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Komödie "Hohe Auflösung"
Spaß am Maidan

In der politischen Komödie "Hohe Auflösung" am Badischen Staatstheater Karlsruhe wollen Regisseurin und Dramaturg die eskalierende Energie auf dem Maidan-Platz auf die Bühne übertragen. Leider wird die politische Dimension der Handlung zugunsten von Boulevard und Slapstick preisgegeben.

Von Cornelie Ueding | 10.06.2014
    Es sind fünf immer nur getretene Pflastersteine auf dem Maidan, die hier Aua schreien. Sie maulen und wollen endlich mal fliegen. In Dmytro Ternvoyis Stück haben auch die stummen Dinge eine Stimme – wie sonst nur in Kinderbüchern und -aufführungen: unbenutzte, kaltgestellte Teetassen quengeln und klirren, unsinnig aufgeblähte Akten beschweren sich. Ein Theater-Experiment. Auch für den Autor, der mit diesem Mittel erreichen will, dass eine Situation immer ein, wie er sagt, "Element des Unerwarteten" enthält. Regisseurin und Dramaturg berichten anschaulich von ihrer Reise in die Ukraine - und wie sehr sie von der Atmosphäre und Energie der Massenbewegung auf dem Maidan beeindruckt waren. Erstaunlich ist nur, wie wenig sie davon mitgebracht und auf der Bühne umgesetzt haben – und wie sehr sie die Möglichkeiten des von ihnen ja angestrebten neuen, zeitgenössischen politischen Theaters buchstäblich verspielt haben.
    Dramatisches verkommt zum Boulevard
    Die Situation: Zwei junge Menschen betrachten hautnah und doch auf Distanz von ihrer Wohnung am Maidan-Platz aus das täglich eskalierende Geschehen. Den Mann lockt aller Bürokratie zum Trotz eine Konzertreise ins europäische Ausland; seine junge Frau möchte den politischen Unruhen da draußen am liebsten aus dem Weg gehen. Doch dieses "Draußen" klopft bereits heftig an die Tür: erst stürmt ein gehetzter syrischer Asylant ins Zimmer und fleht um Schutz, kurz darauf sein Verfolger, ein süßlich tückischer Milizionär in groteskem paramilitärischem Outfit.
    Doch die dramatische Szene wird rasch zum Boulevard, als kurz darauf der von erfolglosen Behördengängen frustrierte und reflexartig eifersüchtige Gatte zurückkehrt: Der Fremde wird von der Dame des Hauses geschickt unters Bett befördert, der Scherge durch Küsschen sediert, der Gatte ebenfalls durch Umarmungen abgelenkt – ohne dass auch nur für einen Moment die politische Brisanz dieser Manöver spürbar würde. Mag sein, die junge Regisseurin Mina Salehpour wollte dem Thema die dogmatische und moralische Schwere nehmen, Maidan light sozusagen. Als dann auch noch die barock kostümierten Teetassen in die mit Kissen ausgestopfte Bühnen-Stube drängen, stellt sich endgültig das Gefühl ein, man sei "im falschen Film": die Ukraine ist nicht Alices Wunderland und der Maidan kein Märchen.
    Der Autor Dmytro Ternvoyi betont, dass er sein Stück nur teilweise als politisch sehe – genauso wichtig seien ihm die Figuren, ihre zwiespältigen Gefühle zwischen Freiheitssehnsucht, Rückzugsbedürfnis, Angst und Hoffnung. Aber ebenso wenig ernst wie die ehelichen Wirren des jungen Paares nimmt die Regisseurin die Szene eines nie stattgefundenen Interviews. Hier bestünde die Möglichkeit, die Ambivalenz der brisanten, weil korrupten und interessengelenkten ökonomischen Seite des Konflikts mindestens anzudeuten. Stattdessen muss die bezopfte Konzernchefin im Rollstuhl tränenreich und schluchzend eine Timoschenko-Karikatur hinlegen.
    Ziele verfehlt
    Am Ende der um Witz und Verve bemühten Aufführung muss man feststellen, dass diese Inszenierung beide Ziele verfehlt: die politische Dimension wird an das forcierte Gehampel zwischen Boulevard, Slapstick und niedlicher Camouflage preisgegeben. Die menschliche durch eine Grips-theaterhaft karikierende Zeigetheater-Dramaturgie, die sich gegen Zwischentöne, Ambivalenzen und emotionale Umbrüche vom scheinbar Heiteren zum existenziell Bedrohlichen per se verschließt. Statt des angestrebten Sowohl-als auch ein bemühtes Weder-noch, dem man die guten Absichten wie so vielen Produktionen des um Aktualität bemühten Gegenwartstheaters nicht absprechen möchte. Aber es genügt einfach nicht, aktuelle Themen und möglichst viele Akteure aus Krisenregionen zu versammeln, um überzeugendes – und das hieße: anrührendes, bewegendes Gegenwartstheater zu machen.
    Theater muss nicht abbilden – das kann jede TV-Doku besser –, es muss aber geschichtliche, das menschliche Leben prägende Vorgänge emotional konkret erfahrbar machen. Hier dagegen wird der Pflasterstein zum Symbol des Todesengels und umarmt die gerade aus dem politischen Schlaf erwachte junge Frau.