesland hat bereits beschlossene oder arbeitet an Paritäts-Gesetzen, doch die Situation in den Kommunen Nordrhein-Westfalens zeigt den Nachholbedarf: Der Frauenanteil in den Räten oder Kommunalparlamenten liegt im Schnitt bei 25 bis 30 Prozent, obwohl mehr als die Hälfte der Einwohner in NRW weiblich sind.
"Ja, es gibt eben mehr Männer im Moment, die auch sozusagen ihre Position da verteidigen und ihre Netzwerke haben."
Stellt der Politikwissenschaftler David Gehne von der Ruhr-Universität Bochum im WDR fest, der sich mit der Zusammensetzung von Kreistagen und Stadträten beschäftigt hat. Einzige Landrätin in NRW ist CDU-Frau Eva Irrgang in Soest, einzige Oberbürgermeisterin die Parteilose Henriette Reker in Köln. Die Grünen in Bonn oder Dortmund, die FDP in Düsseldorf schicken durchaus namhafte, chancenreiche Kandidatinnen bei der OB-Wahl ins Rennen, doch, so Politikwissenschaftler Gehne:
"Wenn nicht Parteien wie die Grünen zum Beispiel interne Quoten haben, dann gibt es eben solche Selektionsmechanismen, die dazu führen, dass am Ende Listen präsentiert werden, die die Wähler dann akzeptieren können oder nicht."
Spott für Laschet
Und die selten weiblich sind. Das aber fällt mittlerweile auf: Hohn und Spott erntete beispielsweise auch Armin Laschet, NRWs Ministerpräsident, für ein Foto vom Wahlkampfauftakt der Ruhr-CDU: 17 Männer, alle in hellen, zumeist blauen, Hemden, posierten dort zuversichtlich – und zeigten so unabsichtlich, aber offensichtlich das Problem. Laschet selbst kennt das Thema, spricht es immer wieder an – doch eine Festlegung zum Thema innerparteiliche Quote steht von ihm noch aus.
"Für mich persönlich stellt sich immer die Frage nach der Qualifikation und der persönlichen Eignung für eine Tätigkeit und das ist unabhängig vom Geschlecht."
Sagt auch Carolin Weitzel, die CDU-Kandidatin in Erftstadt. Dennoch: FDP-Frau Molitor hat festgestellt, dass diese weibliche Konstellation in der Bevölkerung in Erftstadt durchaus Thema ist:
"Aber ich glaube, dass sie das zunehmend auch für normal empfinden. Wir haben eine Bundeskanzlerin ganz, ganz lange Jahre und vielleicht sollte es normaler werden, dass sich auch mehr Frauen engagieren."
Sagt Molitor, die selbst Fraktionsvorsitzende ist.
Kandidatin: "Räte sind Männersache"
"Wenn Sie in die Räte gucken, dann ist das zu großen Teilen Männersache. Das muss sich dringend ändern und ich bin auch der Meinung: Frauen müssen selber auch dann den Mut haben, diese Möglichkeiten wahrzunehmen, wenn sie denn vorgeschlagen werden, zu sagen: Ich mach’s."
"Ich glaube schon, dass wir fünf Kandidatinnen sagen, als Grundaussage: Trau Dich. Trau Dich. Wenn Du es machen willst, mach’s – und lass Dich da auch nicht vom Weg abbringen und das Geschlecht ist nicht das, worauf es ankommt."
Sagt auch Hallstein. Doch an einem Punkt kommt es – im Moment – eben doch auf das Geschlecht an:
"Ich finde es extrem wichtig. Sichtbarkeit ist extrem wichtig."
Sagt Stephanie Bethmann, die Grüne-Kandidatin:
"Das merke ich auch in der Wirtschaft. Ich arbeite in einer Männer-dominierten Branche. Je höher man in der Hierarchie kommt, je weniger Frauen sind da. Und es ist wichtig, so Beispiele zu sehen, dass man sagt: Okay, ich gehöre da auch hin und da sind mehrere schon. Ich wäre da auch nicht die Erste. Ich glaube, das braucht man. Auch wenn man sich trifft, unter Bürgermeistern in NRW und auch bundesweit. Je mehr Frauen, je mehr wird klar: Das ist ein normales Amt und es hängt nicht am Geschlecht. Ich würde mir wünschen, wir wären schon weiter, aber ich finde es wichtig, dass wir das immer weiter betreiben."
Signalwirkung für andere Kommunen und den Bund?
Ein Punkt, weshalb gerade die Erftstädter Konstellation über das rheinische Revier hinaus, Signalwirkung haben könnte. Und auch CDU-Kandidatin Weitzel, die – ganz Partei-Linie – eigentlich zurückhaltend bei der Quote ist zugleich aber eben Gleichstellungsbeauftragte, kann mit der Konstellation nun gut leben:
"Ja, wir werden eine Frau haben in Erftstadt. Das ist sehr schön."
Fragt sich nur welche.