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Kompendium zum Soldatenleben

Seit 1929 gilt er als Pflichtlektüre eines jeden angehenden Soldaten: Der Reibert. Nun wurde das Standardwerk neu aufgelegt. Wird das Handbuch auch mit Auslaufen des Pflichtwehrdienstes noch seinen Platz behaupten können?

Von Martin Hartwig |
    Das Buch wiegt 487 Gramm, hat das Format 14,6 mal 10,2 Zentimeter - also etwa A6 - und ist 3,5 cm dick. Sein Einband besteht aus abwaschbarem Kunststoff. Somit ist es für den Einsatz im Felde geeignet. Das ist wichtig, denn:

    "Der Soldat muss im Felde auch bei widrigen Umweltverhältnissen leistungsfähig und einsatzbereit bleiben. Dazu muss er die Grundregeln der Hygiene beachten, sich gegen Wetterunbilden schützen, zeitweise Nahrungsmittel selbst zubereiten und Bekleidung, Ausrüstung und Waffen sachgemäß pflegen und instand setzen."

    So heißt es in der Rubrik "Leben im Felde" im Mittelteil des als "Der Reibert" bekannten "Handbuches für den deutschen Soldaten". Auch in der neuen Ausgabe folgt der Reibert seiner inzwischen 71 Jahre alten Tradition und gibt dem Soldaten mehr oder weniger nützliche Ratschläge:

    "Ist Waschwasser nur in begrenzten Mengen verfügbar, dann täglich wenigsten die Körperstellen waschen, die besonders stark verschmutzt oder verschwitzt sind (Hände, Füße, Hals, Achselhöhlen, Schritt)."

    Näheres regelt die Innendienstordnung der Bundeswehr. 1929 erschien das Handbuch, das der Oberst Wilhelm Reibert in seiner Dienstzeit bei der Reichswehr verfasst hatte, unter dem Titel "Der Dienstunterricht Im Heere" zum ersten Mal. Unterbrochen nur von den Jahren '45 bis '59 wird das Handbuch seitdem Jahr für Jahr aktualisiert. Der Reibert ist keine offizielle Dienstvorschrift, sondern ein Kompendium zum Soldatenleben, das von der Spindordnung über die verschiedenen Waffengattungen bis hin zum Verhalten bei Personenkontrollen, alles auflistet, was für den durchregulierten Alltag bei der Armee wichtig ist.

    "Der Gruß beginnt rottenweise 3 Schritt vor dem zu Grüßenden und beim 1. Richtungsposten. Jeder Soldat, außer dem rechten Flügelmann der ersten Rotte, richtet den Blick auf den zu Grüßenden. Marschgeschwindigkeit, Schrittlänge und Armbewegung – auch der Soldaten, die durch Anlegen der Hand an die Kopfbedeckung grüßen – bleiben unverändert."

    Der Reibert wurde im Laufe der Jahre ständig modernisiert und ist heute vor allem eine Handreichung für militärische Dienstleister – mit umfassenden Verzeichnissen von Waffenarten, Rangabzeichen und nationalen und internationalen Symbolen. Das hohe Lied von Kameradschaft, Manneszucht und Gehorsam wird nicht mehr gesungen. Das war in der Vergangenheit anders:

    "Mut im Kampf wird zur Tapferkeit. Sie ist das Ziel, dass dem Soldaten vorschwebt. Millionen seiner Vorgänger hat das Angst- und Todesgefühl in der Schlacht zunächst die Kehle "zugeschnürt", und trotzdem stürmten sie vorwärts, trotzdem hielten sie stand bis zum Tod. Was bestimmte sie dazu? Sie hatten gelernt, durch Willenskraft, durch Pflicht- und Ehrgefühl, durch Gottvertrauen ihre Schwachheit zu überwinden."

    So hieß es im Reibert von 1941, der Ausgabe, die die Wehrmachtssoldaten beim Überfall auf die Sowjetunion im Gepäck hatten. Hier findet sich nationalsozialistische Propaganda der derbsten Art. Das damals noch vom Oberst Reibert selbst zusammengestellte Werk hob dabei die Rolle der Wehrmacht als Hüterin des nationalen Gedankens in der "schwierigen" Weimarer Zeit hervor.

    "Nur die Wehrmacht hielt sich durch die zielbewusste und weitblickende Führung ihrer obersten militärischen Befehlshaber vom allgemeinen Verfall fern. Ihrem Wesen widersprach das parlamentarische Geschwätz. In den Revolutionsjahren rettete sie in stummer Pflichterfüllung unterstützt durch die Freikorps, den Bestand des Reiches vor der bolschewistischen Gefahr im Nordosten."

    Auf diese Tradition der Armee und des Handbuches, dessen Heraus- und Namensgeber erstaunlicherweise schadlos durch die Entnazifizierung nach dem zweiten Weltkrieg kam, geht der moderne Reibert nicht explizit ein. Mit der dem Buch eigenen Förmlichkeit wird auf das geltende Recht, das Leitbild des "Bürgers in Uniform" und den Traditionserlass von 1982 verwiesen. Die problematische Geschichte des deutschen Militärs, schimmert nur gelegentlich und quasi als Negativ durch. Etwa in den Passagen zur Gehorsampflicht, denen – im alten Reibert undenkbar - Beispiele mit Situationen angefügt sind, in denen "der Soldat" nicht gehorchen muss, und in den detaillierten und insgesamt eher defensiven Regelungen zum Schusswaffengebrauch.

    Warum der Verlag das Buch nach wie vor unter dem Namen des alten Oberst vertreibt, ist allerdings unverständlich, steht jedoch durchaus in der Tradition der Bundeswehr, die bei der Namensgebung ihrer Kasernen ähnlich verfahren war. Der moderne Reibert ist ein nützliches Buch - zumindest wenn man Soldat ist, oder werden möchte oder werden muss. Insofern wird die Zahl seiner Leser in Zukunft wohl sinken und die fetten Jahre dürften damit auch für diesen heimlichen Klassiker langsam vorbei sein.

    Dieter Stockfisch (Hg.): Der Reibert. Das Handbuch für den deutschen Soldaten.
    Verlag Mittler & Sohn, 902 Seiten, 12,95 Euro
    ISBN 978-3-813-20917-4