Ja, der grundgütige Herzog geht, gewitzt und tückisch, eigenwillige Wege zur Machtsicherung: Er beruft den puritanisch-strengen Angelo als Statthalter. Als Mönch getarnt will er dann zusehen, wie es dem gelingt, den Verfall der Sitten aufzuhalten und die unter seiner nachsichtigen Herrschaft - oder soll man sagen: unter seinem Schlendrian grassierende Libertinage einzudämmen, ohne dass sein Ruf als Landesvater Schaden nimmt. Angelo, ein eitler Stutzer mit goldblonder Föhnwelle, setzt sich mediengerecht in Pose, spricht ein paar seifige Bescheidenheitsfloskeln und legt los. Gibt es da doch ein altes Gesetz, das sogar vorehelichen Sex mit der Todesstrafe ahndet.
Der erste Todeskandidat ist schnell gefunden – doch ebenso rasch bekommt sein Selbstbild Risse und die Phrasen gehen ihm aus. Arme rudernd gerät er ins Stottern angesichts der engelsgleichen Novizin, die ihn um das Leben Claudios, ihres Bruders – tja: bittet, kann man kaum sagen, eher schon: angeht, bedrängt. Die mit zauberhaft geröteten Wangen und leuchtenden Augen ein spitzfindiges Argument nach dem anderen gegen den Tod des Bruders vorbringt. So viel erotisierender Unschuld ist seine starre Abstinenz nicht gewachsen. Der Fall ist klar: Nur sie selbst kann der Preis für das Leben Claudios sein, denn er, Angelo, verlangt nach ihr. Das nun geht der Braut Jesu entschieden zu weit. Ehe sie ihre Unschuld opfert, soll er doch lieber sterben. Und dann nimmt eine immer undurchsichtiger werdende Intrige ihren Lauf - in Gang gesetzt von dem glatzköpfigen und daher pfiffig mit einer Tonsur aus Haaren getarnten, entschlossen mit agierenden Herzog. Der die schöne Supplikantin nun freilich, nicht ohne Sadismus, selbst in seine Macht bringen will und ihr fast bis zum Schluss vorenthält, dass ihr Bruder nicht geköpft wurde.
Shakespeares Problem Play, in dem es letztlich um nichts anderes als um den Preis der Tugend geht, ist wahrlich keine leichte Kost, und so griff Regisseur Christian Weise mit beidem Händen in die Klamauk-, Slapstick- und Comic-Kiste und verwandelte jede Szene im wahrsten Sinn in eine Steilwandkletterei und jeden Dialog in eine Schlammschlacht. Dreckknödel fliegen, Akteure klatschen in den suppig braunen Morast dieses weanerisch verwahrlosten Sündenpfuhls, stürzen und rappeln sich wieder auf – und keiner bleibt unbefleckt. Schon gar nicht der Moralapostel Angelo und die Hardlinerin des Glaubens, Isabella.
Wenn der hallenbreite, bordürenbesetzte Höllenvorhang sich öffnet, stehen die Figuren zunächst wie Zombies aufgereiht; in praller Lebensfülle dirigiert von der wienerisch dröhnenden, grotesken Puffmutter Madame Oberweite, die, eine Haushaltspapierrolle im Anschlag, ihre Schlange stehenden, sich in akrobatischen Turnübungen verlustierenden Kunden betreut. Bis von einem Moment auf den anderen Schluss mit lustig ist. Statt Lustloch, Luden und Stricher – Kette, Schandblock, Todesstrafe. Und während Angelo, der Tugendwächter auf Zeit, sein straffes Regime null Toleranz-artig in Szene setzt und ihn alle zerknirscht und opportunistisch umschleichen, geht mit ihm im wahrsten Sinne des Wortes der Gaul durch, und er reitet eine wilde Dressurnummer auf dem Spatenstiel-Steckenpferd-Phallus übers lehmige Gelände - immer hinter Isabella her, die ihre Jungfräulichkeit in höchsten Höhen akrobatisch verteidigen muss: ein komödiantisches Bravourstück, das Shakespeares drastischem Theater sicher nicht fremd war. Insofern holen Weise und sein tolles Ensemble den Text mit jedem Wort, jeder Geste und Szene in die schlüpfrige Wirklichkeit zurück, aus der er kam.
Bis dann am Ende der Herzog wieder unverpuppt und nicht mehr under cover ins Spiel kommt und abrechnet. Sein Machtkalkül ist aufgegangen und all die lumpigen Gesellen hängen wie eine Galerie festgezurrter Individualisten in Reih und Glied an Marionettenfäden, die sich jeder spontanen Bewegung widersetzen und nur noch erwünschte Reaktionen zulassen.
Domestizierung gelungen, das Land gerettet – und der gute Herzog, der alte Lustmolch, hat es noch nicht einmal nötig, die fromme Nonne zu erpressen – er nimmt sie sich einfach, legt sie übers Knie und zeigt ihr und uns mit ein paar routinemäßigen, noch eher sanften Klapsen auf den Po, wer Herr im Staate ist. Weise macht kein explizit politisches Theater – stellt aber mit seinem virtuos spielfreudigen Ensemble alle Stationen und Nuancen eines üblen Machtpokers aus.
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Maß für Maß von William Shakespeare am Schauspiel Stuttgart
Der erste Todeskandidat ist schnell gefunden – doch ebenso rasch bekommt sein Selbstbild Risse und die Phrasen gehen ihm aus. Arme rudernd gerät er ins Stottern angesichts der engelsgleichen Novizin, die ihn um das Leben Claudios, ihres Bruders – tja: bittet, kann man kaum sagen, eher schon: angeht, bedrängt. Die mit zauberhaft geröteten Wangen und leuchtenden Augen ein spitzfindiges Argument nach dem anderen gegen den Tod des Bruders vorbringt. So viel erotisierender Unschuld ist seine starre Abstinenz nicht gewachsen. Der Fall ist klar: Nur sie selbst kann der Preis für das Leben Claudios sein, denn er, Angelo, verlangt nach ihr. Das nun geht der Braut Jesu entschieden zu weit. Ehe sie ihre Unschuld opfert, soll er doch lieber sterben. Und dann nimmt eine immer undurchsichtiger werdende Intrige ihren Lauf - in Gang gesetzt von dem glatzköpfigen und daher pfiffig mit einer Tonsur aus Haaren getarnten, entschlossen mit agierenden Herzog. Der die schöne Supplikantin nun freilich, nicht ohne Sadismus, selbst in seine Macht bringen will und ihr fast bis zum Schluss vorenthält, dass ihr Bruder nicht geköpft wurde.
Shakespeares Problem Play, in dem es letztlich um nichts anderes als um den Preis der Tugend geht, ist wahrlich keine leichte Kost, und so griff Regisseur Christian Weise mit beidem Händen in die Klamauk-, Slapstick- und Comic-Kiste und verwandelte jede Szene im wahrsten Sinn in eine Steilwandkletterei und jeden Dialog in eine Schlammschlacht. Dreckknödel fliegen, Akteure klatschen in den suppig braunen Morast dieses weanerisch verwahrlosten Sündenpfuhls, stürzen und rappeln sich wieder auf – und keiner bleibt unbefleckt. Schon gar nicht der Moralapostel Angelo und die Hardlinerin des Glaubens, Isabella.
Wenn der hallenbreite, bordürenbesetzte Höllenvorhang sich öffnet, stehen die Figuren zunächst wie Zombies aufgereiht; in praller Lebensfülle dirigiert von der wienerisch dröhnenden, grotesken Puffmutter Madame Oberweite, die, eine Haushaltspapierrolle im Anschlag, ihre Schlange stehenden, sich in akrobatischen Turnübungen verlustierenden Kunden betreut. Bis von einem Moment auf den anderen Schluss mit lustig ist. Statt Lustloch, Luden und Stricher – Kette, Schandblock, Todesstrafe. Und während Angelo, der Tugendwächter auf Zeit, sein straffes Regime null Toleranz-artig in Szene setzt und ihn alle zerknirscht und opportunistisch umschleichen, geht mit ihm im wahrsten Sinne des Wortes der Gaul durch, und er reitet eine wilde Dressurnummer auf dem Spatenstiel-Steckenpferd-Phallus übers lehmige Gelände - immer hinter Isabella her, die ihre Jungfräulichkeit in höchsten Höhen akrobatisch verteidigen muss: ein komödiantisches Bravourstück, das Shakespeares drastischem Theater sicher nicht fremd war. Insofern holen Weise und sein tolles Ensemble den Text mit jedem Wort, jeder Geste und Szene in die schlüpfrige Wirklichkeit zurück, aus der er kam.
Bis dann am Ende der Herzog wieder unverpuppt und nicht mehr under cover ins Spiel kommt und abrechnet. Sein Machtkalkül ist aufgegangen und all die lumpigen Gesellen hängen wie eine Galerie festgezurrter Individualisten in Reih und Glied an Marionettenfäden, die sich jeder spontanen Bewegung widersetzen und nur noch erwünschte Reaktionen zulassen.
Domestizierung gelungen, das Land gerettet – und der gute Herzog, der alte Lustmolch, hat es noch nicht einmal nötig, die fromme Nonne zu erpressen – er nimmt sie sich einfach, legt sie übers Knie und zeigt ihr und uns mit ein paar routinemäßigen, noch eher sanften Klapsen auf den Po, wer Herr im Staate ist. Weise macht kein explizit politisches Theater – stellt aber mit seinem virtuos spielfreudigen Ensemble alle Stationen und Nuancen eines üblen Machtpokers aus.
Maß für Maß von William Shakespeare am Schauspiel Stuttgart