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Komplizierte Nachweisführung

Kriminologie. - Schweizer Forscher haben die Überreste von Ex-PLO-Chef Jassir Arafat untersucht und dabei erhöhte Werte von Polonium-210 festgestellt. Der Physiker Oliver Meisenberg vom Institut für Strahlenschutz des Helmholtz-Zentrums München bewertet die Befunde im Gespräch mit Uli Blumenthal

Informationen von Hans-Jürgen Maurus, Gespräch von Oliver Meisenberg und Uli Blumenthal | 07.11.2013
    Die Experten des Instituts für Radiologie der Uniklinik Lausanne und vom Paul-Scherrer-Institut kommen in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Untersuchungen die These, wonach Ex-PLO-Chef Jassir Arafat mit Polonium-210 vergiftet wurde, moderat stützen. Polonium ist ein hochradioaktives Isotop und wurde beim Anschlag auf den Ex-KGB-Agenten Alexander Litwinenko in London 2006 eingesetzt. Die Schweizer Spezialisten notieren, dass im Körper Arafats keine hohe Konzentration am Polonium festgestellt wurde, dafür aber erhöhte Dosierungen an Polonium-210 sowie des Blei-Isotop 210 an Rippenfragmenten sowie an persönlichen Gegenständen. Auch in Bodenproben rund um das Grab wurden erhöhte Polonium-Werte gemessen. Die akuten Magen-Darmbeschwerden und ein rapide sich verschlechternde Gesamtzustand des Patienten seien kompatibel mit der Einnahme hoher Mengen an Radioaktivität, heißt es in dem Bericht. Nähere Analysen der Leber und der Nieren, die wichtige Hinweise auf Polonium hätten geben können, waren nicht möglich. Die Autoren notieren, dass es nach dem Tod Arafats keine Autopsie gegeben habe und Blut-, Haut- und Haarproben später vernichtet wurden.

    Uli Blumenthal: Wie muss man die Ergebnisse des Schweizer Untersuchungsberichtes bewerten? Mit welcher Zuverlässigkeit kann man nach fast zehn Jahren Polonium-210 noch im menschlichen Körper nachweisen? Und wo liegen die Unsicherheiten bei solchen Analysen? Diesen Fragen wollen wir jetzt im Gespräch mit Oliver Meisenberg vom Helmholtz-Zentrum in München klären. Er ist dort im Institut für Strahlenschutz Experte für natürliche Radioaktivität.

    Blumenthal: Herr Meisenberg, es findet gerade eine Pressekonferenz des Instituts für Radiophysik, Lausanne, statt und über Twitter wird das Bild einer Folie verbreitet. Da stehen zwei Fragen drauf, und die werden beantwortet jeweils mit nein. Eine Frage heißt: Können wir ausschließen, dass Polonius die Todesursache ist? Nein. Sind wir sicher, dass Polonius die Todesursache ist? Ebenfalls nein. Die Frage, die sich eigentlich für mich daraus ergibt und an Sie gestellt wird: Warum ist es so schwer, Polonium-210 in einem menschlichen Körper oder in einer Leiche nachzuweisen?

    Meisenberg: Dass Polonium-210 schwer nachzuweisen ist, hat eigentlich mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass Polonium-210 auch in der Umwelt vorkommt, aus ganz natürlichen Gründen. Und Polonium-210 und auch die Stoffe, aus denen das dann entsteht, werden ständig vom Menschen aufgenommen, durch die Nahrung oder auch indem wir es einatmen. So dass wir immer auch eine gewisse Menge Polonium-210 im menschlichen Körper aus natürlichen Gründen haben, allerdings eine sehr geringe Menge. Der zweite Grund ist, dass Polonium-210 sehr schnell zerfällt. Nach ungefähr 140 Tagen ist nur noch etwa die Hälfte vorhanden. Nach einigen Jahren dann eben nur noch ein ganz kleiner Bruchteil. Beispielsweise nach etwa zehn Jahren wäre es nur noch weniger als ein Zehnmillionstel der Menge, die ursprünglich zugeführt wurde. Und der dritte Grund ist, dass Polonium-210 schwer zu messen ist. Es sendet so genannte Alphastrahlung aus, wenn diese Alphastrahlung, oder wenn Polonium-210, das ist ein solcher Alphastrahler, der diese Strahlung aussendet, in einem massiven Gegenstand vorhanden ist, dann kommt die Strahlung gar nicht nach außen, sondern man muss das Polonium-210 durch chemische Methoden abtrennen vom Rest dieses massiven Stoffes, eines Gewebes oder eines Gegenstandes, und erst nach einem solchen chemischen Vorgang kann man das Polonium-210 dann auch im Labor in einem Gerät messen.

    Blumenthal: Nun sind die Untersuchungen der Schweizer Wissenschaftler nicht an einem lebenden Menschen, sondern an den Überresten von Jassir Arafat, an den Knochen vorgenommen worden. Polonium-210 reichert sich aber vorrangig in den Organen und Gewebeteilen an. Wie zuverlässig sind dann überhaupt Aussagen, wenn man nur Knochen untersuchen kann, aber nicht das Gewebe, wo man eigentlich Polonium stärker finden würde?

    Meisenberg: Das ist richtig, dass Polonium-210 nicht vorrangig im Knochen angereichert wird, wenn es ein Mensch aufnimmt, sondern eher vor allem in den Nieren und in der Leber. Diese Organe sind natürlich bei einem toten Menschen nach einiger Zeit nicht mehr für eine Messung vorhanden. In Knochen kann man allerdings auch, wenn eine große Menge Polonium-210 aufgenommen wurde, eine leicht erhöhte oder eine dann entsprechend stark erhöhte Aktivität messen. Und es gibt aber auch die Möglichkeiten, natürlich an persönlichen Gegenständen Polonium-210 zu bestimmen und so wie ich das mitgekriegt habe, wurde das auch durch Personen in der Schweiz gemacht. Bei einem lebenden Menschen würde man Polonium-210 vor allem im Urin bestimmen, weil es eben, wenn er es aufgenommen hat, dann ständig ausgeschieden wird.

    Blumenthal: Nun ist in dem Schweizer Untersuchungsbericht von einer 18fach höheren Polonium-Konzentration als normal die Rede. Die eine Frage ist natürlich: Was ist normal? Und die andere Frage ist: Kann man, wenn man eine 18fach erhöhte Konzentration im Knochen nachweisen kann, da irgendwie hochrechnen, was möglicherweise im Urin gewesen wäre bei einem lebenden Menschen, oder was in den Gewebeteilen, in den Körperorganen dann nachgewiesen werden könnte, wenn sie denn vorhanden wären?

    Maisenberg: Welche Menge Polonium-210 im Körper normal ist, kommt auch etwas darauf an, wie viel ein Mensch aus natürlichen Gründen im Laufe seines Lebens aufgenommen hat. Es geht hier auch gar nicht so sehr um die Aufnahme von Polonium selbst aus der Umwelt, sondern um die Aufnahme eines Vorgängerstoffes, des Blei-210. Man kann also dann auch bei einer Person, bei einem Menschen, Blei 210 messen und dann schauen, wie sich diese beiden Stoffe zueinander verhalten. Sie sollten in etwa die gleiche Aktivität besitzen, nicht ganz genau, weil eben auch chemische Prozesse, zum Beispiel biochemische Prozesse im Körper diese Stoffe unterschiedlich behandeln. So dass zum Beispiel auch eine etwas kleinere oder größere Menge an Polonium im Körper vorhanden sein kann als von diesem Blei-210. Aber trotzdem bietet eben auch das Blei-210 einen guten Hinweis im Vergleich mit dem Polonium, ob das Polonium eben aus einer natürlichen Quelle aufgenommen wurde oder aus einer künstlichen Quelle zugeführt wurde.

    Blumenthal: Nun will ich noch einmal nachfragen: 18fach erhöhte Konzentration von Polonium in den Knochen. Kann man das auf Gewebe hochrechnen? Gibt es da irgendeine Formel? Gibt es da Anhaltspunkte oder Erfahrungen?

    Meisenberg: Man weiß halbwegs genau, wie sich Polonium-210, das zum Beispiel durch die Nahrung in den Körper aufgenommen wird, im Körper verhält. Es verteilt sich dann eben im Körper und wird dann vor allem eben zu einer Strahlenbelastung in den Nieren und in der Leber führen. Wenn man jetzt die Aktivität in einem bestimmten Teil des Körpers, zum Beispiel in den Knochen kennt, kann man dadurch eben, indem man gewissermaßen diese Verteilung in der Berechnung umgekehrt anwendet, auch sich überlegen, welche Aktivität ungefähr zugeführt wird. Das ist aber auch mit einer gewissen Unsicherheit verbunden, weil es doch nicht in jedem Mensch gleich ist, sondern zum Beispiel auch vom Alter des Menschen oder von möglichen Erkrankungen abhängt.

    Blumenthal: Welche Unsicherheiten gibt es bei der Interpretation der Ergebnisse, bei den Messmethoden. Wie würden Sie Ihre Sicht auf die Studie zusammenfassen?

    Meisenberg: Ganz unabhängig von dieser Studie gibt es eben auch die Unsicherheit, dass natürlich nicht genau weiß, ob das Polonium-210 aus einer natürlichen Quelle stammt oder aus einer künstlichen Quelle. Eben gerade vor allem nach dieser langen Zeit zwischen einer Aufnahme und der jetzigen Messung, wo eben nur noch so wenig von dem Polonium-210, falls es denn künstlich zugeführt würde, noch vorhanden ist. Aber was das genau dann auch für diese Schweizer Studie bedeutet, das hängt natürlich von vielen Faktoren ab, zum Beispiel wie diese Proben vorbehandelt wurden, auch vielleicht von manchen kriminologischen Fragen, zu denen ich mich natürlich nicht äußern kann.